Gesammelte Werke. Robert Musil
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Robert Musil

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026800347

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СКАЧАТЬ der Eitelkeit.

Angewandte Dichtung

      Es gibt «angewandte» Wissenschaften, die sich von den ihnen zugrunde liegenden «reinen» in vielem unterscheiden, aber auch Wissenschaft sind: so eine Angewandte Mathematik, eine Angewandte Psychologie und die technischen Wissenschaften. Nicht mit gleichem Recht gibt es auch eine Angewandte Dichtung. Zu ihr gehören alle die Dichter, die sich als Verkünder und Verbreiter einer Weltanschauung und Weltgestaltung fühlen, die nicht von ihnen selbst herrührt. Ferner, um viele Stufen tiefer, alle die, die wirken, das Publikum finden, sich dem Theater anpassen oder ähnliches wollen und sich darauf berufen, daß der Dichter für seine Zeitgenossen schreibe und sich also nach ihnen richten müsse. Sie hat es immer gegeben, und sie sind in der Mehrzahl. Eine völlige Trennung ihrer auf Anwendung bedachten Anschauungen von denen der reinen Dichtung ist nun freilich weder wünschenswert noch hat sie je bestanden; aber wenn sie den Ton angeben und der zugrunde liegende Unterschied nicht beachtet oder gar mißachtet wird, wie es seit langem wieder der Fall ist, verfällt eine Literatur unaufhaltsam.

Gibt es dumme Musik?

      Erst wenn von dem, was an ihr erlernbar und ablernbar ist, abgesehen wird, zeigt sich die Frage, ob Musik dumm sein könne, als kitzlich. Dem einen erscheint es natürlich, weil es doch auch tiefe, ja gedankentiefe Musik gebe; dem andern aber unmöglich, weil es sinnlos sei, das Urteil «dumm» auf Form und Gefühl anzuwenden. Ein unschuldiger kleiner Kunstgriff sei beiden empfohlen, man drehe einmal die Frage um: Ist vielleicht die Dummheit musikalisch? Dauernde Wiederholungen, eigensinniges Beharren auf einem Motiv, Breittreten ihrer Einfälle, Bewegung im Kreis, beschränkte Abwandlung des einmal Erfaßten, Pathos und Heftigkeit statt geistiger Erleuchtung: ohne unbescheiden zu sein, könnte sich die Dummheit darauf berufen, daß dies auch ihre Lieblingseigenheiten sind! Aber, um versöhnlicher zu schließen: die Frage, ob eine große Göttin unter dem Arm kitzlich sei, ist keine für Neugierige, sondern eine für Liebhaber.

Metaphysik der Musik

      In der Metaphysik der Musik sagt Schopenhauer, daß es in der Musik die ganze Welt noch einmal gebe. Alles lasse sich durch Musik sagen … «eine allgemeine Sprache, deren Deutlichkeit sogar die der anschaulichen Welt selbst übertrifft». Nur in dieser Sprache gebe es eine völlige Verständigung unter den Menschen. – Hätte dieser große, ausnahmsweise optimistische Pessimist doch noch das Kino erlebt!

Die Jugend

      Die Jugend überschätzt das Neueste, weil sie sich mit ihm gleichaltrig fühlt. Darum ist es ein zweifaches Unglück, wenn das Neueste zu ihrer Zeit schlecht ist.

Publikumserfolg

      Man sollte meinen, daß es schwerer sei, das Bedeutende zu erkennen, als, wenn es einmal erkannt ist, das Unbedeutende von ihm zu unterscheiden. Die Kunsterfahrung, und wohl auch die allgemeine, lehrt aber immer wieder das Gegenteil; nämlich daß es bei weitem leichter ist, eine Anzahl Menschen auf das Bedeutende zu einen, als sie davon abzuhalten, bei erstbester Gelegenheit das Unbedeutende mit ihm zu verwechseln.

Eklektizismus und historische Gerechtigkeit

      Daß Eklektizismus, der nachfahrende Geschmack, in der Kunst eine so große Rolle spielt, gibt fast ein Scherzrätsel auf, wenn man die Frage so stellt: Wie kommt es, daß sich die schlechten Künstler einer jeden Zeit die guten der Vorzeit zum Muster nehmen, und nicht deren schlechte? Das Rätsel scheint sich zu lösen, wenn man bemerkt, daß an der Stelle von «guten» auch die «anerkannten» stehen müßte. Denn der Eklektiker ist von der allgemeinen Anerkennung abhängig, er ist sogar ihr Ausdruck. Trotzdem hat sich damit die ursprüngliche Frage nur gewandelt, da doch Eklektizismus neben Abhängigkeit zweifellos auch noch den Beibegriff der Gewähltheit enthält. Was er nachmacht, muß nicht nur anerkannt, sondern auch gut sein. Auf diese Weise führt aber die Frage nach dem Eklektizismus auf eine andere. Denn wie kommt es, daß der nachlebende Erfolg den bedeutenden Künstlern gehört?

      Wie kommt es, daß die überschätzten falschen Meister mit der Erneuerung der Zeit ihre Anziehungskraft verlieren und daß die natürliche Lockung, die das Mittelmäßige auf den Mittelmäßigen ausübt, von irgend etwas anderem überwunden wird? Es setzt geradezu voraus, daß sich der schlechte Geschmack früher ändere als der gute. Ja, es setzt sogar voraus, daß er das von selbst tue, so etwa, wie das Sternenlicht nach dem Untergang der grellen Tagessonne hervortritt, und es ist nicht selten eine frohgläubige Rechtfertigung der Menschheit daraus gemacht worden. Kurz gesagt: es ist die sogenannte historische Gerechtigkeit, die sich einstellen soll, wenn die Dinge vorbei sind.

      Gibt es die also? Zum Teil ist sie natürlich bloß eine Erfindung der Historiker, die einstens ihre Tyrannen damit geschreckt haben, daß die Weltgeschichte das Weltgericht sei; zu einer Zeit, wo die Tyrannen noch nicht selbst Schriftsteller waren. In dieser guten alten Zeit standen Politik und Kultur noch zueinander im Gegensatz. Zum andern Teil gibt es aber, woran nicht zu zweifeln ist, wirklich auch einen Klärungsvorgang durch die Zeit, der beständig am Werk ist und in eingeschränktem Maße eine historische Gerechtigkeit und Klugheit genannt werden darf.

      Auch an der üblichen Erklärung dieses Vorgangs, daß seine Ursache in der «Distanz von den Ereignissen» zu suchen sei, ist nichts auszusetzen. Jeder weiß, was es heißt, ein und dieselbe Sache von verschiedenen Seiten, zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Lagen und Stimmungen anzusehen: es entsteht sowohl Abkühlung als auch Reife des Urteils daraus. Nach dem Muster dieser Erfahrung ist nun die Vorstellung der «Distanz» gebildet, die uns die gesetztere Urteilsreife der Nachwelt erklären soll. Hier ist jedoch, bei der Übertragung aus dem persönlichen Erleben ins Allgemeine, ein kleiner Unterschied zu beachten. Denn es ist nicht sowohl ein Geist, worin dieses Urteil reift, als es vielmehr die geistigen Menschen sind, die es bewirken; und historische Distanz bedeutet, daß sie sich bei uns gewöhnlich erst an den Tisch setzen dürfen, nachdem die Lebendigen gegessen haben. Die historische Gerechtigkeit kommt also hauptsächlich davon, daß sich die gesunden, lebendigen Menschen nicht über die Toten und deren Angelegenheiten aufregen. Dem verdanken wir das, was es an freier Sachlichkeit der Kunstbildung gibt; ja beinahe ließe sich überhaupt sagen, daß überzeitliche Kulturleistungen nicht der Ausdruck ihrer Zeit sind, sondern das, wohin deren Begehrlichkeit nicht gereicht hat, der Inhalt ihrer Vergeßlichkeit und Zerstreutheit.

      Der Eklektizismus wäre dann als ein Mittleres und ein Vermittler zwischen Geist und Begehren zu bestimmen.

      Aus einem Rapial [Nachlass]

      Der Wunsch ist der Vater des Gedankens! Eine Linie der Entwicklung

      Die Entwicklung der psychologischen Anschauungen die in den letzten 50 Jahren, u. schon etwas länger, stattgefunden hat, ist gut zu kennzeichnen als eine Entthronung der Vernunft u. des Verstandes in ihrer Bedeutung für das Seelenleben Menschenleben durch den Affekt. Freud hat das meiste davon bewirkt, trotzdem beherrscht er nur eine Strecke in der Entwicklungslinie, die vor ihm beginnt u. nach ihm enden wird. Vergleicht man die Zeiten vor u nach der Entdeckung des «Unbewußten», so findet sich in beiden, bloß mit entgegengesetztem Vorzeichen, dieselbe Überschätzung des «Bewußten». Heute sieht man es fast bloß als ein schattenhaftes Flämmchen an, das aus dem Talg und Öl eines Nachtlichts erwächst; ehedem spielte es in der Gefühlspsychologie die Rolle einer Bogenlampe, die in einem leeren Zimmer hängt u. nichts als seine Kahlheit sichtbar macht. (Das Zimmer war psychologisch leer u. logisch-moralisch möbliert)

      Die gleiche Entwicklung macht sich bemerklich, wenn der an sich selbst zweifelnde heutige Mensch mit der etwas in ihrem Fett versteiften Privatperson verglichen wird, mit dem Bürger, Hausvater, u. auch noch als Hausvater obrigkeitlichem Vertreter, dessen Gesicht uns durch die Bildnisse erinnerlich wird, aus denen es eingerahmt durch einen hohen Stehkragen blickt, u. durch eine würdevolle Halsbinde. Diese einst scheinbar auf sich selbst beruhende Privatperson ist ein Ergebnis der bürgerlichen Emanzipation, u. man findet u. a. auch ihre Vorbilder in den Romanen Goethes.

      Es ist der Mensch mit dem Stehkragen.

      Führt auch auf Selbstbewußtsein als Persönlichkeit. Ev. auf das frühere Waffentragen.

      Aber СКАЧАТЬ