Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski
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Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays

Автор: Stanislaw Przybyszewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027205639

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СКАЧАТЬ Falk immer in einen Disput und ließ sich das Brot schneiden, weil Falk im Eifer niemals merkte, wie beschwerlich es war.

      Und plötzlich: Herrgott, zwei Minuten über voll. Die Bücher zusammengerafft und in eiligstem Galopp in die Schule. Er voran, Mikita hinterdrein, humpelnd. – Ob er das Überbein jetzt kuriert hatte? Nun merkte Falk gewöhnlich, daß er hungrig war, Mikita hatte das ganze Brot aufgegessen – der herrliche Kerl.

      Dann ...

      Falk stockte.

      »Brand« aufs Erotische übertragen. Alles oder Nichts ...

      Er stockte wieder.

      Er hatte eigentlich Janinas ganze Zukunft zerstört. – Hm, warum sie nur von ihm nicht lassen konnte? Und wie er sie gequält hatte mit den Brandschen Forderungen und der Brandschen Härte.

      Ja, er mußte wohl eine Art Hypnose auf sie ausgeübt haben. Wie war es sonst möglich, daß sie von zu Hause weglief und ihm nachreiste?

      Unangenehm. Er hatte sie ja niemals geliebt. Er wollte ja nur zusehen, wie sich bei einem Mädchen die Liebe entwickelt. Ja, er wollte eine Biogenese der Liebe schreiben. Kein übler Gedanke für einen achtzehnjährigen Jungen. Nun, er hatte damals Büchner und das »triste cochon« Bourget gelesen.

      Er mußte sie doch mal besuchen.

      Nein lieber nicht. Wenn sie ihn nur vergessen könnte.

      Falk stand auf und ging gedankenvoll auf und ab.

      Es ist doch schändlich, sie immer von Neuem zu verführen und dann hinterdrein sich auf einen überlegenen Standpunkt zu stellen und klar zu machen, daß Liebe überwunden werden muß, daß sie ein rudimentäres Gefühl sei, eine Art pathologischen Ausschlags in dem Geistesleben des modernen Menschen.

      Ja, darin war er unvergleichlich.

      Wenn sie nur ein bißchen froher werden möchte.

      Er hörte sie, wie sie ihm auf seine höhnenden Erklärungen antwortete:

      – Ich würde Dir nur das eine wünschen, daß Du Dich einmal verliebst ...

      Wie naiv sie war. Nein – nein ...

      Liebe?! – Hm ...Was war das eigentlich?

      Der alte Herr in Königsberg, der hat es durchschaut. Liebe ist doch wohl sicher eine krankhafte Äußerung ... Ja, er mußte es wissen.

      Er zündete sich eine Zigarette an und legte sich lang hin aufs Sofa.

      Was Mikita jetzt wohl malte?

      Es war doch eine unglaubliche Kraft in dem Menschen. Sich so mühsam durchzuringen und nicht einen Strich vom Wege abzulenken.

      Jetzt hätte er schon reich werden können, wenn er es wie die Andren machen wollte.

      Diese schreckliche Zeit auf der Universität.

      – Hast Du zehn Pfennig, Mikita?

      Mikita hatte nichts, er hatte den ganzen Morgen alle Sachen durcheinandergeworfen in rastlosem Suchen nach dem 10 Pfennigstück, das sich doch irgendwo verkrochen haben mußte.

      – So werden wir hungern.

      – Allerdings. Mikita ließ sich in seiner Arbeit nicht stören. Du – übrigens ist das Geld jetzt sehr billig. Der russische Staat hat seine Schulden konvertiert.

      – Ja, ja – ich weiß schon.

      – Na also! Mikita malte weiter.

      Und sie hungerten. Gräßlich!

      Falk schüttelte sich.

      Halb verrückt war er geworden. – Sonderbar, daß er es nicht ganz wurde. Wie er einmal ganz kraftlos auf der Straße stehen blieb und beinahe überfahren wurde.

      Schließlich hatten sie nur eine Hose. Mikita mußte in Unterhosen malen, wenn Falk ins Kolleg ging.

      Nun lachte Falk laut auf.

      Er erinnerte sich, wie die Mutter den Gutsinspektor mit dem Gelde zu ihm schickte. Sie hatte den Wald verkauft. Dann gingen sie alle drei in eine Kneipe und verblieben da vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein. Der Inspektor kroch auf allen Vieren die Treppe hinauf. Mikita zog ihn beständig an einem Bein herunter, bis der Inspektor ihm in seiner Entrüstung einen starken Schlag mit dem Absatz grade auf die Nasenwurzel versetzte.

      O Gott! Wie der Inspektor sich übergeben wollte und den Kopf durch die Scheibe hindurchsteckte, weil er das Fenster nicht aufmachen konnte ...

      Und nun dachte Falk wieder an seine Hungerperiode und an die Mutter, die doch immer geholfen hatte.

      Ihn überkam eine weiche Zärtlichkeit.

      Ja, ja, die Mutter, die Mutter ...

      Na, Mikita wird schön gehungert haben in Paris.

      Die armen Bahnbrecher!

      Er lachte höhnisch.

      Aber nein! Zum Trotz! Nicht eine Linie nachgeben, lieber verhungern.

      Er dachte nach.

      Was war es eigentlich? Was hielt ihn aufrecht trotz all der Beschimpfungen, all der Mißerfolge?

      Er legte sich wieder hin.

      Die große, die herrliche Kunst, die eine neue Welt aufsucht, eine Welt, die hinter der Erscheinung, hinter dem Bewußt-Gedachten, hinter jeder Äußerungsform liegt – eine Welt, so unfaßbar fein, daß die Zusammenhänge sich verwischen und ineinanderfließen – eine Welt in einem Blick, einer Geste ...

      Herrlich!

      Und die neuen Symbole ... Ja, ja – das neue Wort, die neue Farbe, der neue Stimmungston ...

      – Alles dagewesen ...

      – Nein, nein, verehrter Herr, nicht Alles. Nicht der Schmerz, der über dem Schmerze steht, nicht die Freude, die zum Schmerze wird, nicht der ganze neue Vorstellungsinhalt, in dem alle Sinne ineinandermünden ... ja, ja ... all die tausend Empfindungswerte, die zwei, drei, höchstens zehn brave Zeitgenossen nachzuempfinden verstehen ... Das alles nicht dagewesen, sonst würde es auch schon die Menge verstehen, die hundert Jahre nötig hat, um einen Gedankenbrocken durchzukauen.

      Nun, es war doch am Ende sehr gut, daß man nicht von jedem Preßbuben verstanden wurde, sonst müßte man sich vor sich selbst schämen ...

      Er schaute der Rauchwelle nach, die sich in einem feinen Streifen von der Zigarette loslöste und sich in seltsamer Windung nach oben hinaufwand.

      So sah er einmal einen Bach gemalt auf einem chinesischen Bilde.

      Plötzlich kam ihm vor, als höre er Mikitas Stimme.

      Ja, er erinnerte sich, nie wieder hatte er diese unsagbar mystische Stimmung erlebt. Er war damals krank, konnte nicht die Augen aufmachen, das ganze Gesicht war aufgeschwollen.

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