Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski
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Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays

Автор: Stanislaw Przybyszewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027205639

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СКАЧАТЬ nur ein Vorschmack des Geschlechtes, und schon war er satt.

      Morgen werde freilich eine Reintegration eintreten; aber es war eine unleugbare Tatsache, daß er sich heute Abend, ja, heute Abend den 28. April satt fühle.

      Also liebte er Marit nicht, denn dieses Gefühl hatte er niemals bei seiner Frau empfunden. Nein; niemals.

      Ja, und die ganze Zeit nach der Umarmung vorhin: Er hatte deutlich gefühlt, wie eine Art Ha?, Scham, ja, Scham, wie nach einem Verbrechen, Scham vor sich selbst und vor ihr, zwischen ihnen hin- und herwogte.

      War es Glück?

      Nein!

      War es Schmerz?

      Ja, ganz gewiß: Schmerz und Scham! Aber die echte, die nicht suggerierte Liebe, die Liebe, die entsteht, weil sie entstehen muß, die Liebe, die kein Gehirn hat, kein Denkorgan, nur zwei Herzbeutel und eine Aorta, diese Liebe kennt keine Scham.

      Nein, gewiß nicht! Er dachte an sein Liebesverhältnis zu seiner Frau. Sie nahmen sich, weil sie sich nehmen mußten, und waren glücklich. – Was ist es also?

      Ja, was ist es?

      Nun, bitte, Herr Erik Falk: Sie sind Angeklagter und Ankläger zugleich. Sie sind Herr Falk und Herr X.

      Also, Herr X, Sie beschuldigen mich, daß ich ein Mädchen verführt und somit zerstört habe.

      Nun hören Sie: Sie sind ein intelligenter Mensch, und ich kann vor Ihnen mit einem Arsenal von Gründen vorfahren.

      Also: Hors la methode point de salut. Methodisch und systematisch, Herr X!

      Primo entstand in mir die Suggestion, daß ich dies Mädchen besitzen muß. Da nun eine ähnliche Suggestion niemals vorher in mir entstanden ist, so muß ich sagen: Diese Suggestion ist eine außergewöhnliche, und in Folge dessen verdient sie eine ganz besondere Aufmerksamkeit.

      Falk untersuchte pedantisch, ob er etwas nicht exakt genug präzisiert habe.

      Ja, es ist also eine außerordentliche Suggestion. Wie sie entstanden ist, weiß ich nicht. Ich kann nämlich tausend Dinge nennen, die sie erzeugt haben mögen; ich nenne sie zuweilen auch, aber ich weiß, daß mein Gehirn mich belügt, daß ich sozusagen der Hahnrei meines Gehirnes bin, und so sage ich: den Ursprung dieser Suggestion kenne ich nicht. Ich vermag nur ihren Charakter zu erkennen: sie ist eine geschlechtliche Suggestion. Sie war es von Anfang an ...

      Falk dachte an eine Reihe von Gefühlserlebnissen, die in dieser Richtung lagen.

      Zuerst am dritten Tage ihrer Bekanntschaft: Sie war auf dem Bahnhof gewesen, um einen eiligen Brief in den Kasten des Zuges zu werfen. Er hatte sie in der Stadt getroffen, ja, an dem Eckhause, in dem der Uhrmacher wohnt. Sie wurde verlegen und er auch. Warum wurde er verlegen? Er hatte sich gleich erstaunt danach gefragt. Dann begleitete er sie und sprach viel; ja, worüber sprach er doch gleich? Richtig, über Religion.

      – Halt, da liegt ein wichtiges Argument!

      Herr X, bitte, können Sie mir sagen, warum ich gleich von Anfang an, ohne ein klares Bewußtsein des Endzweckes, mich drauf kapriziert habe, ihre religiösen Dogmen zu zerstören?

      Ja, bitte sehr, sie kennen mich doch und wissen, daß es mir absolut gleichgültig ist, ob ein Mensch glaubt oder nicht. Sie wissen auch, daß ich selten von meinen Ideen spreche, weil ich es als unfein betrachte, Suggestionen aufzudrängen.

      Nun sehen Sie, Herr X, bevor ich dessen bewußt war, arbeitete schon mein Geschlecht mit folgerichtiger Logik in mir und argumentierte so: So lange sie Religion hat, werde ich sie niemals besitzen, folglich ist das Religiöse in ihr der erste und wichtigste Angriffspunkt.

      Sie können mir wirklich glauben, Herr X, ich kann Ihnen versichern, daß ich nicht einen Augenblick dran dachte, das Mädchen zu besitzen, bevor ich nicht an jenem Tage die Stimme des Blutes zu hören bekam.

      Sehen Sie, es war grade am Kirchhof, dicht unter der Birke, deren Zweige über den Zaun hängen, da merkte ich plötzlich – es mag wohl etwas Persönliches in meine Rede gekommen sein – wie meine Stimme eine sonderbare Tendenz bekam, ins Flüstern, ins vertrauliche Raunen umzukippen, und dann fühlte ich ein eigentümliches Glühen um meine Augen, und die Haut unter den Augen fühlt ich sich in kleine Fältchen legen, wodurch der Ausdruck meiner Augen etwas faunhaftes bekommt.

      Dies letzte fühlt ich deutlich, weil ich diese Fältchen zuerst bei meinem Vater gesehen habe, als er sich in unsre Gouvernante verliebte. Ich habe sie dann ganz vergessen, bis ich sie mal plötzlich vor drei Jahren in einer Art Vision wieder deutlich vor mir sah. Seitdem denk ich immer an sie.

      Ja, nun wußte ich bestimmt: es ist das Geschlecht.

      Und nun wuchs es in mir und wuchs unaufhörlich und ließ mir keine Ruhe, und nun muß ich; ja, ich muß! warum? ich weiß es nicht.

      Ja, ja, ich kenne Sie, Herr X: Sie interessiert das Thema. Sie möchten Ihre Weisheit glänzen lassen, die Frage lösen und mit Gründen belegen.

      Bien; ist gut. Ich kann nämlich folgendermaßen argumentieren: Die Periode des Weibes ist von dem Einfluß des Mondes abhängig.

      Wieso? werden Sie erstaunt fragen.

      Hören Sie also. Das erste Lebewesen war ein Seetier; der Mond hat bekanntermaßen einen großen Einfluß auf das Wasser, und selbstverständlich wird der Einfluß, der auf das Medium einwirkt, sich auch auf das Lebewesen, das in diesem Medium lebt, erstrecken. Das Lebewesen vererbt nun diesen regelmäßig wiederkehrenden Einfluß auf seine Nachkommen als eine fertig organisierte Eigenschaft: quod erat demonstrandum.

      Ja, gut, sehr gut. Ich weiß, daß Sie durchaus nicht so entfernte Gründe ... »an den Haaren herbeiziehen« sagen Sie? nun gut, also an den Haaren herbeizuziehen brauchen; aber auch die nächsten Gründe haben denselben Wert.

      Falk drehte sich um. Ihm war, als hörte er den Redakteur hinter seinem Rücken grinsen: Dann glauben Sie wohl am Ende an die vierte Dimension?

      – Ja, wissen Sie, Herr Redakteur, Sie sind ein Mann der positiven Ideen und des positiven Lebensganges. Sie sind ein Rationalist und ein Materialist. Ich ehre Sie und schätze Sie sehr hoch; aber so lange Sie mir die Nicht-Existenz dreier Wesen zwischen Uns Beiden – »Uns« groß gedacht, weil wir uns gegenseitig zu schätzen wissen –ja, so lange Sie die nicht beweisen können, werd ich auch nicht aufhören, die Möglichkeit einer solchen Dimension zuzugeben.

      Weil Sie das nicht sehen, noch riechen, noch hören? Nun, das ist kein Beweis. Man kann nämlich hundert Sinne in latentem Zustand haben, die sich später einmal im Menschengeschlecht entwickeln werden. Wissen Sie z. B., daß man neulich einen neuen Sinn gefunden, der sich Organsinn betitelt? Nun, man wird bald noch mehr neue Sinne finden, so z. B. einen Individualsinn, der das riecht und hört, was Sie selbst nicht riechen oder hören können.

      Daran glauben Sie nicht?

      Ja, dann erklären Sie mir folgende Tatsache. Ich träume, die Tür wird aufgerissen, ein Mann tritt herein. Ich springe erschreckt vom Bett: kein Mensch im Zimmer. Erst nach etwa drei Minuten kommt wirklich mein Bekannter. Nun bedenken Sie: das Haus, das ich damals bewohnte, war 100 Meter weit vom nächsten Hause entfernt.

      Vor meinem Hause war eine Wiese, die alle Schritte fast unhörbar machte. Und doch hat etwas in mir die Schritte meines Bekannten auf eine Entfernung СКАЧАТЬ