Название: Die verlorene Handschrift
Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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»Hier hat sich Vieles erhalten,« sagte der Professor.
Die Freunde kamen auf den Marktplatz, einen unregelmäßigen Raum, dessen kleine Häuser sich durch bunten Anstrich herausgeputzt hatten. Dort starrte von einem unansehnlichen Gebäude ein rothbemalter Drache mit geringeltem Schwanz, aus einem Bret geschnitten, von einer Eisenstange gehalten, in die Luft. Darauf stand mit übelgeschwungenen Buchstaben: Gasthof zum Lindwurm.
»Sieh,« sagte Fritz, auf den Lindwurm weisend, »die Phantasie des Künstlers hat ihm einen Hechtkopf mit dicken Zähnen ausgeschnitten. Der Wurm ist der älteste Schätzehüter unserer Sage. Es ist merkwürdig, wie fest die Erinnerung an dies Sagenthier überall im Volke haftet, wahrscheinlich stammt auch dieses Schild aus einer Ueberlieferung des Ortes.«
So stiegen sie auf ausgetretener Steintreppe in das Haus, ohne zu ahnen, daß sie schon längst von scharfen Augen beobachtet wurden. »Wer mögen die sein?« frug den dicken Wirth ein Bürger, der seinen Morgentrunk einnahm, »wie Geschäftsreisende sehen sie nicht aus, vielleicht ist einer der neue Pastor vom Kirchdorfe.«
»So sieht kein Pastor aus,« entschied der Wirth, welcher Menschen besser kannte. »Es sind Fremde, zu Fuß, kein Wagen und keine Sachen.«
Die Fremden traten ein, setzten sich an einen rothgestrichenen Tisch und bestellten das Frühstück. »Eine hübsche Gegend, Herr Wirth,« begann der Professor, »kräftige Bäume im Walde.«
»Bäume genug,« versetzte der Wirth.
»Die Umgegend scheint wohlhabend,« fuhr der Professor fort.
»Die Leute klagen, daß sie nicht genug verdienen,« antwortete der Wirth.
»Wieviele Geistliche haben Sie am Orte?«
»Zwei,« sagte der Wirth höflicher. »Der alte Pastor ist aber gestorben. Es ist unterdeß ein Candidat hier.«
»Ob der andere Pfarrer zu Haus ist?«
»Ist mir unbekannt,« sagte der Wirth.
»Sie haben doch ein Gericht hier?«
»Einen Ortsrichter, er ist jetzt auf dem Amt, es ist heut Gerichtstag.«
»Hat nicht vor Zeiten ein Kloster in der Stadt gestanden?« nahm der Doctor das Verhör auf.
Der Bürger und der Wirth sahen einander an. »Das ist lange her,« versetzte der Herr der Schenke.
»Hier in der Nähe liegt das Schloß Bielstein?« frug Fritz weiter. Wieder sahen der Bürger und der Wirth einander bedeutungsvoll an.
»Es liegt so etwas hier in der Nähe,« erwiederte der Wirth zurückhaltend.
»Wie lange geht man bis zum Schloß?« frug der Professor, geärgert durch die kurzen Antworten des Mannes.
»Wollen Sie dorthin?« entgegnete der Wirth, »kennen Sie den Gutsbesitzer?«
»Nein,« antwortete der Professor.
»Haben Sie denn etwas bei ihm zu thun?«
»Das ist unsere Sache, Herr Wirth,« versetzte der Professor kurz.
»Der Weg geht eine halbe Stunde durch den Wald, er ist nicht zu fehlen,« schloß der Wirth die ungemüthliche Unterhaltung und verließ die Stube. Der Bürger folgte ihm.
»Viel haben wir nicht erfahren,« sagte der Doctor lächelnd, »ich hoffe, der Pfarrer und Richter sind redseliger.«
»Wir gehen geradezu nach dem Gute,« entschied der Professor.
Draußen steckten der Wirth und der Bürger die Köpfe zusammen. »Wer die Fremden sein mögen?« wiederholte der Bürger, »geistlich sind sie nicht, und an dem Richter war ihnen auch nicht viel gelegen. Hast du gemerkt, wie sie nach dem Kloster und dem Schlosse frugen?« Der Wirth nickte. »Ich will dir meinen Verdacht sagen,« fuhr der Bürger eifrig fort: »sie kommen nicht umsonst her, sie suchen etwas.«
»Was sollen sie suchen?« frug der Wirth nachdenkend.
»Es sind verkleidete Jesuiten, sie sehen mir sehr apropos aus.«
»Nun, wenn sie mit den Leuten auf dem Gute anbinden wollen, die sind Manns genug, mit ihnen fertig zu werden.«
»Ich habe mit dem Inspector zu thun, ich will ihm doch einen Wink geben.«
»Menge dich nur nicht in Geschichten, die dich nichts angehen,« warnte der Wirth. Der Bürger aber drückte die Stiefeln fester, die er unter dem Arm trug, und fuhr um die Ecke.
Schweigend schritten die Freunde aus der gemeinen Nüchternheit des Lindwurms auf die Straße. Sie erfrugen von einem Mütterchen am entgegengesetzten Stadtthor den Weg nach dem Schlosse. Hinter der Stadt erhob sich der Pfad vom Kiesbett des Baches zu einer waldigen Höhe. Sie traten an einen Schlag Buschholz, aus dem einzelne hohe Eichen emporragten. Der Regen des letzten Abends lag noch in Tropfen auf den Blättern, das dunkle Grün des Sommers glänzte im Sonnenstrahl einzelne Vögelstimmen, das Hämmern des Spechts unterbrachen die Stille.
»Das gibt eine andere Stimmung,« rief der Doctor erfreut.
»Es gehört wenig dazu, ein gut besaitetes Menschenherz in neuer Melodie klingen zu machen, wenn nicht gerade das Schicksal mit rauher Hand darauf spielt. Etwas Baumrinde mit grauem Flechtenbart, eine Handvoll Blüthen im Grunde und wenige Noten aus der Kehle eines Vogels,« versetzte der Professor weise. »Horch, das ist kein Gruß, den die Natur dem Wanderer gönnt,« unterbrach er sich lauschend. Von fern klangen menschliche Stimmen, ein leiser Choral tönte wie aus den Baumgipfeln in ihr Ohr.
»Höher hinauf,« rief der Doctor, »zu der geheimnißvollen Stätte, wo alte Kirchenlieder aus den Eichen rauschen.«
Sie stiegen noch einige hundert Schritt in die Höhe und standen auf einer Terrasse des Waldhügels, die an der Seite von Bäumen umschlossen, in der Mitte gelichtet war. In der Lichtung stand eine kleine hölzerne Kirche, von einem Friedhof umgeben, dahinter erhob sich auf einem massigen Felsblock ein langes altes Gebäude, das Dach durch viele spitze Giebel gebrochen.
»Das fügt sich gut zusammen,« rief der Professor und sah neugierig über die Waldkirche nach dem Schlosse hinauf.
Aus der Kirche scholl ein Trauergesang stärker in das Ohr. »Laß uns hineingehen,« sagte der Doctor, auf die geöffnete Pforte des Friedhofs weisend.
»Mir ist gottseliger hier draußen zu Muthe,« erwiederte der Professor, »und mir widersteht’s, unberufen in Freude und Leid Fremder einzudringen. Das Lied ist zu Ende, jetzt kommt des Pfarrers Sprüchlein.«
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