Название: Gestalten der Wildnis
Автор: Sir Charles G. D. Roberts
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066114022
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Ein Blick beruhigte die Mutter: ihr Kleines war unverletzt! Dann machte sie sich an die Verfolgung des Angreifers, mit einer Geschwindigkeit, die seine Flucht ganz vereitelte. Nicht fünfzig Meter weit war er gekommen, als sie schon, mit offenem Rachen, über ihm war. Er warf sich krampfhaft zur Seite, und so glückte es ihm, dem ersten Angriff auszuweichen. Mit dem Mut der Verzweiflung wand er sich unter sie, drehte sich zum Biß, kam an den Bauch der Feindin und bohrte seinen dreieckigen Rachen ein. Aber sie hatte schon halb pariert, und er fand keinen wirklichen Angriff. Wohl riß er ihr Haut und Tran aus dem Leib, aber seine Zähne erreichten kein lebenswichtiges Organ. Die tobende Mordwal-Mutter fühlte die Wunde kaum. Unter ihrer Heftigkeit sprühte und dampfte es in der Luft, sie fing den Schwanz des Hais an seiner Wurzel und zermalmte ihn zwischen den Kinnbacken.
Wenn überhaupt von einem Kampf die Rede sein konnte, war dies schon das Ende. Ein paar Minuten lang hielt das Toben noch an, warf sich das verfärbte Wasser meterhoch. Aber alles Kämpfen war auf einer Seite. Die Orca riß und preßte und zerrte das Leben aus dem Körper ihres besiegten Gegners. Als sie von ihm abließ, sank eine zermalmte Masse langsam in die Tiefen. Wieder barg sie das verängstete Kalb unter ihrer Flosse, säugte es, und dann schwamm sie ruhig dem tiefen Kanal zu, der sich zwischen den Inseln und dem Ufer hinzog, und in dem sie etwas saftigen Tintenfisch zu finden hoffte, um sich für den einen zu entschädigen, der ihr so rücksichtslos entronnen war.
Die Brise, die bisher sanft wie mit Katzenpfoten das Wasser gestreichelt hatte, bekam jetzt einen kräftigen Zug, stark genug, um die Oberfläche des Wassers tief purpurn zu färben. Sie trieb an der Küste entlang, zwischen Klippen und Eiland, ein kleines Boot vor sich her, dessen einziges Segel im Sonnenglanz leuchtete.
Zwei Fahrgäste waren in dem zerbrechlichen Fahrzeug, ein Mann am Steuer, der eine große Shag-Pfeife rauchte, und ein seidiger, brauner Jagdhund, der am Fuß des Mastes kauerte. Es war eine schwierige Küste und ein gefährliches Wasser für solch eine Nußschale. Aber der Mann war ein tüchtiger Sport-Segler, und er wußte, daß zwischen dem Hafen, den er verlassen hatte, etwa fünfzehn Meilen weit zurück an der Küste, und dem Hafen, den er erreichen wollte, ein Dutzend Meilen weiter nordwärts, mehr als ein Zufluchtsort lag, den er anlaufen konnte, falls ein plötzlicher Sturm sich im Osten erheben würde. Zwar war dies Wasser ihm fremd, aber er hatte eine gute Seekarte. Es war sein besonderes Vergnügen, unbekannte Gewässer abzusegeln, nur in der Gesellschaft seines treuen Hundes, der stets mit ihm einverstanden war, wenn es galt, einen interessanten Platz zu besuchen.
Gardner war also ein vorzüglicher Segler, sein Auge erkannte jedes Wetter-Symptom, und er hatte den Instinkt, der durch Ruderpinne und Segelleinen den Puls des Windes fühlt. Aber von Naturwissenschaft wußte er ein bißchen weniger als es einem Mann zu wünschen war, der die bevölkerte See zu seinem Spielplatz macht. Von dem Stamm der Walfische und ihren verschiedenen Abarten wußte er nur das Wenige, was er über den großen furchtbaren Tran-Wal gelesen und was er von dem lustigen und harmlosen Tümmler gesehen hatte. Daher kam es ihm nicht in den Sinn, daß er sich zurückhaltend benehmen müßte, als er den gewölbten schwarzen Rücken und das gewaltige Haupt der Orca sah, die lässig durch die Wellen strich. Wäre er ein Habitué dieser Wasser gewesen, – er hätte dem Schnabel seines Schiffes schleunigst eine andere Richtung gegeben, nur um die Orca zu überzeugen, daß er ihr Privatleben nicht zu stören beabsichtige! So aber geschah es, daß er näher heran segelte, um zu sehen, was für eine Art von Fisch oder Tier es war, dies schwarz-weiße Geschöpf, das von seiner Nähe so gar keine Notiz nahm.
In einer Entfernung von 80 oder 100 Meter bekam Gardner einen verrückten Einfall. Hier war gute Gelegenheit für einen Schuß, das unbekannte Tier würde eine wertvolle Trophäe abgeben. Er dachte nicht daran, was er anfangen sollte, wenn er diese Trophäe erst besaß. Er überlegte sich nicht, daß er mit seinem leichten Gewehr kaum eine schmerzhafte Wunde in die Tranmasse schicken konnte, die alle edleren Organe des See-Ungeheuers schützte. Er wußte nicht einmal, daß ein toter Wal auf den Grund sinkt, daß er mithin auch für den besten Schuß keinen Lohn zu erwarten hatte. Ueber ihm war einfach der Zwang, zu töten. Er warf ein Knie über das Steuerruder, um seinen Kurs zu halten, nahm das Gewehr hoch und feuerte auf einen Punkt hinter der großen Flosse der Orca – irgendwohin, wo er das Herz vermutete. Während er schoß, sprang sein Hund auf, denn er merkte, daß etwas Aufregendes geschah, legte seine Pfoten auf den Bootsrand und bellte wütend gegen das fremde schwarze Ungeheuer, das durch die Wellen rollte.
Zu Gardners Erstaunen zeichnete das Ungeheuer selbst überhaupt nicht auf den Schuß, aber unter seiner Flanke begann sofort eine wilde Bewegung. Irgend etwas dort schlug wie wahnsinnig auf das Wasser, das Ungeheuer selbst schwang sich zur Seite und starrte mit großer und ängstlicher Aufmerksamkeit auf dieses Etwas. Sie schlug mit ihrer Flosse sanft dorthin, als wollte sie das Etwas beruhigen, und dann sah Gardner, es war das Waljunge, das er geschossen hatte. Da fühlte er Gewissensbisse. Hätte er das Kalb gesehen, so hätte er weder auf die Alte noch auf das Junge geschossen, denn er war nicht einfach grausam, sondern nur gedankenlos. Ein paar Sekunden lang starrte er unentschlossen vor sich hin, dann beschloß er, das Kalb – in der Annahme, daß es tötlich verwundet war – von seinen Qualen zu befreien. Er zielte sorgfältig und schoß noch einmal. Das Echo warf den Knall von den Klippen einer Insel zurück, die kaum hundert Fuß weit ablag.
Diesmal hatte Gardner gut getroffen. Ehe noch die Echos der Entladung verhallt waren, lag das Kalb still und begann dann, langsam zu sinken. Ein paar Sekunden lang herrschte Ruhe, nur durch das erregte Bellen des Jagdhundes gestört. Die Orca schwamm langsam rund um den Körper ihres Jungen, anscheinend versicherte sie sich, daß es tot war. Dann wandte sie ihre kleinen Augen auf das Boot. Es dauerte nur einen Augenblick, aber in diesem Augenblick erkannte Gardner, daß er einen abscheulichen Fehler begangen hatte. Unwillkürlich wandte er sein Boot gegen die felsige Insel.
Während er das Steuerruder herumwarf und in Hast sein Segel freimachte, sah er, wie das Wasser unter dem schwarzen Körper der Orca aufschäumte. Sie war gut 100 Meter weit von ihm weg, aber so mächtig war ihr Ansturm, daß es war, als sei sie im Augenblick auch schon über ihm. Mit Geheul sprang der Hund in den Bug. Da das Boot in diesem Augenblick mit seiner Breite dem schrecklichen Angriff zugekehrt war, behielt Gardner seinen Sitz und gab noch einen verzweifelten Schuß ab, direkt in's Gesicht der anstürmenden Bestie. Ebenso gut hätte er mit Erbsen schießen können.
Das Gewehr fiel ihm vor die Füße, im Augenblick war es, als hätte ein Schnellzug das Boot gerammt. Es wurde aus dem Wasser gehoben, seine ganze Seite war zerschmettert, während Gardner schlank über die Spiere flog. Als er niederfiel, hörte er zum letzten Mal seinen braunen Hund heulen. Um nicht in das Segel verwickelt zu werden, das auf ihn niedersackte, tauchte Gardner unter und schwamm an fünfzehn Fuß weit unter dem Wasser. Seinem Tauchen und dem Umstand, daß das Segel ihn vorübergehend versteckt hatte, dankte er zweifellos sein Leben. Er war ein Meisterschwimmer, und in wahnsinniger Eile strebte er jetzt auf die Insel zu, mit Paddelschlag, den Kopf fast immer unter Wasser. Die Orca bemerkte zunächst seine Flucht nicht. Der unglückliche Hund hatte durch sein Gebell ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, ihn hatte sie ergriffen und in dem Augenblick, in dem er ins Wasser fiel, zermalmt. Dann hatte sie ihre Wut gegen das Wrack des Bootes gerichtet, sie hatte es zerrissen, zu Brennholz gemacht, indem sie es in ihren mächtigen Rachen nahm und schüttelte, wie ein Terrier eine Ratte schüttelt. Nach diesen Taten kehrte sie sich zur Insel hin, und jetzt fielen ihre todbringenden Augen auf die Gestalt des schwimmenden Mannes.
Ihr Ansturm war wie der eines Torpedos, aber Gardner legte schon seine tobenden Hände auf das Riff. Dies Riff, eine Felsnase, die kaum zwölf Zoll breit war, wurde grade noch von der See überwaschen. Er fühlte, daß hier kein Zufluchtsort war. Aber grade über ihm, etwa in seiner halben Höhe, СКАЧАТЬ