Название: Pitt und Fox, die Liebeswege der Brüder Sintrup
Автор: Friedrich Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066113377
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Dieser Schafskopf! dachte Herr Sintrup, ich war so schön mit ihr im Gange, und Pitt ist doch ein prächtiger Junge! — Er sann über einen neuen Witz nach, fand aber keinen, fühlte sich infolgedessen, unbeachtet wie er war, plötzlich auf einem allgemeinen öden Nullpunkt, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und wandte sich dem Weine zu.
Fräulein Nippe erachtete jetzt den Zeitpunkt für gekommen, sich Herrn Sintrup zu nähern.
Für uns sind dergleichen Dinge nicht! sagte sie in einem halb konstatierenden, halb leise überredenden Tone gleichgestimmter Seelen: Ich habe mein Leben lang ohne Mathematik auskommen können, und Sie als Kaufmann haben weiß Gott an ernstere, schwierigere Dinge zu denken. Haben Sie mehrere Söhne? — Jawohl, noch einen, nickte Herr Sintrup. — Ist er ebenfalls — wird er auch studieren? — Höchstwahrscheinlich! sagte Herr Sintrup in einem vollkommen geschäftsmäßigen Ton; aber Fräulein Nippe hörte einen Unterton. Ja, sagte sie, es ist traurig, wenn ein Vater sein großes, blühendes Geschäft immer weiter ausgestaltet, und sich am Ende sagen muß: Für wen habe ich gearbeitet? Es geht ja doch alles in fremde Hände über. — Sehr vernünftig, wirklich vernünftig! — Dann wird Ihr großes Haus aber recht einsam, wenn Ihre Kinder beide fort sind; oder haben Sie noch Töchter? — Nee; — ja ein bißchen öde wird es wohl, zudem meine Frau im Grunde doch recht leidend ist, seit netto dreieinhalb Jahren. — Ach! — Fräulein Nippe machte ein tief bedauerndes Gesicht; zugleich aber war ihr, als habe sie plötzlich viele Stufen mit einem Male übersprungen. — Ja, sagte sie, und dann ein ganzes, großes Hauswesen führen, das strengt an; zumal wenn keine Töchter da sind. Da sollten Sie sich doch nach einer Hausdame umsehen, um die Frau Gemahlin zu entlasten. — Das kann ich ja auch mal, wenn es nötig ist, das ist doch furchtbar einfach. — So furchtbar einfach ist das nicht! meinte Fräulein Nippe bedenklich: Herzensbildung, wahre Herzensbildung gehört dazu, und die findet man sehr, sehr selten. Ich habe selbst einmal länger einen Haushalt geführt. Wie war der vorher verwahrlost, durch gemütsrohe Damen, die vor mir da waren! —
Holla! dachte Herr Sintrup; sollte die Absichten haben? Sich einnisten wollen, um später, wenn die Frau tot ist, den Mann zu heiraten? Dabei schoß ihm eine andere Idee durch den Kopf; er sah nach seiner Uhr, steckte sie aber beruhigt wieder ein. — Nein, nein, sagte er, mir genügt schon, wenn die Person keine silbernen Löffel stiehlt. —
Fräulein Nippe fuhr ein klein wenig zurück, als wolle sie einem Stäubchen ausweichen, das an ihrer Nase vorüberflöge. Und Herr Sintrup redete weiter: Brauche bloß zu annoncieren, am nächsten Morgen steht der ganze Vorplatz voll. — Ja, aber ich meine doch — Fräulein Nippe stockte. — Was meinen Sie? fragte Herr Sintrup und grinste einfach.
Der Nachtisch wurde aufgetragen. — Seid Ihr da unten immer noch nicht fertig? Wer jetzt noch rechnet, kriegt keinen Champagner, das ist mal sicher! — Gleich! antwortete Herr Könnecke, als ob Herr Sintrup sein Direktor wäre. Der Pfropfen sollte mit einem Knall zur Decke springen. — Das ist hier nicht üblich! hauchte der Kellner. — Üblich oder nicht: Knallen soll er! Und Herr Sintrup öffnete persönlich die zweite Flasche. — Ach der liebe Hund! sagte Fräulein Nippe, die verärgert auf ihrem Stuhl saß, er fürchtet sich und ist zu mir gekommen! Sie nahm das Hündlein auf den Schoß, streichelte und küßte es, und da es faul bei ihr verharrte, meinte sie, es habe sich schon ganz an sie gewöhnt: Tiere haben einen viel freieren Instinkt als die Menschen; sie fühlen sofort wer sie lieb hat: sehen Sie nur wie er mich ansieht! Sie drückte es zärtlich an sich. Wie heißt denn dieses Tier? fragte Herr Sintrup, der die Gläser füllte, mit einem etwas boshaft musternden Blick. — Eigentlich heißt es Lili! sagte Elfriede. Fräulein Nippe fand, als sich nun alle zum Anstoßen der Gläser erhoben, einen schicklichen Grund, sich dieses Tieres sogleich wieder zu entledigen. — Ach Gott, schmeckt das mal wundervoll! sagte Herr Könnecke, und als Herr Sintrup die Gläser zum zweiten Male füllte, fragte er selbstvergessen: kann ich auch noch? — Herr Sintrup wandte sich jetzt ausschließlich wieder zu Elfriede; er zwinkerte von ihr zu Pitt und von Pitt zu ihr, und sagte, wie wenn er einen Satz verschluckt hätte: Na, in ein paar Jahren werden wir uns hoffentlich wieder sprechen. Er war nicht mehr nüchtern, seine Anspielungen wurden immer deutlicher, und dann wollte er gern ihr „süßes kleines Händchen“ küssen. — Luft, Luft, rief Fräulein Nippe plötzlich, man erstickt hier ja! eilte zum Fenster, öffnete es und verharrte an der Gardine. Herr Könnecke, der nun nicht mehr beweisen konnte und sich ohne seine Cousine unbehaglich zu fühlen begann, folgte ihr, unter dem Vorwand, das Fenster wieder zu schließen, falls es kalt würde. — Sie starrte verdrossen in die Nacht hinaus; ach geh doch! sagte sie unwirsch, und befangen zog er sich langsam wieder zurück. — Herr Sintrup hatte inzwischen rasch ein paar aufklärende Worte an Elfriede und Pitt gerichtet, und sagte jetzt: Paßt mal auf, wie ich die wieder rumkriege! — Er erhob sich, trat zu ihr hin, reichte ihr ein neues Glas und sagte: Also besinnen Sie sich vielleicht doch noch? — Wieso? fragte sie mißtrauisch. — Nun, ich dachte mir, an der einen Erfahrung als Hausdame hätten Sie genug, und deshalb fragte ich nicht weiter. Aber wenn Sie einmal Lust haben sollten, dann ließe sich ja weiter über die Sache reden. — Zunächst konnte sie vor Überraschung nicht viel erwidern und sagte nur: O bitte. — Erst allmählich ward ihr alles klar: Wie grundfalsch hatte sie diesen Mann beurteilt! Nichts, gar nichts hatte er bemerkt! Sie hatte die Unterhaltung dahin dirigiert, wohin sie sie haben wollte, und er meinte, er habe dies getan! Freilich, daß er sagte, er wolle keine Person, die silberne Löffel stehle, und dabei schon an sie dachte — nein, ganz fein war das nicht; aber er meinte das ja gar nicht so! Reiner Widerspruchsgeist gegen ihre eigene vorher geäußerte Meinung über das Ideal einer Hausdame; Männer widersprechen doch so gern! Und daß er ihr einmal geradezu ins Gesicht lachte — mein Gott, ein bißchen plumpe Kindlichkeit, ja geradezu Verlegenheit war das gewesen! Dieser Mann wollte ganz einfach, ganz natürlich behandelt werden! Sie streckte ihm die Hand entgegen und sagte: Also: Ein Mann — ein Wort! — Was verabredest du denn da mit Herrn Direktor? fragte Herr Könnecke neugierig. — Ich werde bei Herrn Direktor Hausdame! sagte sie mit Genugtuung. — Ihm war, als fiele er irgendwo herunter und er sah sie flehend an. — Sie lächelte gönnerhaft: Einmal muß ja doch geschieden sein, daß es nun so bald geschähe, hätte ich freilich auch nicht gedacht. — Sie trank den Rest aus ihrem Glase. — Na, so bald ist es hoffentlich nun nicht! meinte Herr Sintrup. — Sie wollte gerade antworten: Hoffentlich wohl doch! als ihr die Situation wieder einfiel. — Allerdings! sagte sie zartfühlend; hoffen wir, daß es noch recht — noch ziemlich lange dauert! Sie reichte ihm wieder die Hand, als wenn sie sich soeben verlobt hätten, und Herr Sintrup schnitt ein vergnügtes Gesicht. — Herr Könnecke war noch immer in seiner Erstarrung: der ganze Champagner schmeckte ihm nicht mehr. Jetzt flüsterte Pitt ihm zu, alles sei nur ein Scherz; sein Vater habe es ihm selbst gesagt; er erlaube sich öfter solche Scherze. Da fühlte sich Herr Könnecke wie von einem Eisenpanzer befreit, er empfand plötzlich eine starke Lebensfreude und sagte unvermittelt: Schiller ist doch wirklich der größte Dichter! Ich verstehe zwar nicht viel von Literatur und komme selten ins Theater, aber immer wenn Wilhelm Tell gegeben wird, denke ich: da möchte ich rein! Ich gehe auch manchmal in Wilhelm Tell, und ich kann mir nicht helfen: immer wenn er auf den Apfel zielt, denke ich: Jetzt trifft er’n nicht und schießt den Jungen tot! Maria Stuart habe ich auch mal gesehen, aber das mag ich nicht so gerne; ich denke immer: Wozu reden die soviel, es hilft ja nichts, — sie wird ja doch enthauptet. — Das verstehst du eben nicht! rief Fräulein Nippe, du hast keinen Sinn fürs rein Poetische! Ach, immer wenn die Worte kommen: Eilende Wolken, Segler der Lüfte, — da weine ich jedesmal meine Naht ’runter! 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