Название: Die verlorene Handschrift
Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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»Bevor Sie sich hier umsehen, müssen Sie an meinem Tisch niedersitzen, das ist bei uns Brauch,« sagte der Landwirth in besserer Laune als er bis dahin gezeigt, auch auf ihn übte die Gegenwart der Tochter besänftigenden Einfluß. »Wiedersehen zu Mittag.« Damit ging er zur Thür hinaus.
Die Freunde folgten in den Nebenraum, ein großes Speisezimmer; Stühle standen längs der Wand, in der Mitte eine lange Tafel, an deren oberem Ende drei Plätze gedeckt waren. Das Mädchen setzte sich zwischen die Herren und bot die kalten Speisen. »Als ich Sie auf dem Friedhof sah, dachte ich, daß Sie den Vater besuchen würden, der Tisch wartet schon eine Weile auf Sie.« Die Freunde aßen ein wenig und dankten für mehr.
»Ich bedaure, daß unser Kommen auch Ihre Zeit in Anspruch nehmen soll,« sagte der Professor ernst.
»Meine Aufgabe ist leicht,« antwortete das Mädchen, »ich fürchte, die Ihre wird Ihnen mehr Mühe machen. Das Haus hat viele Stuben, und dann die Kammern und die Verschläge auf dem Boden.«
»Ich habe bereits Ihrem Herrn Vater gesagt,« erwiederte der Professor lächelnd, »daß wir keinen Werth darauf legen, wie Maurer das Gebäude zu untersuchen. Betrachten Sie uns als Neugierige, welche das merkwürdige Haus nur soweit sehen wollen, als es sich sonst einem Gaste öffnet.«
»Das Haus mag wohl für Fremde merkwürdig sein,« sagte Ilse, »uns ist es lieb, denn es ist warm und geräumig. Als der Vater das Gut einige Jahr besaß und zu Kräften gekommen war, hat er meiner seligen Mutter zu Liebe Alles bequem eingerichtet; denn wir brauchen großen Raum, es sind sechs jüngere Geschwister, und es ist ein großes Gut; die Herren von der Wirthschaft essen bei uns, dann der Hauslehrer und die Mamsell und in der Gesindestube auch zwanzig Leute.«
Der Doctor sah seine Nachbarin enttäuscht an. Wo war die Seherin geblieben? Sie sprach verständig und sehr bürgerlich, mit ihr konnte man wohl auskommen. »Da wir nun einmal auf hohle Räume ausgehen,« begann er schlau, »so würden wir uns am liebsten Ihrer Leitung anvertrauen, wenn Sie uns sagen wollten, ob man in der Wand oder auf dem Boden oder irgendwo hier im Hause von Stellen weiß, welche beim Klopfen eine Höhlung verrathen.«
»O, daran fehlt es nicht,« erwiederte Ilse. »Wenn man in meiner Stube an die Hinterwand des kleinen Wandschrankes pocht, so merkt man, daß dahinter ein leerer Raum ist, und dann ist die Steinplatte unter der Treppe und mehre Platten in der Küche und noch viele andere Stellen im Hause. Und bei allen haben die Leute ihre Vermuthung.«
Der Doctor hatte seine Brieftafel herausgezogen und schrieb die verdächtigen Orte nieder.
Die Betrachtung des Hauses begann. Es war ein prachtvolles altes Haus, die Mauer des Unterstocks so dick, daß der Doctor mit gespannten Armen nicht die ganze Tiefe der Fensternischen einfassen konnte. Eifrig übernahm er das Klopfen und Messen der Wände. Die Keller waren zum Theil in den Felsen gesprengt, an einzelnen Stellen ragte das ungeglättete Gestein noch in die Räume und man erkannte, wo die Mauer auf dem Stein gelagert war. Es waren mächtige Gewölbe, die kleinen Fenster in der Höhe durch starke Eisenstäbe geschützt, in alter Zeit bei feindlichem Anlauf eine feste Zuflucht wider Geschosse und Feuer. Und Alles war schön trocken und hohl. Denn das Haus war ganz nach den Ansichten gebaut, welche der Doctor schon früher über alte Gebäude so verständig ausgesprochen hatte: Mauer von außen und von innen, dazwischen Schutt und Steinbrocken. Natürlich klangen die Wände deshalb an vielen Orten hohl wie ein Kürbis. Der Doctor pochte und notirte fleißig, die Knöchel seiner Hand wurden weiß und aufgetrieben, aber die Fülle guter Möglichkeiten machte ihn kleinlaut.
Aus dem Keller traten sie in den Unterstock. In der Küche brodelten große Kessel und Töpfe, und neugierig sahen die arbeitenden Frauen auf das Benehmen der Fremden, denn der Doctor klopfte wieder mit den Absätzen auf den steinernen Fußboden und faßte die geschwärzte Seitenwand des Herdes mit den Händen an. Dahinter kamen Wirthschaftsräume und die Gaststuben. In einer derselben fanden sie eine Frau in Trauerkleidung beschäftigt, die Betten in ein neues Gewand zu hüllen. Es war die Mutter vom Friedhofe. Sie trat an die fremden Herren und bedankte sich, weil sie geholfen hätten, ihrem Kinde die letzte Ehre zu erweisen. Die Freunde sprachen ihr freundlich zu, sie wischte mit der Schürze die Augen und ging wieder an ihre Arbeit.
»Ich bat sie, heut zu Haus zu bleiben,« sagte Ilse, »aber sie wollte nicht. Ihr wäre gut, wenn sie etwas zu schaffen hätte, und wir würden ihre Arbeit brauchen, weil Sie doch zu uns kämen.« Es that den Gelehrten wohl, daß sie wenigstens von den weiblichen Mitgliedern des Hauses als berechtigte Gäste aufgefaßt wurden.
Sie betraten die andere Seite des Unterstocks und betrachteten noch einmal die einfachen Zimmer, die sich zuerst den Ankommenden geöffnet hatten. Dahinter lag das Arbeitszimmer des Gutsherrn, ein kleiner schmuckloser Raum, darin ein Schrank mit Jagdgeräth und Reitzeug, ein Bretergestell für Acten und einige Bücher, über dem Bett Säbel und Pistolen, auf dem Schreibtisch das kleine Modell einer Maschine und Proben von Getreide und Sämerei in kleinen Säckchen; an der Wand aber standen in militärischer Ordnung der riesige Wasserstiefel, der Juchtenstiefel, der Reitstiefel mit Stulpen, an der äußersten Ecke auch Zwerge von Kalbleder, wie sie gewöhnliche Menschen tragen. In dem Nebenzimmer hörten sie eine Männerstimme und kindliche Antworten in regelmäßigem Wechsel. »Das ist die Schulstube,« sagte Ilse lächelnd. Als die Thür geöffnet ward, schwiegen Solo und Chorstimmen, dem Gruß der Eintretenden antwortete aufstehend der Lehrer, ein Seminarist von verständigem Gesicht. Verwundert starrten die Kinder in die unerwartete Störung. An zwei Tischen saßen drei Knaben und drei Mädchen, ein kräftiges blondhaariges Geschlecht. »Das ist Clara, Luise, Riekchen, Hans, Ernst und Franz.« Die vierzehnjährige Clara, fast erwachsen und ein verjüngtes Abbild der Schwester, erhob sich mit einem Knix, Hans, ein derber Bursch von zwölf Jahren, machte den unbedeutenden Versuch eines Bücklings, die andern blieben stramm stehen, sahen unverwandt auf die Fremden und tauchten, nachdem sie einer lästigen Pflicht genügt hatten, wieder auf ihre Plätze nieder. Nur der kleine Franz, ein rothbäckiger Krauskopf von sieben Jahren, blieb in der Pein seiner Aufgabe grimmig sitzen und benutzte die Unterbrechung, um für die nächsten Antworten noch schnell etwas aus seinem Buche einzusammeln. Ilse strich ihm über das Haar und frug den Lehrer: »Wie geht’s heut mit ihm?« – »Er hat gelernt.« – »Es ist zu schwer,« rief Franz erbittert. Der Professor bat den Lehrer, sich nicht stören zu lassen, und die Reise ging weiter: Schlafzimmer der Knaben, Zimmer des Lehrers und wieder Wirthschaftsräume, Plättstube, Kleiderkammer – der Doctor hatte seine Brieftafel bereits eingesteckt.
Sie kehrten in den Hausflur zurück, an der Treppe wies Ilse auf die Steinplatte, der Doctor kniete nieder, versuchte und sagte kleinlaut: »Wieder hohl.« Ilse betrat die Treppe.
»Hier oben wohne ich und die Mädchen.«
»Unsere Neugierde hat vorläufig hier ein Ende,« erwiederte rücksichtsvoll der Professor. »Sie sehen, auch mein Freund verzichtet.«
»Man hat aber von oben eine Aussicht,« sagte die Führerin, »diese wenigstens müssen Sie betrachten.« Sie öffnete eine Thür.
»Dies ist mein Zimmer.« Die Freunde blieben vor der Schwelle stehen. »Kommen Sie herein,« sagte Ilse unbefangen. »Von diesem Fenster sieht man die Straße, auf der Sie zu uns kamen.« Zögernd traten die Zartfühlenden näher. Es war wieder ein bescheidener Raum, nicht einmal ein Sopha darin, die Wände mit blauer Farbe gestrichen, am Fenster ein Nähtisch und einige Blumenstöcke, in einer Ecke das Bett mit weißer Gardine verhüllt.
Die Freunde traten an das Fenster und schauten von der Höhe auf den kleinen Friedhof und die Gipfel der Eichen, auf das Städtchen im Thale und auf die Baumreihe dahinter, welche in gekrümmter Linie bis zu der Höhe lief, wo sich die Aussicht in die Ferne schloß. Der Blick des Professors haftete an der alten Holzkirche. Wie hatten sich in wenig Stunden die Stimmungen geändert! Auf die frohe Erwartung war gefolgt, was beinahe wie Entsagung aussah, СКАЧАТЬ