Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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‘Haben Sie keine Bitte an mich hinsichtlich Ihrer Behandlung im Gefängnis?’
‘Nein!’
Damit wurde ich in meine Zelle zurückgebracht.
Nach sechs Wochen wurde ich wieder vor ihn geführt.
‘Wollen Sie jetzt ein Bekenntnis ablegen?’
‘Ich habe nichts zu bekennen.’
‘Haben Sie keine Bitte an mich?’
‘Nein!’
Der Gefangenenwärter brachte mich in mein Gefängnis zurück.
Das dauerte fast ein halbes Jahr. Dann kamen umfassende Verhöre und darin schauderhafte Dinge, vor denen mir die Haare zu Berge stehen sollten, über die ich lachen musste. Zerbrochene Fürstenkronen, gekreuzte Dolche, schwarzrotgoldene Bänder, Einteilung Deutschlands in zehn Herzogtümer — Studenten waren natürlich die Herzoge; unter ihnen an der Spitze ein Lantermann und ein Bahn. Du erinnerst Dich vielleicht noch der beiden hohlwangigen, langhaarigen deutschen Jünglinge aus dem König von England in Göttingen.
‘Von wem haben Sie diese Ausgeburten eines kranken Gehirns?’ fragte ich den Kriminalrat.
‘Lantermann und Bahn haben ausführliche und reumütige Geständnisse abgelegt’, antwortete er.
‘Ah, um künftig hochgestellte Geheimräte und Präsidenten zu werden! Ich sehe sie schon so —’
‘Keine Schmähung von Männern, die einer bessern Erkenntnis Raum gegeben haben’, unterbrach er mich.
‘Stellen Sie mir diese Ehrenmänner gegenüber, Herr Kriminalrat!’
‘Sie haben kein Recht, Konfrontationen zu verlangen.’
Ich wurde noch ein paarmal zu ähnlichen Vorhaltungen vorgeführt. Noch einige andere hohle deutsche Jünglinge hatten gleiche Hirngespinste bekannt. Dann hatte ich lange Zeit gar kein Verhör mehr.
Auf einmal werde ich heute hierher nach Köpenick gebracht.
‘Weil die Hausvogtei überfüllt ist’, sagte mir mein Berliner Gefangenenwärter.
Es kamen allerdings tagtäglich neue verhaftete oder von Mainz herübergelieferte Hochverräter an. In der Demagogie werden großartige Geschäfte gemacht, vielmehr mit ihr.
Seitdem ich hier Dein Nachbar bin, glaube ich in einen Plan des Kriminalrats zu blicken. Wir beide sollen belauscht werden, um so zu unfreiwilligen Verrätern gegen uns selbst zu dienen.
Aber nun, Freund Mahlberg, erzähle Du Deine Geschichte.«
Aber Mahlberg hatte vorher eine Frage.
»Du sprachst von Gisbert; er habe für den alten Beermann eingestanden?«
»So war es. Unter diesen Gefangenenwärtern sind überall Schurken und Verräter. Die einen dienen dem Inquirenten, die andern den Gefangenen. Den meinigen machte mir Gisbert durch sein Geld dienstbar. Ich erhielt von ihm heimlich alles, was der Kriminalrat mir entzogen hatte, auch Billette von Gisbert. In diesen teilte er mir auch einige Mal Nachrichten über meine Untersuchung mit; woher er sie hatte, sagte er natürlich nicht. Er schrieb auch von Dir, aber dass eine Verbindung mit Dir unmöglich sei; Du ständest unter einer ganz ausnahmsweise strengen Aufsicht; er wisse nicht einmal mit Gewissheit, wo Du seist. Vorgestern teilte er mir mit, dass ich heute werde hierher gebracht werden und dass ich dem alten Gefangenenwärter Beermann unbedingt vertrauen möge, er stehe für ihn ein; mehr könne er mir nicht schreiben.«
Mahlberg war unruhig geworden.
»Seit wann kennst Du Beermann?« fragte er.
»Seit heute Abend, da er mich hierher zu Dir führte.«
»Vorher hast Du ihn nie gesehen?«
»Wo sollte ich ihn gesehen haben?«
»Woher weißt Du denn, dass der Mann, den wir sahen, Beermann ist?«
Auch Horst stutzte.
»Sein ehrliches Gesicht —«
»Kann auch der Spitzbube haben.«
»Erzähle Du mir von ihm«, sagte Horst.
Mahlberg erzählte, wie auch er heute Abend zum ersten Mal den finstern Gefangenenwärter gesehen, wie dieser ihm das Billett von Gisbert gebracht und ihm seine und Horsts Befreiung für die Nacht angekündigt habe.
»Nun wohl«, sagte Horst, »wir sollte er zu den Billett Gisberts gekommen sein?«
»Wie es an Beermann nicht gekommen wäre, durch Verrat.«
»Teufel!«
Aber der jüngere Gefangene besann sich.
»Höre, Mahlberg, schlimmer, wie es uns jetzt geht, können sie uns nicht behandeln. Wir wagen es also mit dem Manne, und wagen gewinnt! Ist er ein Verräter, so hilft vielleicht gerade der Verrat uns zur Freiheit. Erzähle mir von Dir.«
Auch Mahlberg ließ seine Bedenken fahren.
»Wir werden auf unserer Hut sein!« sagte er.
Dann erzählte er:
»Vor einem Jahre wurde ich gefangen genommen, überfallen, ähnlich wie Du. Ich wurde in die Hausvogtei gebracht, ich wurde dort inquiriert, auch wie Du; nur wurde mir nie Dein Name genannt. Vor einem halben Jahre brachte man mich hierher, gleichfalls weil die Hausvogtei überfüllt sei.
Von der Außenwelt habe ich in dem ganzen Jahre nichts erfahren. Meine Gefangenenwärter waren stumm; keine Zeitung kam zu mir, kein Buch, bis heute kein beschriebenes Stückchen Papier. Die Welt war tot für mich, meine Freunde, alles.
Und jetzt und auf einmal soll ich aus meiner Haft befreit werden, soll ich zurück in die Welt. Ich kann es nicht fassen. Ich kann nicht daran glauben. Ich will mir dennoch Mühe geben, ich will mich zwingen, zu vertrauen, auch meinem Glücke.«
»Es kam Dir zu plötzlich, armer Freund«, sagte Franz Horst.
Ihr Gespräch wurde unterbrochen.
Den langen Gang, an dem die Gefängniszellen lagen, kam ein eiliger Schritt herauf.
Die beiden Freunde horchten.
Vor Wahlbergs Zelle hielt es an.
Die Tür wurde rasch aufgeschlossen.
Der Gefangenenwärter Beermann trat ein.
Er sah bestürzt aus, er hatte sehr eilig.
»Kommen Sie!« wandte er sich an Horst. »Schnell! Gehen Sie leise.«
»Wohin?« fragte Horst.
»In Ihre Zelle.«
»Was СКАЧАТЬ