Название: Gesammelte Werke
Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962816148
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Sie erkannte ihn nicht, aber sie leistete ihm keinen Widerstand und hörte auf zu schreien. Albert drang in sie spanisch redend mit den süßesten Namen und den heißesten Bitten: sie hörte ihn, die Augen starr und ohne ihn zu sehen oder ihm zu antworten; aber auf einmal raffte sie sich auf, gab sich auf ihrem Bette eine kniende Stellung, und begann eine Klausel aus dem Te Deum von Händel zu singen, das sie kurz zuvor gelesen und bewundert hatte.
Nie war ihre Stimme ausdrucksvoller und herrlicher gewesen. Nie hatte sie so schön ausgesehen, als in dieser ekstatischen Stellung mit dem flatternden Haare, mit der fiebrischen Glut auf den Wangen und mit den Augen, die im Himmel, der nur ihnen offen lag, zu lesen schienen.
Das Stiftsfräulein wurde so ergriffen, dass auch sie am Fuße des Bettes auf die Knie sank und in Tränen zerfloss, und auch der Kaplan neigte, ungeachtet seiner geringen Erregbarkeit, das Haupt, von religiöser Ehrfurcht ergriffen.
Kaum hatte Consuelo ihre Klausel geendet, als sie aus tiefer Brust aufseufzte: eine himmlische Freude glänzte auf ihrem Gesichte.
– Ich bin gerettet! schrie sie und sank rücklings nieder, bleich und kalt wie Marmor, die Augen noch geöffnet, aber erloschen, die Lippen blau und die Arme steif.
Ein Augenblick der Stille und des Grausens folgte diesem Auftritt. Amalie, die auf der Schwelle des Zimmers stehend, regungslos und ohne sich näher zu wagen, diesem schauerlichen Schauspiel beigewohnt hatte, fiel vor Entsetzen in Ohnmacht. Das Stiftsfräulein und die beiden Frauen sprangen hinzu, um sie aufzuheben. Consuelo blieb ausgestreckt und kalt liegen, auf Albert’s Arm ruhend, der seine Stirn auf den Busen der Sterbenden gedrückt hatte und nicht mehr Leben als sie selbst verriet.
Das Stiftsfräulein hatte kaum Amalien auf ihr Bett legen lassen, als sie wieder in Consuelo’s Zimmer trat.
– Nun, Herr Kaplan? fragte sie mit kraftloser Stimme.
– Gnädigste, es ist der Tod! antwortete der Kaplan dumpf und ließ Consuelo’s Arm fallen, dessen Puls er aufmerksam befragt hatte.
– Nein! es ist nicht der Tod! Nein, tausendmal nein! rief Albert, heftig aufspringend. Ich habe ihr Herz besser befragt, als Sie ihren Arm. Es schlägt noch, sie atmet, sie lebt. O, und sie soll leben! Nicht so, nicht jetzt soll sie enden! Wer hat die Vermessenheit gehabt, zu glauben, dass Gott ihren Tod verhängte! Nein, jetzt ist der Augenblick, sie mit Erfolg zu behandeln. Herr Kaplan, Ihre Schachtel! Ich weiß, was ihr Not tut, Sie wissen es nicht. Unglücklicher, gehorchen Sie mir! Sie haben ihr nicht geholfen, Sie konnten diese schreckliche Krise abwenden, Sie haben es nicht getan, Sie haben es nicht gewollt. Ihr habt mir ihre Krankheit verborgen gehalten, ihr habt mich betrogen, alle! Ihr wolltet sie also zu Grunde richten! Euere elende Ängstlichkeit, euere scheußliche Tatlosigkeit haben euch Zunge und Hände gebunden. Ihre Schachtel, sage ich, und lassen Sie mich machen.
Und da der Kaplan zögerte, ihm die Arzneien anzuvertrauen, die in den unerfahrenen Händen eines überspannten und halbtollen Menschen Gift werden konnten, entriss sie ihm Albert mit Gewalt. Taub gegen die Einwendungen seiner Tante, wählte und mischte er selbst die starken beruhigenden Mittel, welche schnell wirken konnten.
Albert verstand viele Dinge besser als man dachte. Er hatte an sich selbst zu einer Zeit, wo er sich noch über die häufigen Unordnungen seines Gehirns Rechenschaft gab, die Wirkung der kräftigsten niederschlagenden Mittel studiert. Von raschem Blick geleitet, von Mut und Eifer beseelt, gab er Dosen, welche der Kaplan nicht zu empfehlen gewagt hätte. Es gelang ihm mit unglaublicher Geduld und Sanftmut, die Zähne der Kranken aus einander zu bringen und ihr einige Tropfen der kräftigen Arznei einzuflößen.
Nach Verlauf einer Stunde, während welcher er ihr mehrmals eingab, atmete Consuelo frei; ihre Hände wurden wieder warm und ihre Züge beweglich. Sie hörte und fühlte noch nichts, aber ihre Abspannung war eine Art Schlaf und ihre Lippen färbten sich wieder ein wenig.
Der Arzt langte an, und da er den Fall bedenklich fand, erklärte er, man habe ihn sehr spät gerufen und er stehe für nichts. Man hätte schon am vorigen Abend zur Ader lassen sollen, jetzt sei der Augenblick nicht günstig. Der Aderlass würde die Krise zurückführen. Es wäre schlimm, schlimm!
– Er wird sie allerdings zurückführen, sagte Albert, aber man muss dennoch Blut lassen.
Der deutsche Arzt, ein schwerfälliger Mann, sehr von sich eingenommen, und gewohnt, in jener Gegend, wo er ohne Nebenbuhler praktizierte, wie ein Orakel gehört zu werden, schlug seine dicken Augenlider empor und blinzelte den Menschen an, der sich erkühnte, so den Knoten zu durchschneiden.
– Ich sage, man muss zur Ader lassen, wiederholte Albert mit Nachdruck. Mit oder ohne Aderlass wird die Krise zurückkehren.
– Mit Verlaub! sagte der Doctor Wetzelius, dieses ist keinesweges so leicht, als Sie zu vermeinen scheinen.
Hierbei lächelte er etwas verächtlich und ironisch.
– Wenn die Krisis nicht wiederkehrt, entgegnete Albert, so ist alles verloren, das müssen Sie wissen. Diese Schlafsucht würde geradesweges zur Lähmung der Nerventätigkeit, zum Schlagfluss, zum Tode führen. Es ist Ihre Pflicht, sich der Krankheit zu bemächtigen, ihre Gewalt wieder zu wecken, um sie zu bekämpfen, mit einem Wort, zu arbeiten. Wo nicht, wozu sind Sie da? Gebet und Bestattung ist nicht Ihres Amtes. Schlagen Sie die Ader oder ich tue es selbst.
Der Doctor wusste wohl, dass Albert recht hatte, und er hatte sich СКАЧАТЬ