Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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»Nach Wesel?«
»Kümmere Dich um Deine Sachen, und meine pack’ ein.«
»Werden Hochwürden Gnaden lange ausbleiben?«
»Sechs Wochen, acht Wochen, wie es kommt. Wir gehen nach Hofgeismar.«
»Euer Gnaden wollten ja erst später hin.«
»Ich fahre jetzt. Mach’ Dich fertig!«
Der Bediente ging.
Der Domherr ordnete in seinen Papieren, nahm Geld, verschloss Sekretäre und Kommoden, kleidete sich für die Reise an. Alles ging rasch, wie im Fluge, und doch nicht übereilt. Er war fertig, als der alte Diener wieder in das Zimmer trat.
»Hochwürden Gnaden, der Wagen ist angespannt.«
»Und die Koffer?«
»Gepackt und aufgeschnallt.«
»Und Du?«
»Reisefertig, wie Euer Gnaden sehen.«
»Und der Hauswirt?«
»Benachrichtigt und instruiert.«
»Komm!«
Er verließ das Zimmer, das Haus.
Der Diener folgte ihm.
Draußen auf der Straße hielt der mit vier Extrapostpferden bespannte Wagen.
Der Domherr stieg hinein.
Der Bediente setzte sich hintenauf in das Coupé des Wagens.
Der Domherr sagte zu dem Postillion:
»Schwager, wenn Du die Meile in einer halben Stunde fährst, so bekommst Du außer Deinem gesetzlichen Trinkgeld einen Krontaler, sonst nichts, als was Dir zukommt. Du kannst es Deinem Nachfolger auf der nächsten Station sagen, und der kann es weiter sagen, so weit ich fahre.«
Der Postillion hieb auf seine Pferde, und Pferde und Wagen flogen dahin, dass man meinte, der Wagen oder die Straßen Düsseldorfs müssten einbrechen. Aber der Reisewagen des Domherrn war gut, und auch die Straßen Düsseldorfs sind es.
Um zehn Uhr abends war der Domherr in Wesel.
»Frische Pferde, nach Münster hin, in einer Viertelstunde«, bestellte er.
»Wo wohnt hier die Kriegsrätin Fahrner?« fragte er dann.
Man nannte ihm eine Straße.
»Weit von hier?«
»Fünf Minuten.«
»Führen Sie mich hin!«
Er wurde hingeführt zu einem kleinen alten Hause in einer engen Nebengasse.
Das Haus war verschlossen; die Bewohner lagen schon im Schlafe, wenigstens meist; er musste eine Klingel ziehen, dann lange warten.
»Wie kann man so früh schlafen gehen?« schalt er. »Und gar am Rhein und in einer so schönen Sommernacht? Aber was ist hier der Rhein und die Sommernacht? Gott erbarme sich über all den Jammer, die Schmerzen, das Blut, das Elend, die Verzweiflung, die diese Nacht begräbt!«
Die Tür wurde geöffnet.
»Wer ist da?« fragte eine verschlafene Magd.
»Wohnt hier die Kriegsrätin Fahrner?«
»Ja.«
»Zu Hause?«
»Ja, aber zu Bett.«
»Dienen Sie bei ihr?«
»Ja.«
»Wecken Sie sie.«
»Sie wollen sie sprechen?«
»Warum würde ich sie sonst wecken lassen?«
»Ihr Name?«
»Ein Fremder.«
Die Magd ging kopfschüttelnd in das Haus zurück und ließ die Tür offen stehen.
Der Domherr folgte ihr eine Treppe hinauf.
Oben musste er wieder warten.
Er schalt nicht wieder.
»Die arme Frau!« sagte er. »Vielleicht hat sie sei langer Zeit zum ersten Male einen ruhigen Schlaf. Ich stehle ihn ihr für lange Zeit.«
Die Magd kam zurück.
»Treten Sie hier ein. Die Frau Kriegsrätin wird sogleich kommen.«
Sie führte ihn in ein kleines Stübchen.
Es waren wenige, alte und veraltete Möbel darin, aber alles war sauber und ordentlich. Es war so recht ein kleines bürgerliches Zimmer einer kleinen Beamtenfamilie, vielleicht einer Beamtenwitwe.
Kriegsrat war damals in Preußen ein Titel für Sekretäre und andere Subalternbeamte der Militärbehörden.
Eine ältliche Frau erschien, gedrückt, etwas leidend.
»Frau Kriegsrätin Fahrner?« fragte der Domherr.
»Mein Name, mein Herr. Und wen habe ich die Ehre…?«
»Mein Name tut nichts zur Sache, wenigstens vorläufig nicht. Madame. Sie sind Witwe?«
»Schon seit länger als Jahresfrist.«
»Sie haben eine Tochter? Agathe heißt sie.«
Die Frau sah ihn erschrocken an.
»Mein einziges Kind!« sagte sie.
»So! Ist sie bei Ihnen?«
»Nein.«
»Haben Sie Nachricht von ihr?«
»Haben Sie welche, mein Herr?« fragte die Frau rasch, mit angehaltenem Atem.
»Nein! Ich wollte mich eben bei Ihnen nach ihr erkundigen.«
»O mein Gott!« rief schmerzlich die Witwe.
»Erzählen Sie mir von ihr, Madame«, sagte der Domherr.
Die Frau sah ihn zweifelhaft an.
»Sie können es wagen, Madame«, sagte er. »Ich suche Ihre Tochter, um für sie zu sorgen, und mich dünkt, ich sehe nicht aus wie ein Spitzbube.«
Die Frau sah ihn an.
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