Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке. Стефан Цвейг
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Читать онлайн книгу Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке - Стефан Цвейг страница 13

СКАЧАТЬ der unvermittelt großartige Anblick eines Bauwerkes sehr früher Art, überhöht von zwei mächtigen Türmen in derart gleichförmigen Maßen, dass im sinkenden Licht einer wie der Schatten des ändern wirkte. Eine Kirche war es nicht und ebensowenig mochte es ein Palast gewesen sein in verschollenen Zeiten; klösterlich mutete es an und doch wieder mit seinen breiten, wuchtigen Flächen wie ein profanes Gebäude, allerdings unbestimmbarer Art. So störte ich, höflich den Hut lüftend, einen rotbackigen Bürger, der eben auf der Terrasse eines kleinen Cafes ein Glas strohfarbenen Weines trank, mit der Frage nach dem Namen dieses so wuchtig über niedere Schwalbendächer emporgetürmten Baus. Der Gemächliche sah verwundert auf, lächelte dann langsam und feinschmeckerisch, ehe er mir antwortete: „Ganz zuverlässig kann ich Ihnen da nicht Bescheid geben. Im Stadtplan mag es anders stehen, wir aber sagen noch immer wie in alter Zeit: das Schwesternhaus, vielleicht weil die beiden Türme einander so ähnlich sind, vielleicht aber auch, weil…“ Er stockte und zog vorsichtig ein Lächeln zurück, als ob er sich meiner angefachten Neugier erst vergewissern wollte. Eine halbe Antwort aber macht ungeduldig nach der ganzen – so kamen wir ins Gespräch, und ich gehorchte gern seiner Aufforderung, ein Glas dieses herbflüssigen Goldweines zu versuchen. Vor uns glänzte im langsam sich erhellenden Mondlicht träumerisch das Spitzenwerk der Türme, der Wein mundete mir gut und trefflich, auch an jenem lauen Abend die kleine Legende von den gleichungleichen Schwestern, die er mir erzählte und die hier möglichst getreu, wenn auch ohne Bürgschaft für ihre historische Wahrhaftigkeit wiedergegeben sei.

      Als der Heerbann des Königs Theodosius genötigt war, in der damaligen Hauptstadt Aquitaniens Winterquartier zu nehmen und dank einer üppigen Rast die abgerackerten Gäule wieder seidenglattes Fell und die Soldaten Langeweile bekamen, geschah es dem Anführer der Reiterei, Herilunt mit Namen, einem Langobarden, dass er sich in eine schöne Krämerin verliebte, die dort im verwinkelten Schatten der Unterstadt Gewürz und süßes Honigbrot ausbot. Und so heftig übermannte ihn die Leidenschaft, dass er, gleichgültig gegen ihren niederen Stand, sie um der baldigen Umarmung willen eiligst ehelichte und mit ihr in ein fürstliches Haus auf dem Marktplatz zog. Dort blieben sie unsichtbar viele Wochen lang, einer dem ändern verfallen, und vergaßen die Menschen, die Zeit, den König und den Krieg. Aber während sie so ganz in Liebe versunken waren und allnächtlich schlummerten, einer in des ändern Arm, schlief nicht die Zeit. Mit einem schwang warmer Wind sich von Süden her, unter seinem hitzigen Fuß barst das Eis in den Strömen, Krokus[29] und Veilchen nisteten ihr farbig Geblüh unter seine flüchtige Spur auf den Wiesen. Über Nacht buschten die Bäume sich grün, knospig Gewinde brach in feuchten Beulen aus erfrorenen Ästen, der Frühling hob sich auf von der dampfenden Erde und mit ihm wieder der Krieg. Eines Morgens schlug herrisch und fordernd der kupferne Klöppel des Tores in den Morgenschlummer der Liebenden: ein Bote des Königs befahl seinem Führer Rüstung und Ausmarsch. Trommeln klirrten die Quartiere auf, Wind krachte hell in den Fahnen, und bald knatterte der Marktplatz vom Gehuf der gesattelten Pferde. Da löste Herilunt sich rasch aus den weich angerankten Armen seiner Winterfrau, denn so loh seine Liebe war: noch stärker brannten in ihm Ehrgeiz und die männliche Lust an der Feldschlacht. Unfühlsam gegen ihre Tränen und hart gegen ihren Wunsch, ihn zu begleiten, ließ er die Frau im weiträumigen Hause und brach mit dem riesigen Schwärm ins mauretanische Land. In sieben Gefechten überrannte er die Feinde, fegte mit brennendem Besen die Raubburgen der Sarazenen aus, zerbrach ihre Städte und plünderte siegreich hinab bis zur Küste, wo er Segler heuern musste und Galeeren, die Beute heimwärts zu senden, so unermesslich staute sich ihre Fülle. Nie wurde ein Sieg rascher erfochten, nie ein Feldzug blitzender vollendet. Kein Wunder, dass der König, um so kühnem Kriegsknecht zu danken, ihm gegen geringen Zins Nord und Süd des gewonnenen Landes zu Lehen und Verwaltung übertrug. Nun hätte Herilunt, dessen Heimat bislang der Sattel gewesen, gemächlich Rast halten und zeitlebens sich satten Wohlseins erfreuen können. Doch sein Ehrgeiz, mehr gestachelt als gemildert durch den raschen Gewinst, wehrte sich, Untertan zu sein und zinspflichtig selbst seinem Herrn: einzig ein Königsreif schien ihm nunmehr hell genug für die blanke Stirn seines Weibes. So reizte er heimlich die eigenen Truppen zur Empörung wider den König und rüstete einen Aufstand. Doch frühzeitig verraten, misslang die Verschwörung. Geschlagen noch vor der Schlacht, gebannt von der Kirche, verlassen von den eigenen Reitern, musste Herilunt ins Gebirge flüchten, und dort erschlugen um der hohen Belohnung willen Bauern den Geächteten mit Keulen im Schlafe.

      Zur gleichen Stunde, da Häscher des Königs den blutenden Leichnam des Rebellen im Strohbett jener Scheune auffanden, ihm Schmuck und Kleider abrissen und den entblößten Leib dann auf den Schindanger warfen, gebar seine Frau, völlig unkund seines Unterganges, in dem Brokatbett des Palastes ein Zwillingspaar, zwei Mädchen, die unter großem Zulauf der Stadt die eigene Hand des Bischofs[30] Helena und Sophia taufte[31] . Noch dröhnten die Glocken in den Türmen und klirrten silberig Pokale beim Festmahle, als jählings die Botschaft von Herilunts Aufruhr und Untergang eintraf, rasch gefolgt von der zweiten, dass der König nach allgültigem Gesetz Haus und Habe des Rebellen einfordere für seinen Schatz. So musste die schöne Krämerin[32], kaum dass sie der Wochen genesen, nach kurzer Herrlichkeit wieder im alten dünnwolligen Kleide hinab in die moderige Gasse der Unterstadt, nur dass sie nun noch zwei unmündige Kinder und die Bitternis so arger Enttäuschung mit in ihr Elend nahm. Wieder saß sie von Morgen bis Abend auf dem niederen Holzschemel ihres Ladens und bot der Nachbarschaft Gewürz und süße Honigware, höhnische Spottreden oft einstreichend mit den kärglich errafften Kupfermünzen. Gram löschte ihr rasch das helle Licht in den Augen, frühes Grau entfärbte ihr Haar. Doch für Not und Missgeschick entschädigten sie bald der holden Zwillingsschwestern aufgeweckte Munterkeit und besonderer Liebreiz, hatten sie doch beide von der Mutter die strahlende Schönheit geerbt und waren so zwiefach ähnlich einander in Gestalt und Anmut der Rede, dass man vermeinte, hier blicke als lebender Spiegel ein liebliches Bild das andere an. Nicht nur Fremde, sondern selbst die eigene Mutter vermochte die beiden Gleichaltrigen und Gleichgestalteten, Helena und Sophia, nicht zu unterscheiden, derart vollkommen war ihre Ähnlichkeit. So hieß sie Sophia ein billig leinenes Bändchen als Armreif tragen, damit sie kenntlich sei von der Schwester an diesem sichtbaren Zeichen. Hörte sie aber ihre Stimme oder blickte sie einzig in ihrer Zwillingskinder Gesicht, so war sie bei jeder unkund, mit welchem der Namen sie die allzu Ähnlichen rufen sollte. Wie aber von der Mutter die stürmische Schönheit, so hatten verhängnisvollerweise die Zwillingsschwestern von ihrem Vater auch jenen Unband von Ehrgeiz und Herrschsucht geerbt, so dass jede von ihnen die andere und überdies noch alle Gleichaltrigen in jeder Beziehung zu übertreffen strebte. Noch in jenen anfänglichen Jahren, da Kinder sonst gleichgültig und arglos spielen, trieben die beiden schon jede Tätigkeit zu Wettstreit und Eifersucht gewaltsam empor. Hatte ein Fremder, von der Anmut des einen Kindes erfreut, ihm ein schmuckes Ringlein an den Finger gesteckt, ohne der anderen gleiche Gabe zu bieten, hatte der einen Kreisel sich länger gedreht als jener der Schwester, so konnte die Mutter die Benachteiligte flach hingestreckt auf dem Boden finden, die Fäuste verkrampft in die Zähne und mit wütigen Absätzen den Boden hämmernd. Keine gönnte der anderen ein Lob, eine Zärtlichkeit, ein besseres Gelingen, und obzwar sie einander derart ähnlich waren, dass scherzhaft die Nachbarn sie Spiegelchen nannten, verwüsteten und verhärmten sie ihre Tage in beständig lodernder Eifersucht widereinander. Vergebens suchte die Mutter dies ungeschwisterliche Übermaß des Ehrgeizes zu hemmen, vergebens die allzeit gespannte Sehne ihres Wetteifers zu lockern; bald musste sie einsehen, dass hier ein unseliges Erbe in den noch unreifen Gestalten dieser Kinder weiterwuchs, und nur der geringe Trost entschädigte ihre Sorgen, dass gerade dank diesem unablässigen Wettstreben die Mädchen bald die gewandtesten und geschicktesten ihres Alters wurden. Denn was immer die eine anfing zu lernen, gleich drängte die andere nach, ungeduldig, sie zu überflügeln. Und da sie beide beweglichen Leibes und beschwingten Sinnes waren, lernten die Zwillingsschwestern in kürzester Frist alle nützlichen und anziehenden Künste der Frauen, so da sind: Linnen[33] zu weben, Stoffe zu färben, Geschmeide zu fassen, Flöte zu spielen, anmutig zu tanzen, kunstvolle Gedichte zu machen und sie dann wohllautend zur Laute zu singen, schließlich, über die übliche Art höfischer Frauen hinaus, sogar Latein, Geometrie und höhere СКАЧАТЬ



<p>29</p>

Krokus der; -, -se; – eine kleine, meist weiße, gelbe oder violette Blume, die im Frühling blüht

<p>30</p>

Bischof der; -s, Bischöfe; (Rel) – ein Priester mit hohem Rang, der alle Kirchen und Priester eines großen Gebietes (eines Bistums oder einer Diözese) unter sich hat

<p>31</p>

taufen (taufte, hat getauft) – jemandem die Taufe (und dabei einen Namen) geben

<p>32</p>

Krämer (-in) veraltend – jemand, der (die) ein kleines (Lebensmittel) Geschäft besitzt

<p>33</p>

Linnen veraltend d.h. Leinen – ein sehr fester und glatter Stoff (aus Flachs)