Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Der Verwundete war eingeschlafen. Aber sein Schlummer wurde ein unruhiger. Er warf den Kopf hin und her. Wenn er auch noch die Schultern bewegte, so konnte der Verband sich lösen. Mit der linken Schulter zuckte er schon. Franz Horst legte ihm leise seine Hand darauf. Das war wohl gefehlt. Der Verwundete fühlte in seinem Halbschlaf nur einen neuen Druck, dessen er sich entledigen musste. Er versuchte es durch einen heftigen Ruck.
»Schlaf, Gisbert!« suchte Horst ihn zu beruhigen.
Der Kranke fuhr auf, wie aus einem ängstlichen Traume.
»Liege ruhig, lieber Gisbert.«
Der Kranke erkannte die Stimme.
»Ah Du, Franz!«
Er lag ruhig.
Aber Franz Horst kam es vor, als wenn durch den Ruck und das Auffahren der Verband sich verschoben habe. Er sah näher hin. Er entdeckte Blut, frisches Blut. Der Verband musste gelockert sein; vielleicht war es noch schlimmer.
Horst erschrak. Einen Augenblick horchte er, ob der Arzt noch immer nicht komme.
Er hörte nichts.
Dann war schnell sein Entschluss gefasst. Ohne schleunige Hilfe konnte, musste der Verwundete verbluten.
Er ging in das vordere Zimmer.
Gretchen lag dort auf dem Sofa.
»Gehen Sie zu dem Kranken, Gretchen. Ich hole den Arzt. In fünf Minuten bin ich wieder da.«
Das Mädchen erschrak wie er.
»Was ist es, Herr Horst?«
»Hoffentlich nichts. Sorgen Sie nur, dass er sich nicht rührt. Unter keinen Umständen.«
Er eilte fort.
Gretchen ging zu dem Kranken. Er schlief, und wieder ruhiger. Sie setzte sich an sein Bett. Sie überwachte mit dem angst- und hoffnungsvollen hübschen Gesicht seinen Schlaf.
In dem vorderen Zimmer öffnete sich die Tür, vernahm man einen Schritt.
»Der Herr Horst schon zurück?« dachte Gretchen.
Aber es war nicht der Schritt eines Mannes.
»Meine Mutter! Sie will sehen, wie es hier steht.«
Aber es war auch nicht die Mutter.
Die nur angelehnte Tür des Krankenzimmers wurde geöffnet.
Eine schwarze Maske schaute in das Zimmer.
Als sie nur das Mädchen bei dem Kranken sah, trat sie ganz hinein.
Hatte die schwarze Maske gegenüber den ganzen Abend an ihrem Fenster gelauscht und beobachtet, bis der letzte der Begleiter des Freiherrn, die sie bei ihm wusste, gegangen war?
»Er schläft!« flüsterte ihr Gretchen bittend entgegen.
Die schöne, feine Gestalt der schwarzen Maske schlich auf den Fußspitzen näher.
»Er ist verwundet?« fragte sie das Mädchen.
»Wie Sie sehen.«
»Schwer?«
Gretchen stand auf, ging in eine Ecke des Zimmers und winkte der Dame, ihr zu folgen.
Die Maske folgte ihr.
Und dort, wo der Kranke auch ihr leisestes Flüstern nicht mehr hören konnte, sagte das brave Mädchen mit ihrer leisesten Stimme zu der Dame:
»Er soll sehr gefährlich verwundet sein. Die große Pulsader unter dem Arm ist ihm durchgehauen. Die Herren waren alle besorgt für sein Leben. So eben wird der Arzt gerufen.«
»O mein Gott!« rief die Dame.
Sie rang die Hände. Sie wollte durch das Gemach eilen. Sie besann sich, dass sie kein Geräusch machen dürfe. Sie musste sich in anderer Weise Luft machen.
Sie riss die schwarze Maske vom Gesicht.
Gisbertine, Freiin und Freifrau von Aschen, stand in ihrer vollen Schönheit da.
Das Gesicht zeigte die Furcht, die Angst, die Sorge, den Schmerz, die Vorwürfe, die ihr Inneres zu verzehren drohten. Sie konnten seine vornehme, so echt aristokratische, blendende Schönheit nicht verwischen.
Gretchen, die hübsche Aufwärterin, stand bestürzt vor ihr. Ein scharfer Stachel hatte sich ihr wohl tief in das junge Herz gebohrt. Sie blieb wie festgebannt in dem dunklen Winkel des Zimmers stehen, als wenn sie einer solchen Schönheit gegenüber nicht mehr an das Licht hervortreten dürfe, als wenn ein Gefühl der Vernichtung über sie gekommen sei.
Gisbertine setzte sich an das Bett des Kranken. Sie nahm Gretchens Platz ein.
Gretchen wehrte es ihr nicht.
»Sie muss ja ein Recht dazu haben«, sagte sie sich.
Aber dann musste sie sich doch fragen: »Wer ist sie denn, dass sie ein Recht dazu hat?«
Gisbertine beugte sich mit dem schmerzvollen Gesichte über den Kranken. Sie wollte ihre Lippen auf seine Stirn legen, nur hauchend. Sie wagte es nicht.
Er schlief. Er hatte nichts von dem wahrgenommen, was geschehen war. Er schlief wieder ruhig.
Gisbertine sah seinen ruhigen Schlummer. Da kam ihr ein anderer Gedanke. Sie sah sich nach dein Mädchen um. Sie hatte ihm etwas zu sagen.
»Ich werde die Nacht hier bleiben, bei dem Kranken wachen. Wären Sie so gut, in meine Wohnung drüben zu gehen und es meiner Jungfer zu sagen? Sie weiß nicht, wo ich bin.«
Sie sprach nicht stolz wie am Morgen; sie war freundlich gegen das Mädchen; ihr scharfes und erfahrenes Auge hatte ihr wohl in den paar Augenblicken das etwas leicht empfängliche, aber doch ganz unschuldige Herz des Kindes gezeigt.
Gretchen ging gehorsam.
Gisbertine sah wieder nach dem Kranken. Er schlief noch ruhig. Aber er lag so blass, so erschöpft da; man sah, wie der Blutverlust ihm alle seine Kräfte genommen hatte; es hätte ihr ängstlich werden müssen, hätte sie nicht seinen Atem gehört. Wie ganz anders mochte sein Aussehen gewesen sein, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte! Wie mochte er damals frisch, gesund, blühend gewesen sein! Und warum war er jetzt so ganz anders? Was hatte ihn, den Mann, der längst über die Studentenjahre und Studentenduelle hinaus war, ihren, Gisbertinens Gatten in dieses Leben und Treiben wieder hineingeworfen?
Gisbertine starrte in schmerzlichem Nachdenken ans den Kranken.
Sie überhörte in ihrem tiefen Schmerze fast, dass jemand die Treppe heraufkam und in das vordere Zimmer trat.
Sie musste doch aufmerksam werden. Es war ein schwerer, ein so besonders schwerer Tritt. Die Aufwärterin war es nicht; die konnte auch noch nicht zurück sein. Gisbertine СКАЧАТЬ