Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке. Стефан Цвейг
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Читать онлайн книгу Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке - Стефан Цвейг страница 17

СКАЧАТЬ hatte die Buhlerin längst Sylvander Botschaft zugesandt, welch sonderbares Abenteuer seiner warte, und ihn mit vieler Dringlichkeit angewiesen, durch zurückhaltende Art und große Züchtigkeit die Hochmütige zunächst unvorsichtig und sorglos zu machen. Und als Sylvander, neugierig und eitel, in so eigenartigem Wettkampf zu siegen, endlich eintrat und Sophia unwillkürlich mit der Linken nach dem Dolche tastete, den sie zum Schutz gegen Gewalt mitgenommen, war sie verwundert, mit wie ehrerbietiger Höflichkeit dieser vermeintlich freche Buhler ihr entgegentrat. Denn weder versuchte er – wohl unterrichtet von der Schwester – die ängstlich Atmende in die Arme zu ziehen, noch grüßte er sie mit vertraulicher Anrede, sondern zartdemütig bog er vorerst das Knie. Dann nahm er von dem zurückweichenden Diener eine goldene Kette schwersten Gewichtes sowie ein purpurnes Obergewand aus provenzalischer Seide und bat artig, das Gewand ihr anlegen und die Kette ihren Schultern umstreifen zu dürfen. So viel Anstand konnte Sophia nicht anders erwidern, denn ihm zu willfahren; reglos ließ sie sich die Kette umlegen und das reiche Gewand, nicht ohne zu fühlen, wie schmeichlerisch leicht seine heißen Finger zugleich mit der kühlen Kette längs ihres Nackens hinglitten. Doch da Sylvander weiterhin nichts Verwegenes unternahm, wurde Sophia keine Gelegenheit zu voreiligem Zürnen geboten. Statt dringlich zu werden, verbeugte sich der Heuchlerische abermals und sagte im Tone äußerster Beschämung, er fühle sich unwürdig, die Tafel mit ihr zu teilen, denn noch hafte der Staub der Straße auf seinem Gewände, und sie möge ihm gestatten, sich vorerst Haar und Leib zu säubern. Verlegen rief Sophia die Dienerinnen und hieß sie Sylvander in den Baderaum führen. Doch die Mägde, einem geheimen Befehle ihrer Herrin Helena gehorchend und mit Absicht Sophias Worte missverstehend, schälten hurtig dem Jüngling die Kleider ab, so dass er nackt und schön vor ihr enthüllt wurde, ähnlich jenem Bildnis des heidnischen Apoll, das vordem auf dem Marktplatz gestanden und das der Bischof in Stücke hatte schlagen lassen. Dann erst salbten sie ihn mit Öl, badeten ihm die Füße mit warmem Geström; ohne sich zu beeilen, flochten sie dem lächelnd Nackten Rosen ins Haar, bevor sie ihm endlich ein neues schimmerndes Gewand überwarfen. Und nun er neu geschmückt ihr entgegentrat, schien er noch schöner als vordem. Kaum aber bemerkend, dass sie seiner besonderen Anmut gewahr wurde, zürnte sie schon den eigenen Augen und vergewisserte sich rasch, dass griffnah der rettende Dolch in ihrem Kleide verborgen sei. Doch kein Anlass bot sich, ihn zu fassen, denn nicht anders als die gelehrten Magister im Siechenhause unterhielt sie in höflich bewahrter Distanz der schöne Jüngling mit freundlich belangloser Rede, und noch immer wollte – mehr schon zu ihrem Verdruss als zu ihrer Freude – keine Gelegenheit sich bieten, vor der nebenan lauschenden Schwester mit dem Beispiel weiblicher Standhaftigkeit zu prunken. Denn um Tugend zu verteidigen, ist bekanntlich nötig, dass sie vorerst bestürmt werde. Dieser Sturm der Leidenschaft aber wollte bei Sylvander sich durchaus nicht regen, nur ein kärglich blasses Windchen von Höflichkeit überkräuselte matten Atems sein Gespräch, und die Flöten, die allmählich vom Nebengemach her ihre dringlichen Stimmen erhoben, sprachen zärtlicher als dieses Knaben roter und sonst wohl begehrlicher Mund. Ununterbrochen erzählte er nur von Wettkämpfen und Kriegsfahrten, nicht anders, als ob er im Kreise männlicher Tafelgenossen säße, und seine Gleichgültigkeit war so meisterlich gespielt, dass sie Sophia vollkommen sorglos machte. Ohne Bedenken genoß sie die gefährlich gewürzten Speisen und den heimlich einlullenden Wein. Ja, ungeduldig und allmählich ärgerlich, dass dieser Kühle nicht die geringste Veranlassung bot, die Hartnäckigkeit ihrer Tugend zu beweisen und sich vor ihrer Schwester mit schönem Unmut zu bewähren, begann sie schließlich selber die Gefahr herauszufordern. Von ungefähr fand sie ein Lachen in der Kehle, ihr selber fremd, eine muntere Lust, auszufahren und sich zurückzuwerfen in heiterem Übermut, aber sie zähmte sich nicht und schämte sich nicht, war doch Mitternacht nicht mehr ferne, der Dolch nah ihrer Hand und dieser vorgeblich so hitzige Jüngling kälter als jenes Messers eiserne Schneide. Näher und näher rückte sie ihm zu, damit endlich ihre Tugend Gelegenheit fände zu glorreicher Verteidigung, und unwillentlich entfaltete die Eitle aus der ehrgeizigen Lust, ihre Festigkeit zu erweisen, genau dieselben Künste der Verlockung, die sonst ihre buhlerische Schwester um allzu irdischen Lohn ausübte.

      Aber man soll, wie ein weises Sprichwort sagt, auch nicht ein Haar von des Teufels Bart streifen, sonst faßt er einen unversehens am Genick. Und ähnlich erging es auch hier der kampfbegierig eitlen Streiterin. Denn ungewohnt des Weins, dessen lüsterne Beize sie nicht ahnte, verwirrt von dem allmählich aufschwülenden Duft des Rauchwerks, süß entkräftet vom saugenden Getön der Flöten, wurden ihr die Sinne allmählich verworren. Ihr Lachen schwankte in Lallen, ihr Übermut in Kitzel hinüber, und kein Doktor beider Fakultäten hätte vermocht, vor Gericht zu bekunden, ob es im Wachen geschehen oder im Schlummer, ob in Nüchternheit oder Trunkenheit, ob mit ihrem Willen oder dawider – kurz, es geschah, noch lange, bevor es Mitternacht schlug, was Gott oder sein Widerpart will, dass zwischen Frau und Mann schließlich geschehe. Mit einmal klirrte aus gelöstem Kleide der heimlich gerüstete Dolch auf den marmornen Estrich; doch sonderbar, die ermüdete Fromme hob ihn nicht als eine andere Lukretia empor, um ihn gegen den gefährlichen nahen Jüngling zu zücken, kein Weinen und Wehren wurde vernommen im Nebengemach. Und als triumphierend um Mitternacht die verderbte Schwester mit ihrer Dienerschar einbrach in die bräutlich gewordene Kammer und eine neugierige Fackel über das Lager der Besiegten schwang, da gab es kein Verschweigen mehr und kein Sich-Schämen. So streuten die frechen Mägde nach heidnischer Art Rosen auf das Ruhebett, röter als die Wangen der Errötenden, die jetzt taumelnd und zu spät ihr frauliches Missgeschick gewahrte. Aber die Schwester nahm die Verwirrte heiß in die Arme, die Flöten jauchzten, die Zimbeln schmetterten, als wäre Pan wieder heimgekehrt auf die christliche Erde, frech entblößt tanzten die Mägde und riefen Eros, den verstoßenen Gott, lobpreisend an. Dann aber entzündete die bacchantisch wirbelnde Schar ein Feuer von duftenden Hölzern, und mit gierigen Zungen fraßen die Flammen das zum Spott erniedrigte fromme Gewand. Der neuen Hetäre aber, die sich schämte, ihre Niederlage zu gestehen, und wirr lächelnd tat, als habe sie freien Willens dem schönen Jüngling sich hingegeben, legten sie die gleichen Rosen wie ihrer Schwester um, und nun die beiden nebeneinander standen, glühend die eine vor Scham und die andere im Feuer des Triumphes, hätte keiner mehr vermocht, Sophia und Helena, die Scheinbar-Demütige von der Hoffärtigen, zu unterscheiden, und des Jünglings Blicke schwankten begehrend zwischen beiden hin, in erneutem und zwiefach ungeduldigem Gelüst.

      Unterdes hatte die übermütige Rotte unter Lärm Tore und Fenster des Palastes geöffnet. Nachtschwärmer und rasch erwecktes lockeres Volk strömte lachend herzu, und noch ehe die Sonne über die Dächer floss, lief die Kunde schon wie Wasser von allen Traufen durch die Straßen, welchen herrlichen Sieg Helena über die weise Sophia, die Unkeuschheit über die Keuschheit errungen. Kaum aber vernahmen die Männer der Stadt, dass diese langbewahrte Tugend gefallen, so eilten sie schon hitzig herbei, und sie fanden (die Schande sei nicht verschwiegen) guten Empfang, denn Sophia blieb, ebenso rasch umgewandelt wie umgewandet, bei Helena, ihrer Schwester, und suchte es ihr gleich zu tun an Eifer und Feurigkeit. Nun war alles Streitens und Neidens ein Ende, und seit sie dem gleichen schnöden Gewerbe sich zugewandt, lebten die schlimmen Schwestern fortan in munterster Eintracht nebeneinander im Hause. Sie trugen gleiche Haartracht, gleichen Schmuck, genau dieselbe Gewandung, und da die Zwillinge auch in Lachen und Liebeswort nicht mehr unterscheidbar waren, so begann für die Lüstlinge ein immer erneutes, üppiges Spiel, ein Rätselraten mit Blicken und Küssen und Zärtlichkeit, welche es sei, die sie gerade im Arm hielten, die buhlerische Helena oder die einstens fromme Sophia. Doch nur selten gelang es einem, zu wissen, bei welcher er sein Geld vertan, so vollkommen ähnlich erschienen die beiden, und überdies machte das kluge Paar sich’s zur besonderen Lust, die Neugierigen zu narren.

      So hatte, und nicht zum erstenmal in unserer trüglichen Welt, Helena gesiegt über Sophia, Schönheit über Weisheit, das Laster über die Tugend, das allzeit willige Fleisch über den schwanken und selbstherrlichen Geist, und abermals wurde bewiesen, was schon Hiob beklagte in seiner denkwürdigen Rede, dass es dem Bösen wohl erginge auf Erden, indes der Fromme zuschanden komme und ein Spott werde der Gerechte. Denn kein Zollmeister und kein Steuereinnehmer, kein Küfer und Pfandleiher, kein Goldschmied und Bäckermeister, kein Beutelschneider und Kirchenräuber im ganzen Land sackte mit saurer Arbeit so viel Geld wie die beiden Schwestern mit ihrem linden Eifer. Treulich gesellt, melkten sie die dicksten Felleisen und löcherten СКАЧАТЬ