Der schwarze Atem Gottes. Michael Siefener
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Название: Der schwarze Atem Gottes

Автор: Michael Siefener

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783864020551

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СКАЧАТЬ style="font-size:15px;">      Als sie gestern in Volkach angekommen waren, hatte das Städtchen schon in tiefem Schlaf gelegen, und es war gar nicht einfach gewesen, durch das Tor hineingelassen zu werden. Alles hatte so ruhig gewirkt, so tot. Jetzt dagegen war das Leben mit all seinem Lärm, seiner Buntheit und seinen Aufregungen zurückgekehrt.

      Zu lange hatte Martin hinter Klostermauern gesessen, zu lange hatte er die Welt nicht mehr gesehen. Schon als kleines Kind war er von seinen Eltern an der Pforte abgegeben worden, weil sie ihn nicht mehr hatten ernähren können; er hatte sie nie wiedergesehen. So war das Kloster ihm Vater und Mutter geworden, und über der Betrachtung Gottes hatte er die Betrachtung der Welt völlig vergessen. Daher war er froh, als sie endlich in den Laubengang des Rathauses traten und Hilarius gegen das schwere Portal pochte.

      Es wurde von einem Büttel geöffnet, der die Geistlichen offenbar schon erwartet hatte. Mit einem tiefen Diener verbeugte er sich vor ihnen und ließ sie wortlos in die hohe Halle eintreten, die Martin an den Kapitelsaal seines Klosters erinnerte. Er bemerkte, dass er sich bereits heftig nach Eberberg zurücksehnte. Dort war die Welt so überschaubar und klar gefügt.

      Der Büttel führte die drei Mönche über eine breite Treppe in einen großen Saal, an dessen Stirnwand ein langer Tisch stand. Vor ihm kauerte einsam und verloren wirkend ein einzelner Stuhl wie ein Büßer vor den Augen des Gerechten.

      Martin sah sich kurz um. Die Decke bestand aus altersgeschwärzten Balken; an der dem Tisch gegenüberliegenden Wand befand sich ein gleichermaßen geschwärzter, riesiger Kamin, und in den Boden war ein verschlungenes, stark abgetretenes Intarsienmuster eingelassen.

      »Der Richter und die Schöffen sowie der Notar werden bald eintreffen«, sagte der Büttel mit einer lächerlich hohen, näselnden Stimme, die beinahe unter der Wichtigkeit der Worte zerquetscht wurde. »Wenn Eure Ehrwürdigkeiten bitte hier Platz nehmen möchten …« Er wies ihnen die drei Außenplätze an der Fensterfront zu.

      Zuerst setzte sich Pater Hilarius; er nahm den Stuhl, der sich der Mitte am nächsten befand; ihm folgte wie selbstverständlich Bruder Suitbertus, und für Martin blieb der Außenplatz übrig. Er ließ sich mit einem leisen Seufzer auf dem knarrenden, altersschwachen Stuhl nieder. Gern hätte er einen Blick aus den Fenstern geworfen, die dem Lärm nach zu urteilen auf den Marktplatz hinausgingen, aber ihre grünen Butzen waren so uneben, dass er kaum mehr als Schemen hinter ihnen erkennen konnte.

      Jetzt trat das Hohe Gericht ein: ein Richter, der einen pelzbesetzten Umhang trug, welchen er auch im Raum nicht ablegte, vier Schöffen, die keineswegs den hehren Vorstellungen entsprachen, die sich Martin von einem Gericht gemacht hatte, und ein Notar mit einem staubigen Wams und fadenscheiniger Hose, deren Stoff an den Knien schon sehr dünn geworden war. Unter dem Arm trug er einen Stoß unbeschriebenes Papier sowie ein Aktenfaszikel, und in der rechten Hand hielt er einen Gänsekiel wie einen Dolch nach vorn auf einen unsichtbaren Feind gerichtet. Er sah niemanden an und steuerte sofort auf den äußersten Platz am rechten Ende des Tisches zu. Dort breitete er seine Schreibgeräte aus, schob die Akten in die Mitte des Tisches, spitzte dann geräuschvoll den Kiel und holte aus den Tiefen seines Umhangs ein kleines Tintenfass hervor, das er lautstark auf der Tischplatte abstellte.

      Der Richter begrüßte die Mönche förmlich, aber nicht ohne Ehrerbietung; Martin bemerkte, dass die Motten viele kleine Löcher in dessen Umhang gefressen hatten. Die Schöffen hingegen nickten der Geistlichkeit nur kurz zu.

      »Ungehobelte Tölpel«, zischte Bruder Suitbertus, »die niedrigsten ihrer Zunft. Und so etwas spricht Recht! Pah!« Er beugte sich ein wenig nach vorn, zog die aus dem Wirtshaus mitgebrachte Wurst unter seiner Kutte hervor und biss ein Stück ab. Sofort setzte sich ein Lächeln auf seinen kauenden Mund.

      Dann wurde der Beschuldigte von zwei mit kurzen Lanzen bewaffneten Bütteln hereingeführt. Martin betrachtete ihn aufmerksam und ängstlich zugleich. Es war ein kleiner, dicklicher Mann mit einer Halbglatze, sodass er beinahe wie ein tonsurierter Mönch aussah. Er steckte in einer härenen, grauen Kutte, die ihm bis fast zu den Füßen reichte. Seine Hände waren hinter dem Rücken mit einem groben Strick zusammengebunden. Der Gefangene zuckte mit den Schultern, als wolle er seine Fesseln etwas lockern, damit sie ihm nicht so sehr ins Fleisch schnitten. Er wurde unsanft auf den Stuhl gesetzt, der unter ihm ächzte und knackte. In seinen Augen lag Angst.

      Als Martin den besorgten Blick des Gefangenen auf sich ruhen spürte, sah er verlegen fort. War das etwa ein gefährlicher Zauberer, der den Heerscharen der Hölle gebieten konnte? Martin hatte sich ein völlig anderes Bild von ihm gemacht – ein dämonischeres.

      Das Verhör begann. Zunächst wurde der Mann nach seinem Namen gefragt. Der Notar schrieb ihn eifrig nieder. Dann ging der Richter auf die Vorwürfe der Zauberei ein, die dem Angeklagten zur Last gelegt wurden:

      »Gestehst du, dass du der Meierin die Kuh auf zauberische Weise leer gesaugt hast?«

      »Ich gestehe nicht«, antwortete der vermeintliche Zauberer leise. Martin warf einen seitlichen Blick auf Pater Hilarius. Dieser starrte den kleinen Mann an, als wolle er ihn durch die Macht seines priesterlichen Blickes versengen.

      »Gestehst du, dass du das Kind der Schmidtlin getötet hast, als du bei ihr warst und Brot von ihr gekauft hast?«

      »Ich gestehe nicht.« Jetzt klang es schon fester.

      »Gestehst du, dass …«

      Martin hörte bereits nicht mehr zu. Sein Blick glitt wieder zu den grünen Butzenscheiben und den Schemen dahinter. So langweilig hatte er sich einen Zaubereiprozess nicht vorgestellt. Welche absurde Angst hatte er doch vor diesem Verfahren gehegt, aber wenn er ganz ehrlich zu sich war, so war diese Angst in gewisser Weise auch erregend gewesen. Nun aber schien alles auf einmal so durchschnittlich und unwichtig zu sein. Seine Gedanken schweiften ab. Wie gierig Bruder Suitbertus nach der drallen Magd in der Schänke gestarrt hatte … das war widerlich gewesen.

      »… gestehe nicht.« Jetzt hörte es sich bereits beiläufig an.

      Plötzlich sprang Pater Hilarius auf. Sein Bauch schaukelte über der Tischkante. »Es ist genug!«, donnerte er. Der Angeklagte fuhr zusammen. »Dieser Wicht wird hier nichts gestehen! Die Befragung ist unsinnig. Auf die Folter mit ihm! Wir wollen doch einmal sehen, ob die zupackenden Daumenschrauben seine Zunge nicht zu lösen vermögen! Und das Streckbrett! Und die Spanischen Stiefel!« Er stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte ab. Sein merkwürdig schmales, verhärmtes und faltiges Gesicht war hochrot geworden.

      »Gemach, gemach«, wiegelte der Richter ab. »Wir müssen uns an die Regeln halten. Und das Gesetz schreibt vor, den Angeklagten zuerst mit seiner Anklage bekannt zu machen, wie Ihr sehr genau wisst. Wir sind noch nicht fertig.«

      Pater Hilarius wandte sich dem Richter zu. »Glaubt Ihr etwa, dass er auch nur ein einziges Mal eine andere Antwort geben wird? Der böse Feind flüstert ihm immer nur diese drei Worte ein. Vertraut auf meine Erfahrungen; schließlich habt Ihr mich nach Eurem Gutdünken beigezogen.«

      »Ich werde mich an Euch wenden, sobald ich Eurer Hilfe bedarf«, sagte der Richter. Eiseskälte schwang in seiner Stimme mit. Dann fuhr er mit dem Katalog der Beschuldigungen fort. Erst als der letzte Punkt verlesen war und der Angeklagte zum letzten Mal »Ich gestehe nicht« gesagt hatte, stand der Richter auf und verkündete: »Hiermit ordne ich die peinliche Befragung des Angeklagten an. Man bringe ihn in die Folterkammer.«

      Die beiden Büttel ergriffen den kleinen Mann, zogen ihn vom Stuhl hoch und zerrten ihn mit sich aus dem dunklen Saal. Das Gericht erhob sich, und auch Pater Hilarius war bereits aufgestanden.

      Martin sah ein letztes Mal zu den grünen Butzenfenstern hinüber. Er zuckte СКАЧАТЬ