Gesammelte Werke. Robert Musil
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Robert Musil

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788026800347

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СКАЧАТЬ Wahrheit? Denn die Verbindung von Tiefe des Vorwurfs mit Flachheit der Behandlung gilt gewöhnlich für das eigentlich Dichterische unter Deutschen. Es ließe sich viel darüber schreiben; aber erspar dir die Mühe: Daß plan gleich flach in unserer Sprache wirklich die halbberechtigte, zur Entgleisung auffordernde zweite Bedeutung von einfach, klar, verständlich und bodennah verzeichnet, drückt es schon in einem Wort aus!

      Die Wesenlosigkeit der Literatur, ihre Unfruchtbarkeit und die Wurzel dieses Übels finden sich schon, wenngleich ohne Absicht, bei Thomas a Kempis gekennzeichnet, im Kapitel von der Vermeidung überflüssiger Worte, das in der Imitatio Christi steht: «Aber warum sprechen wir so gern und erzählen einander, da wir doch selten zum Schweigen zurückkehren, ohne unser Gewissen verletzt zu haben? Darum sprechen wir so gern, weil wir durch wechselseitige Reden einander zu trösten trachten und unser von verschiedenen Gedanken ermüdetes Herz zu befreien wünschen. Und sehr gern möchten wir von diesen Dingen reden und denken, die wir sehr lieben und begehren oder die uns zuwider sind. Aber ach! Oft umsonst und vergeblich. Denn diese äußere Tröstung ist ein nicht geringer Schaden der inneren und göttlichen Tröstung.» So steht es dort und könnte auch von der wahren und falschen Dichtung gesagt sein, obwohl nicht mit einem Wort von ihr die Rede ist.

      Über den Eklektizismus und die historische Gerechtigkeit. Daß Eklektizismus, der nachfahrende Geschmack, in der Kunst eine so große Rolle spielt, gibt fast ein Scherzrätsel auf, wenn man die Frage so stellt: Wie kommt es, daß sich die schlechten Künstler einer jeden Zeit die guten der Vorzeit zum Muster nehmen, und nicht deren schlechte? Das Rätsel scheint sich zu lösen, wenn man bemerkt, daß an der Stelle von «guten» auch «die anerkannten» stehen müßte. Denn der Eklektiker ist von der allgemeinen Anerkennung abhängig; er ist sogar ihr Ausdruck. Trotzdem hat sich damit die ursprüngliche Frage nur gewandelt, da doch Eklektizismus neben Abhängigkeit zweifellos auch noch den Beibegriff der Gewähltheit enthält. Was er nachmacht, muß nicht nur anerkannt, sondern auch gut sein. Auf diese Weise führt aber die Frage nach dem Eklektizismus auf eine andere. Denn wie kommt es, daß der nachlebende Erfolg den bedeutenden Künstlern gehört?

      Wie kommt es, daß die überschätzten falschen Meister mit der Erneuerung der Zeit ihre Anziehungskraft verlieren und daß die natürliche Lockung, die das Mittelmäßige auf den Mittelmäßigen ausübt, von irgend etwas anderem überwunden wird? Es setzt geradezu voraus, daß sich der schlechte Geschmack früher ändere als der gute. Ja, es setzt sogar voraus, daß er das von selbst tue, so etwa, wie das Sternenlicht nach dem Untergang der grellen Tagessonne hervortritt, und es ist nicht selten eine frohgläubige Rechtfertigung der Menschheit daraus gemacht worden. Kurz gesagt: es ist die sogenannte historische Gerechtigkeit, die sich einstellen soll, wenn die Dinge vorbei sind.

      Gibt es die also? Zum Teil ist sie natürlich bloß eine Erfindung der Historiker, die einstens ihre Tyrannen damit geschreckt haben, daß die Weltgeschichte das Weltgericht sei; zu einer Zeit, wo die Tyrannen noch nicht selbst Schriftsteller waren. In dieser guten, alten Zeit standen Politik und Kultur noch zueinander im Gegensatz. Zum andern Teil gibt es aber, woran nicht zu zweifeln ist, wirklich einen Klärungsvorgang durch die Zeit, der beständig am Werk ist und in eingeschränktem Maße eine historische Gerechtigkeit und Klugheit genannt werden darf.

      Auch an der üblichen Erklärung dieses Vorgangs, daß seine Ursache in der «Distanz von den Ereignissen» zu suchen sei, ist nichts auszusetzen. Jeder weiß, was es heißt, ein und dieselbe Sache von verschiedenen Seiten, zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Lagen und Stimmungen anzusehen: es entsteht sowohl Abkühlung als auch Reife des Urteils daraus. Nach dem Muster dieser Erfahrung ist die Vorstellung der «Distanz» gebildet, die uns die gesetztere Urteilsreife der Nachwelt erklären soll. Hier ist jedoch, bei der Übertragung aus dem persönlichen Erleben ins Allgemeine, ein kleiner Unterschied zu beachten. Denn es ist nicht sowohl ein Geist, worin dieses Urteil reift, als es vielmehr die geistigen Menschen sind, die es bewirken, und historische Distanz bedeutet, daß sie sich bei uns gewöhnlich erst an den Tisch setzen dürfen, nachdem die Lebendigen gegessen haben. Die historische Gerechtigkeit kommt also hauptsächlich davon, daß sich die gesunden, lebendigen Menschen nicht über die Toten und deren Angelegenheiten aufregen. Dem verdanken wir das, was es an freier Sachlichkeit der Kunstbildung gibt; ja beinahe ließe sich überhaupt sagen, daß überzeitliche Kulturleistungen nicht der Ausdruck ihrer Zeit sind, sondern das, wohin deren Begehrlichkeit nicht gereicht hat, der Inhalt ihrer Vergeßlichkeit und Zerstreutheit.

      Der Eklektizismus wäre dann als ein Mittleres und ein Vermittler zwischen Geist und Begehren zu bestimmen.

      Das vergeßliche Leben. Es gibt noch heute viele Menschen, die mit Schopenhauer, und doch schon mit uns gelebt haben. Schopenhauer aber hat mit Goethe Briefe über die Farbenlehre gewechselt. Er hat unter Fichte gelitten. Wagner hat ihm den Ring des Nibelungen übersandt. Nietzsche hat ihm den Hymnus Schopenhauer als Erzieher gewidmet. Er selbst ist vor der französischen Revolution geboren worden. Wie ein zerrissenes Tuch ist heute diese dichte Verwobenheit. Und ein Paar, das aus dem Kino kommt und sich fragt: «Was fangen wir noch mit diesem Abend an?»: hat es nicht Anspruch wie das Urpaar der Menschheit geehrt zu werden?

      Der Erfolg eines Mannes bei einer Frau beginnt dann, wenn sie ihn bewundert, weil er drei große Stücke Torte zu essen vermag, oder wenn sie dazu lacht, daß er, während sich andere Männer erhitzen, bloß erklärt: «Ich habe dazu nichts zu sagen.»

      Aus der Gesellschaft. Was läßt sich antworten, wenn eine Frau erzählt: «Früher wollte ich immer nach Asien, jetzt gefällt mir Afrika besser!»?

      Aus einem Rapial

[1937]Unschuld der Kreatur

      Wo hört die Unschuld der Kreatur auf? Dort, wo das einer ganzen Tiergattung eingeborene Handeln persönliche Abwandlungen zuläßt und zu zeigen beginnt; also eigentlich mit den ersten Andeutungen von Freiheit, Verantwortung und Intelligenz!

Anfang und Ende

      Daß im Verlauf von Jahrzehnten das klug Begonnene dumm wird, wie es in jedem Volke geschieht, hat dem deutschen Geist weniger geschadet, als daß durch seinen Fleiß das dumm Begonnene allemal nach langer Zeit leidlich klug geworden ist. Wir sind zu fest überzeugt, es müsse immer so zugehn.

Literatur

      Die Wesenlosigkeit der Literatur, ihre Unfruchtbarkeit und die Wurzel dieses Übels finden sich schon, wenngleich ohne Absicht, bei Thomas a Kempis gekennzeichnet, im Kapitel von der Vermeidung überflüssiger Worte, das in der Imitatio Christi steht: «Aber warum sprechen wir so gern und erzählen einander, da wir doch selten zum Schweigen zurückkehren, ohne unser Gewissen verletzt zu haben? Darum sprechen wir so gern, weil wir durch wechselseitige Reden einander zu trösten trachten und unser von verschiedenen Gedanken ermüdetes Herz zu befreien wünschen. Und sehr gern möchten wir von diesen Dingen reden und denken, die wir sehr lieben und begehren oder die uns zuwider sind. Aber ach! oft umsonst und vergeblich. Denn diese äußere Tröstung ist ein nicht geringer Schaden der inneren und göttlichen Tröstung.» So steht es dort und könnte auch von der wahren und falschen Dichtung gesagt sein, obwohl nicht mit einem Wort von ihr die Rede ist.

Grausamkeit

      Lehrt uns nicht unser Leben, daß die Grausamkeit der Menschheit in dem Maße zunimmt, als die Grausamkeit des einzelnen Menschen abgenommen hat? Man hat die Grausamkeit wilder Völker lange mißverstanden; jetzt weiß man, daß sie den stärkeren Teil ihrer Wurzeln in gläubigen oder abergläubischen Vorstellungen hat. Aber nur umso unerklärter ist dann die weitaus gefährlicher gewordene Grausamkeit in der Zivilisation. Sollte am Ende die wirkliche Grausamkeit erst durch die Domestikation und Zivilisation entstehen? Das wilde Tier ist nicht grausam, es handelt zweckmäßig, es tötet, wenn es Hunger hat oder sich bedroht fühlt, und geht in der Kampfhandlung höchstens so weit über das Nötige hinaus, als die Erregung es verständlich sein läßt. Erst wenn ein Trieb nicht mehr der Not dient, schlägt er nach allen Seiten aus und steigert sich unermeßlich. Am grausamsten sind satte Katzen und am wildesten Hunde hinter einem Zaun.

Sonniger Schriftsteller

      Er СКАЧАТЬ