Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays
Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027205639
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Es hört also etwas in mir, was Ich nicht höre. Nicht wahr?
Ja, aber die Nichtexistenz – bitte, bitte; ich bin ganz ungeduldig. Sehen Sie, die können Sie mir nicht beweisen; aber trösten Sie sich, Sie sind trotzdem ein großer Mann, Sie können ruhig unserm Herrgott als Schaufel dienen, mit der er den Menschen Verstand in die Köpfe schaufelt.
Falk wurde müde; in seinem Gehirne fing sich Alles an zu verwirren. Er wiederholte sich nur, wiederholte seine eigenen Worte und Sätze.
Plötzlich sah er das Kloster vor sich.
Merkwürdig, daß er den Kirchhof vorher nicht gesehen hatte.
Marit! – Marit ...
Herr Gott, wie kam er nur jetzt auf Marit?
Er wurde nervös. Warum er sich nur so plötzlich an Marit erinnerte!
Er dachte nach, blieb stehen, ging in die Runde; merkte es, ging wieder, wurde ärgerlich; wurde wieder eifriger im Denken, Schweiß trat ihm auf die Stirn, plötzlich hatte er es.
Er war ganz glücklich.
– Sehen Sie, Herr Redakteur, Sie Allwisser, Sie drittes Auge unsers lieben Herrgotts, sehen Sie sich doch nur diesen Fall an. Ich bitte Sie, in welcher Beziehung steht Marit zu diesem Kloster?
Ja, selbstverständlich, sie war in einem Kloster erzogen; daran habe ich früher gedacht, nicht heute. Aber sagen Sie mir, wie kam wohl die Beziehung jetzt in meine Seele?
Sie wissens nicht; nun, ich werd es Ihnen sagen.
Sehen Sie, ich habe eine große Wut gegen die Klöster im allgemeinen, weil mir ein Kloster meine Marit verpfuscht hat. Und nun brauche ich ein Kloster nur zu sehen, und sofort denke ich an Marit. Und wenn ich hundert tausend Klöster sähe, würde ich immer und jedesmal an Marit denken.
Da drin in dem erstaunlichen Wundersinn hat sich sofort eine unlösliche Verbindung gebildet. Verstehen Sie?
Und dann ging ich, als ich darüber nachdachte, ganz unbewußt hier auf dem Wege in der Runde, bis ich es merkte. Wissen Sie, weshalb?
Weil ich beim denken im Zimmer herumzugehen pflege, und ich denke fast immer im Zimmer.
Sehen Sie, mein Herr, gehen Sie ins physiologische Laboratorium und merken Sie auf. Ich nehme hier eine Ratte, nun trage ich ihr ganze Gehirnteile ab bis an die Brücke; selbstverständlich wissen Sie wieder nicht, was Brücke im Gehirn heißt. Ja, das muß ein Mensch wissen, der Anspruch auf Bildung erhebt. Nun sehen Sie, die Ratte ist ganz dumm; sie fühlt nichts, hört nichts; sie empfindet nichts; sie ist einfach geistig tot. Nun sollen Sie ein Wunder schauen. Ich nehme eine Katze und prügle sie: die Katze miaut. Sehen Sie, sehen Sie: wie die Ratte unruhig wird, wie sie weglaufen will!
Wissen Sie nun, was der erstaunliche Wundersinn, der Individualsinn, ist?
Übrigens sind Sie mir der gleichgültigste Mensch von der Welt, verstehen Sie? Das heißt, sie sind ein Esel!
Aber Falk konnte sprechen, was er wollte, denken, woran er wollte, um sich abzulenken und absichtlich zu zerstreuen: durch alles schimmerte ein heißer Untergrund: Marit – Marit ...
Plötzlich fühlte er einen heftigen Ruck: Denkt so ein normaler Mensch?
Er ging in Fieberschauern. Angst stieg in ihm auf. Ihm war, als rolle er in einen öden Abgrund und alles würde weggefegt von der Welt. Nun hörte das Denken auf, und nur das furchtbare fieberische Angstgefühl wurde immer wüster. – Alles schwarz, öde trostlos. Dann wurde wieder Licht in seinem Kopfe; das Leben, das nun kommen sollte, mit dieser Unruhe, dieser ewigen Qual und Sehnsucht, rollte sich vor seinen Blicken auf.
Ja, wozu denn? wozu?
Wozu das alles. Wozu quäle ich mich. Wozu all diese Anstrengung, dies ganze Hin- und Herrennen, nur um das lächerliche Gelüste des Geschlechtes zu befriedigen?!
Er lachte höhnisch.
Ist es nicht idiotisch?
Aber wieder fühlte er die Angst, eine unerhörte, wahnsinnige Angst, wie er sie niemals vorher gefühlt, und mit starren, aufgerissenen Augen keuchte er hervor:
Warum? Warum?
Er sprang über den Graben mit jähem Ruck, und kam zur Besinnung. Ihm war, als würde er von Bestien gehetzt.
Nun mußte er denken, ganz vernünftig und logisch denken; das würde ihn beruhigen.
Aber immer griff durch all sein Denken das furchtbare »Warum?« hindurch.
Er suchte sich das vorzustellen.
Er sei also ein Instrument in der Hand eines Dinges, das er nicht kenne, das in ihm tätig sei, das tue, was es wolle, und sein Gehirn sei nur ein ganz gewöhnlicher Handlanger.
Wenn er jetzt Marit verführe, so sei es nicht seine Schuld. Nein, durchaus nicht. Er müsse es tun; es sei seine fixe Idee.
Nicht wahr, Herr Falk? Es ist da eine ganz fest Ring an Ring gereihte Kette, an die sich immer neue Ringe mit Notwendigkeit anreihen.
Irgend eine psychische Spiralfeder, ein psychisches Uhrwerk wurde aufgezogen, durch tausend äußere Umstände aufgezogen, und nun müssen sich die Ringe und Räder meiner Handlung eben drehen!
Gut: ich widerstrebe, ich kämpfe dagegen. Aber selbst das Widerstreben ist von vorn herein bestimmt. Und da ich unterliege, so unterliege ich eben. Ich muß.
Ja: er sei Aktor und Zuschauer zugleich, sei zugleich auf der Bühne und sitze im Parkett. Nein: er sitze über sich und konstatiere mit einer Art Übergehirn, daß in seinem gewöhnlichen Gehirne etwas vorgehe.
Falk überkam eine furchtbare Traurigkeit.
Nein, wozu quäle er sich nur?
Er könne ja nicht ankämpfen, er müsse die Hände in den Schoß legen, er müsse alles gehen lassen, wie es wolle, nein, wie es müsse.
Ja, müsse, müsse ...
Falk war sehr abgespannt.
Wie ein Regenbogen nach einem Gewitter erschien ihm plötzlich das Gesicht eines Knaben. Ein Gefühl der Sehnsucht übermannte ihn, ein würgendes Mitleid mit sich selbst, eine Sehnsucht nach Menschen.
So kam er in die Stadt. Er mußte vor dem Hause des Landrats vorbei. Aus der Tür traten grade der Redakteur und der junge Arzt.
– Wohin sind Sie denn so plötzlich verschwunden?
Falk wurde etwas verwirrt.
– Er habe Fräulein Kauer nach Hause begleitet; der Kutscher sei nämlich sinnlos betrunken gewesen, und da wäre es nicht ratsam gewesen, ihm das junge Mädchen anzuvertrauen.
– Ob er nicht bei Flaum noch einen Schlafpunsch nehmen möchte.
Falk besann sich. Wieder fühlte er die lauernde Angst. Nur nicht allein sein; nein, um Gotteswillen nicht.
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