Pitt und Fox, die Liebeswege der Brüder Sintrup. Friedrich Huch
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Название: Pitt und Fox, die Liebeswege der Brüder Sintrup

Автор: Friedrich Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066113377

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СКАЧАТЬ jetzt hatte sie allmählich resigniert, und nur gelegentliche kleine Bitterkeiten und vor allem Bloßstellungen vor andern waren die einzige Genugtuung für das Verlorene.

      Jetzt kam sie sich unwürdig behandelt vor, sie hatte Verantwortung vor dem Hause im allgemeinen, sie saß pikiert und kühl auf dem Stuhle und tat als sei Pitt überhaupt nicht da. Dabei brannte ihr die Frage auf der Lippe, und endlich konnte sie sich nicht länger beherrschen: Woher kennen Sie eigentlich meine Schwester? fragte sie über den Tisch hinüber. Der Ton klang für alle unerwartet, so gereizt war er. — Pitt fühlte sich augenblicklich in einem altgewohnten Fahrwasser, es machte ihm Freude, diese junge Dame zu ärgern, und er sagte: Von der Straße! Es folgte eine kurze Pause. — Mit andern Worten: Sie haben sie auf der Straße gesehen und sind dann einfach in unser Haus gekommen? — Ganz richtig! entgegnete er in einem Tone, wie etwa ein Lehrer die Antwort eines Schülers begrüßt, den er auf den rechten Weg geleitet hat. — Was für ein kindlicher Grobian! dachte Frau van Loo und sah ihn halb mit Sympathie, halb mißbilligend an. — Das ist ja höchst eigentümlich! sagte Hedwig. — Eigentümlich? fragte Elfriede, mit einem aggressiven Blick von ihrem Teller her, ich möchte wissen, was dabei eigentümlich ist! — Sagen wir einfach, bemerkte Frau van Loo, und warf einen stillen Blick zu Hedwig hinüber, Herr Sintrup ist ein Findelkind, das wir in unserm Hause entdeckt haben. Aber Hedwig reizte dieser Blick, den sie als eine stumme Zurechtweisung empfand; sie überhörte die einlenkenden Worte ihrer Mutter, die ihr abgeschmackt erschienen, und fragte mit plötzlicher Taktlosigkeit, wie sie zuweilen aus ihrem gesellschaftlich sicheren Benehmen hervorsprang: Woher stammen Sie? Was ist Ihr Vater? Elfriede legte mit einem Ruck die Gabel auf den Tisch. In diesem Augenblick trat der Diener wieder ein, Frau van Loo half mit gesellschaftlichem Geschick über die Situation hinweg. Aber die Stimmung war einmal gestört, und Elfriede war froh, als das Essen beendet war.

      Sie stand einen Augenblick mit Pitt allein im Wohnzimmer, während Frau van Loo mit Hedwig zurückblieb. — In Elfriedens Gesicht waren immer noch Spuren von dem harten, besonderen Ausdruck von vorhin. Wie heftig sie für ihn Partei genommen hatte! Er betrachtete sie mit Wärme und wartete, daß sie zuerst sprechen solle. Und doch schoß — er wußte selbst nicht wie das kam — in seinem Gefühl der Dankbarkeit zwischendurch der wunderliche Gedanke auf: Ob ihr erster Satz wohl mit Sie oder mit ich anfängt? — Aber Elfriede schwieg. So redete keines, bis Frau van Loo eintrat. Jetzt erzählen Sie mir von Ihrem Spaziergang! sagte sie und trat zu ihm heran, als er sich langsam in den besten Sessel niederließ. — Gerade wollte ich mich da auch niederlassen! meinte sie in einem freundlich resignierten Ton. Er stand gleich wieder auf und sagte: Ja, es ist der bequemste Stuhl im ganzen Zimmer. Eigentlich hatte Pitt keine rechte Lust zu erzählen, aber undeutlich empfand er sein Benehmen als einen Mißklang zu diesem Raum und zu Frau van Loo selbst; so überwand er sich und geriet schließlich in ein fließendes Sprechen; und plötzlich interessierte es ihn selber, zu erfahren, wieviel von allem in ihm haften geblieben war, und er nannte so viel kleine Einzelheiten, daß Elfriede ganz erstaunt fragte: Ich dachte, das hätten Sie alles überhaupt nicht wirklich gesehen und bemerkt. — Habe ich auch nicht, aber hier — er deutete auf seine Stirne — hat sich trotzdem alles aufgespeichert. — Dies erinnerte Elfriede irgendwie an die Geschichte mit den Eckzähnen und dem Geburtstag, sie erzählte beides; Frau van Loo hörte etwas skeptisch lächelnd zu. Wollen Sie den Jungen einmal sehen? fragte sie, und bat Elfriede den Kasten mit den Photographien zu bringen. — Hier haben Sie Harald als Faun verkleidet, von einer Aufführung her. Pitt sah das Bild einen Augenblick an, fand sein eigenes inneres ziemlich bestätigt und damit war seinem Interesse Genüge getan; denn er entdeckte Bilder von Elfriede, die ihn weitaus mehr anzogen, und fragte, ob keine Lupe da sei. Die übrigen Verwandten, über die sein Blick flüchtig hinging, beurteilte er nur nach der Ähnlichkeit mit ihr selber, so daß Elfriede sagte, er täte so, als ob sie die Stammutter des ganzen Geschlechtes sei. — Waren Sie einmal so sentimental? fragte er erstaunt, indem er von einem kleinen Bilde zu ihr aufsah, auf dem ihre Augen groß und schwärmerisch blickten, unter einer breiten, weichen Haarfrisur. — Sie nahm es ihm wortlos aus den Händen, riß es mitten durch und warf es ins Kaminfeuer. — Aber Elfriede! sagte Frau van Loo, das wonnige Bild; — und verlangte, daß sie es wieder heraushole aus den Flammen, die es schon verzehrt hatten, während Elfriede etwas unruhig auf Pitts Hände sah, welches Bild von ihr sie nun gefaßt halten würden; das ist Hedwig! sagte sie; ich würde mich nie im Trauerkostüm haben photographieren lassen! — Dies Bild war bald nach dem Tode ihres Vaters gemacht worden, und Hedwig hatte es Frau van Loo zu Weihnachten geschenkt. Elfriede war froh, daß sie nicht zugegen war. Gewiß hätte sie jetzt gesagt: Mein Vater ist im indischen Meer gescheitert, — mit einem Tone, als wenn sie sagte: Nelson fiel in der Schlacht bei Trafalgar. — Mit einem Male klappte sie den Kasten zu: Sie haben nun genug gesehen! sagte sie in einem plötzlichen instinktiven Impulse. —

      Bald darauf erhob er sich und meinte, er müsse nun nach Hause. Frau van Loo hielt ihm vergeblich die Fingerspitzen zum Handkuß hin, und als Pitt begann, das ganze Zimmer nach seinem Hut, der draußen im Vorplatz hing, abzusuchen, bis es ihm endlich einfiel, und er wieder in Stillstand geriet, sagte sie: Sollten Sie öfter in unser Haus kommen, Herr Sintrup, so will ich Sie etwas erziehen; Sie scheinen die Mühe wert zu sein! —

      Es kamen jetzt schöne, stille Wochen für ihn. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte er sich glücklich. Das was er gesucht hatte, schien er gefunden zu haben: einen Menschen, mit dem ihn eine wachsende Zuneigung verband. Stillschweigend nahm er sich vor, in dieser Stadt so lange zu studieren, wie Elfriede bleiben werde, und wenn sie nach Paris ging, würde er ihr nachfolgen. Er ging jetzt regelmäßiger zur Universität, und mußte lächeln, wenn er daran dachte, wie er sich dort in den ersten Wochen beschäftigt hatte; da hatte er sich auf die hinterste Bank gesetzt, die Rückenansichten aller vor ihm Sitzenden studiert und kurze Bemerkungen darüber in sein Notizbuch eingetragen, und in den Pausen war er herumgegangen und hatte eingehend ihre Gesichter gemustert, immer in der Hoffnung, irgend einen Menschen zu finden, der anders wäre als die andern. Dies war nun vorbei, sie interessierten ihn nicht mehr in Beziehung auf sich selbst, er fühlte sich im Verkehr mit Elfriede ausgefüllt. —

      Daneben las er viel. Eines Tages bekam er im Lesesaal der Bibliothek ganz zufällig ein philosophisches Werk in die Hände; lange Zeit las er stehend darin, schob es endlich achtungsvoll auf seinen Platz zurück, merkte sich ihn, kam von diesem Werk auf andere, und so vertiefte er sich allmählich in eine Welt, die ihm der seinigen irgendwie verwandt erschien. So kam es, daß er auch philosophische Vorlesungen hörte und die juristischen allmählich ganz vernachlässigte, ohne jedoch seinen Plan, Jurist zu werden, aufzugeben.

      Hedwig fand sich mit seinem Dasein ab, zumal die Spuren von Frau van Loos Erziehung sich angenehm an ihm zeigten: Seine Kleidung wurde gewählter und unter ihrer Anleitung sogar geschmackvoll, und sein Benehmen glättete seine etwas ungehobelte Oberfläche; allerdings gab es darin immer noch einige Aststellen, die niemals ganz mit dem übrigen zusammengehen wollten, aber das lag an Hedwig selbst, die nicht die geeigneten feinen Messer besaß, gerade über diese Stellen hinzugehen.

      Das Haus der van Loos wurde ihm zu einer stillen Insel. In seinem eigenen Zimmer fühlte er sich niemals wohl; dort erfaßte ihn stets die alte Unruhe, und wie früher zu Haus von Stube zu Stube, zog er von Wohnung zu Wohnung, ohne je wirklich angeben zu können, welche Schäden und Mängel ihn dazu veranlaßten. — Ihnen fehlt die Häuslichkeit! sagte Frau van Loo; Sie müßten Menschen um sich haben, die wirklich für Sie sorgen, Sie sind zu jung, um wie ein alter Junggeselle zu hausen! — Auch Elfriede empfand das ewig Wechselnde seiner äußeren Existenz. Zuweilen brach in seinem Wesen eine Zerstreutheit, eine völlige Abwesenheit aller Gedanken durch, die sie auf seine immer wechselnde, ungewisse Lebenslage schob. Der Gedanke schoß ihr durch den Kopf, ob er nicht bei ihnen selbst wohnen könne, aber sie sagte sich sogleich, daß weder ihre Mutter noch Hedwig damit einverstanden sein würden. Da leitete sie etwas ganz Besonderes ein.

      In seinem bescheidenen Heime saß Herr Könnecke. Die Abendsuppe war gegessen, die Kartoffeln in der Schale — so recht locker, aufgebrochen wie er sie liebte — dufteten vorzüglich, das Bier schien auch noch frischer, schäumender als sonst, und es drängte СКАЧАТЬ