Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski
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Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays

Автор: Stanislaw Przybyszewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027205639

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СКАЧАТЬ Oh nein, Fräulein Marit, das war gar nicht herrlich gesprochen; gegen jeden dieser Sätze ließen sich tausend Einwände machen. Aber das mag wohl gut sein für die Herren, die ihre Weisheit aus dem Kreisblatt schöpfen und höchstens noch aus irgend einer konservativen Zeitung, die nur Gott und den Kaiser im Munde führt. Übrigens das vom Papste fanden Sie auch gut gesprochen?

      Marit beeilte sich zu antworten.

      – Ja gewiß; sie habe jetzt viel, sehr viel über alle diese Sachen nachgedacht, und sie müsse ihm völlig Recht geben. Ja, er habe in den meisten Dingen Recht, das habe sie nun eingesehen.

      Falk sah sie verwundert an. Darauf war er nicht gefaßt gewesen. Das war wirklich eine merkwürdige Metamorphose.

      – Warum sind Sie diese ganzen zwei Tage lang nicht gekommen? Ich habe Sie fortwährend erwartet und mich unerhört gequält. Ja, ich habe mich sehr gequält, das muß ich Ihnen offen sagen.

      – Liebes, gutes, gnädiges Fräulein, das werden Sie wohl am besten wissen. Ich wollte einfach die Ruhe Ihres Gewissens nicht stören. Ja, und dann, wissen Sie, bin ich sehr nervös und darf mich nicht allzusehr der süßen Qual hingeben, sonst könnte der Strang reißen.

      Falk lächelte.

      Inzwischen gesellte sich zu Ihnen der Redakteur. Er konnte den Trinkspruch auf den deutschen Kaiser nicht verdauen und wollte nun Falk aufs Glatteis führen.

      – Er möchte doch wissen, wie Herr Falk sich zu den anarchistischen Mordtaten stelle. Er sei doch ein Seelenkenner, ein Psychologe; wie wolle er die erklären?

      – Ja, Sie sind sehr wißbegierig, Herr Redakteur. Sie verlangen wohl nicht von mir, daß ich hier mein politisches Credo ablege; aber wir können ja die Dinge von einer Vogelperspektive aus betrachten.

      Ich begreife die anarchistische Propaganda der Tat, denn um diese handelt sichs ja hier, sehr gut; ich begreife sie als eine unerhörte Empörung gegen die soziale Gerechtigkeit.

      Ja, wir Satten, wir, die das Privileg haben, nichts zu arbeiten oder wenigstens uns eine Arbeit auszusuchen, die uns ein Genuß ist, wir nennen es Gerechtigkeit, wenn unsere Brüder in Christo um vier oder fünf Uhr Morgens aufstehen müssen, zwölf Stunden ununterbrochen tagelöhnern, uns Privilegierte bedienen. Nun, ich brauche Ihnen wohl nicht aufzuzählen, welche Dinge wir als sozial gerecht ansehen. Aber Sie müssen begreifen, daß es Menschen gibt, die sich damit nicht aussöhnen können, die sich gegen eine solche Gerechtigkeit in naiver Wut auflehnen. Nun, die Wut kann, wenn sie durch gewisse Umstände noch begünstigt wird, wie z. B. vergebliches Suchen nach Arbeit, also Arbeitslosigkeit, oder Hunger oder Krankheit, sich zu einer Höhe steigern, daß sie geradezu in Wahnsinn umkippt.

      Und nun nehmen Sie einen Menschen, der Tag aus, Tag ein sich solche Beispiele unerhörter sozialer Grausamkeit ansieht, nehmen Sie einen Menschen, der Zeuge ist, wie die Arbeiter bei einem Streikaufruhr wie Hunde totgeschossen, wie sie durch gewaltige Kapitalien ausgehungert und in ihrem berechtigten Widerstand lahmgelegt werden: glauben Sie nicht, daß solche Beispiele dieser unseren sozialen Gerechtigkeit genügen, um bei einem Menschen, der ein starkes Herz hat, eine Rachsucht zu erzeugen, die sich blindlings an dem ersten besten von den sozial Privilegierten sättigen will – sättigen muß?!

      Unser Herz ist abgestumpft, mein Herr; unser Herz ist schwach und borniert, wie unsere Interessen es sind; es hat Auge und Ohr nur für unsre eignen kleinlichen Zustände. Aber nehmen Sie einen Menschen, der stark und überschwenglich und kindlich genug ist, um sich als eine ganze Welt zu fühlen – ja nehmen sie beispielsweise jenen Henry: was hat ihn zu seinen Mordtaten getrieben?

      Ein Herz, ein großes Herz, dessen Macht wir abgestumpften, kleinen Egoisten nicht begreifen können! ein Herz, das mit furchtbarer Resonanz auf all den Jammer, all die Ohnmacht ringsherum antwortete!

      Er wurde zum Verbrecher, freilich; aber er war kein gewöhnlicher Verbrecher. Er war Verbrecher aus Empörung, ein Entrüstungsverbrecher. Das ist ein großer Unterschied. Im Effekt natürlich kommt es auf dasselbe hinaus; aber wir sind doch wohl in unserer Urteilskraft schon so weit vorgeschritten, daß wir nicht nach dem Erfolg, sondern nach Motiven Kategorien zu bilden anfangen können.

      Um Falk herum hatte sich eine Gruppe gebildet, die aufmerksam zuhörte.

      Der Redakteur hielt jetzt die Gelegenheit für günstig, Falk vor den reaktionären Elementen bloßzustellen.

      – Sie entschuldigen also die anarchistischen Mordtaten vollkommen ... Der Redakteur grinste schadenfroh ... Sie hätten also Henry ohne weiteres begnadigt?

      Falk überflog die um ihn stehenden Menschen mit den Augen und sagte sehr ruhig.

      – Nein, das hätte ich nicht getan. Ich gehöre selbst zu den Privilegierten, riskiere also im nächsten Augenblick bei einer Explosion in die Luft zu fliegen, befinde mich also in einer Art Notwehr, die den Tod Henrys unerläßlich macht. Gleichzeitig aber sage ich mir: von meinem Standpunkt habe ich Recht, aber Henry hatte von seinem aus Recht. Er ging durch die soziale Gerechtigkeit oder vielmehr soziale Willkür zu Grunde, die allein Macht und Recht gibt. Sie werden sich wohl aber denken können, daß die soziale Willkür sich ebenso gut auf Henrys Seite stellen könnte, und dann würde Henry als ein großer Held gepriesen werden. Nehmen Sie z. B. einen Krieg: ist er nicht ein gewaltiger Massenmord? Aber im Kriege zu morden, ist – süß und ehrenvoll, wie jener Römer singt.

      Na ja; das gehört nicht zur Sache. Aber ich bitte Sie, mich nicht mißzuverstehen. Wir sehen die Dinge von einer Vogelperspektive aus. Ich sage nur: ich kann eine solche Empörung verstehen.

      Wir haben nämlich alle die psychischen Keime in uns, aus denen sich nachher die intensivsten Formen von Mord, Raub, u. s. w. entwickeln können. Daß sie es nicht tun, ist reiner Zufall. Übrigens glaube ich, daß wir solche Empörung alle verstehen können. Wie oft hat nicht ein jeder von uns sich diesem Gefühl schon hingegeben!

      Falks scharfe Augen entdeckten den Direktor, der etwas abseits stand.

      – Sehen Sie, meine Herrn, ich ging z. B. vorgestern in meiner Empörung so weit, daß ich der so hochgeschätzten, so wohlverdienten Person des Herrn Direktors Ohrfeigen angeboten habe.

      Die Umstehenden sahen sich unwillkürlich mit diskretem Lächeln nach dem Direktor um.

      – Ja, ich bereue es aufrichtig; aber im Momente einer intensiven Gefühlsaufwallung habe ich es getan.

      Weswegen? – Ja, meine Herrn, wenn man über die Schriften eines Mannes empört ist, so geht man wahrhaftig nicht in die Schule und läßt seinem Grimm vor dummen Knaben in etwas unzivilisierten Ausdrücken freien Lauf.

      Nein, das tut ein Gentleman nicht. Vielleicht ist das hier zu Lande Sitte, aber ich bin an europäische Sitten gewöhnt.

      Ja richtig, Herr Redakteur: Sie haben Recht, wenn Sie mich an das Resumé erinnern.

      Das Resumé? Hm, ja, das Resumé. Ich begreife den Anarchismus als Propaganda der Tat, ich kann ihn mir erklären. Ich kann alle psychischen Bestandteile, aus denen sich die Idee eines politischen Mordes entwickelt, einen nach dem andern prüfen, zerlegen, verstehen, ebenso wie ich die Affektformen verstehen, zerlegen und betrachten kann, die in ihrer gesteigerten Intensität zum gewöhnlichen Wahnsinn werden, zu einer Manie, einer Melancholie u. s. w. u. s. w.

      Nein, mit Falk ließ sich nichts anfangen; er war glatt wie ein Aal.

      Der Redakteur entfernte sich beschämt.

      Marit stand СКАЧАТЬ