Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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»Man würde ihm auch dann nicht viel tun. Meinen der Herr Hauptmann, dass die Offiziere in der Armee von diesen Demagogengeschichten erbaut wären? Sie verachten die Zivilisten, die so eifrig dafür sind; sie meiden den Umgang mit ihnen. Demagogenfänger nennen sie sie. Das ist in der ganzen Armee bekannt.«
Der Gefangene stand in tiefem Nachsinnen.
»Noch eins, Herr Hauptmann«, sagte der Gefangenenwärter. »Dann werden Sie mir völlig vertrauen und sich nicht mehr besinnen. Sie sollen nicht allein befreit werden. Noch ein Freund von Ihnen geht mit.«
»Wer ist es?« fragte der Gefangene.
»Ihr Nachbar dort links. Er ist erst heute hier angekommen. Darum musste Ihre Befreiung bis jetzt aufgeschoben werden.«
»Sein Name?« fragte der Hauptmann.
»Ich führe ihn zu Ihnen.«
Der Gefangenenwärter verließ die Zelle und kam nach drei Minuten mit dem neuen Bewohner der Nebenzelle zurück.
Die beiden Gefangenen sahen sich an, lagen einander in den Armen.
»Mahlberg!«
»Horst, Du bist es?«
»Ich bin es. Du wusstest nichts von mir?«
»Nicht einmal Deine Verhaftung!«
»Wie? Nicht die? Wer ist Dein Inquirent?«
»Der Kriminalrat.«
»Er ist auch der meinige. Und er hat Dir nie von mir gesagt?«
»Kein Wort.«
»Ah! Und wie viel hat er mir von Dir vorgesprochen. Aber nachher davon.«
Der Gefangenenwärter trat zu den beiden Freunden.
»Ich werde die Herren allein lassen. Sie können sich dann ganz frei aussprechen. Ich wache auch unterdes draußen gegen einen etwaigen Überfall. In einer Stunde bin ich wieder hier, um Sie abzuholen.«
Er ging. Er nahm seine Laterne mit. Die Tür der Zelle verschloss er.
»Ist er ehrlich?« fragte der Hauptmann doch seinen jungen Freund.
»Der alte Beermann ist ehrlich und treu wie Gold; man sieht es dem Gesichte an.«
»Sein Gesicht hat aber auch den finstern Ausdruck.«
»Seine Stellung!«
»Woher kennst Du ihn?«
»Gisbert stand für ihn ein.«
»So sprechen wir von uns, Horst. Seit wann bist Du in Haft?«
»Seit einem Jahre, bald nach Dir. Ich machte von Göttingen eine kleine Reise. Als ich über die Grenze kam — ich passierte sie ohne Arg; ich hatte wohl von einigen Verhaftungen wegen demagogischer Umtriebe gehört, aber weder von der Deinigen, noch von der anderer Freunde; ich wusste mich unschuldig, ich glaubte mich sicher — kaum hatte ich die Grenze überschritten, so war ich verhaftet. Man brachte mich nach Berlin, in die Hausvogtei, in eine Einzelzelle. Ich bekam außer meinem Inquirenten und dem Gefangenenwärter keinen Menschen zu sehen oder zu hören. So habe ich bis heute dort gesessen. Heute wurde ich hierher gebracht. Von Dir hatte ich bald Kunde erhalten, trotz meiner strengen Ein- und Abschließung. Zuerst durch den Kriminalrat selbst, schon in meinem zweiten Verhör, dann auf anderm Wege.
Was der Kriminalrat mir sagte, war nicht viel Wahrheit. Ich erklärte ihm das schon bei seinen ersten Worten über Dich. Ich sollte ihm bekennen, dass ich in Göttingen Mitglied einer geheimen Verbindung gewesen, in welcher politische Dinge verhandelt worden. Ich wusste von nichts. Da sagte er, das habest Du ja schon eingestanden. Er habe Dich geradezu danach gefragt; Du seist ein Mann von peinlicher Wahrheitsliebe, und da habest Du ihm gestanden, dass ich während Deines Besuchs in Göttingen Dich in die Sitzung einer solchen Verbindung geführt hätte. Damit hatte ich ihn aber. Er hatte zu viel beweisen wollen, also gar nichts bewiesen. Das wusste ich noch aus meiner Logik.
‘Herr Kriminalrat’, fragte ich ihn, ‘hat Mahlberg gesagt, was in der Sitzung verhandelt worden?’
‘Gewiss’, antworte er. ‘Es ist von der Freiheit und Einheit des deutschen Volkes gesprochen. Das Volk werde unterdrückt, von einem andern Erbfeind als den Franzosen; der Erbfeind sei im eigenen Lande. Gegen ihn gelte es einen neuen Kampf, in dem man zusammenstehen müsse, wie in dem gegen die Franzosen. Auch dieser Erbfeind müsse vernichtet werden; dann sei nicht nur die Freiheit, sondern auch die Einheit Deutschlands da. So wurde der nackte Hochverrat gegen Deutschlands Fürsten gepredigt.’
‘Und von wem, Herr Kriminalrat?’ fragte ich.
‘Nun, von den Mitgliedern der Verbindung.’
‘Und Mahlberg hat eingeräumt, dass er solchen Reden zugestimmt habe?’
‘Er hat das freilich bestritten.’
‘Er hat sich auch sonst nicht schuldig bekannt?’
‘Sie scheinen das zu wissen!’ sagte er; er wollte mich aushorchen.
‘Ja, ich weiß es’, sagte ich bestimmt.
Ich konnte es sagen, da Du so wenig schuldig warst wie ich.
Er ging in meine Falle.
‘Jeder leugnet’, sagte er mit Hohn. ‘Das scheint das Ehrenwort zu sein, das die Mitglieder der Verbindung sich zu allererst geben mussten.’
‘Ei, Herr Kriminalrat’, erwiderte ich ihm, ‘und das auch Mahlberg, der Mann der peinlichen Wahrheitsliebe, gegeben hat und wie ein Ehrenmann hält?’
Zorn und Ärger verfärbten ihm das fahle Gesicht, und ich fuhr ruhig fort:
‘Aber ich will Ihnen sagen, Herr Kriminalrat, wo ähnliche Worte, wie Sie sie mir vorhalten, gesprochen sind und wer sie Ihnen hinterbracht hat. Sie sind allerdings in Göttingen gesprochen, und auch ich und mein Freund Mahlberg waren dabei. Aber das war in keiner Sitzung einer geheimen Verbindung, sondern an der offenen Tafel des Gasthofs zum ‘König von England’, und es hörten sie viele Personen, Studenten, Beamte, fremde Reisende, unter andern auch ein gewisser bezahlter Demagogenfänger, und von dem haben Sie sie. Nur eins hat er Ihnen gelogen, dass von deutschen Fürsten die Rede gewesen sei; es wurde nicht einmal an sie gedacht. Desto mehr hatte jeder von uns im Sinne die volksfeindlichen deutschen Minister und ihre feilen, servilen, augendienerischen Werkzeuge.’
Er konnte sich nicht mehr mäßigen.
‘Herr!’, rief er, ‘Sie werden für ihre Unverschämtheit büßen!’
Er brach das Verhör mit mir ab. Ich wurde noch an demselben Tage in ein anderes Gefängnis versetzt, ein enges, finsteres Loch, in das den ganzen Tag die Sonne nicht schien. Ich erhielt kein Licht mehr, keine Bücher, keinen Kaffee. Bis dahin war mir das alles verstattet worden.
Ich hatte sechs Wochen lang kein Verhör.
Als ich dann wieder vorgeführt wurde, war seine Frage СКАЧАТЬ