Название: Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке
Автор: Стефан Цвейг
Издательство: КАРО
Жанр: Зарубежная классика
Серия: Originallektüre Deutsch
isbn: 978-5-89815-875-0
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Plötzlich riss wie eine klirrende Saite[24] die Musik mitten im Takte ab. Der deutsche Baron sprang auf: „Assez joué pour vous“, lachte er. „Maintenant je veux danser moimême.[25] “ Alle stimmten übermütig bei, die Gruppe löste sich aus der bewegten Zweiheit des Tanzes in ein locker flatterndes Beisammensein.
Der alte Mann kam wieder zu sich: etwas tun jetzt, etwas sagen! Nicht so tölpelig, so jämmerlich überflüssig dabeistehen! Eben wogte seine Frau vorbei, ein wenig keuchend von der Anstrengung und doch warm von Zufriedenheit. Der Zorn gab ihm einen plötzlichen Entschluss. Er trat ihr in den Weg: „Komm“, keuchte er ungeduldig, „ich habe mit dir zu reden.“
Sie blickte ihn verwundert an: Schweißperlen feuchteten ihm die blasse Stirn, seine Augen blickten irr. Was wollte er denn? Warum gerade jetzt sie stören? Schon formte sich ausweichendes Wort auf der Lippe; aber da war etwas so Zuckendes, so Gefährliches in seinem Gehaben, dass sie, des grimmigen Ausbruchs von vordem sich plötzlich erinnernd, ihm widerwillig folgte.
„Excusez, messieurs, un instant![26] “ wandte sie sich zuvor noch entschuldigend zu den Herren zurück. „Bei ihnen entschuldigt sie sich“, dachte ingrimmig der Aufgeregte, „bei mir haben sie sich nicht entschuldigt, wie sie vom Tisch aufgestanden sind. Ich bin der Hund für sie, der Fußfetzen, auf dem man herumtritt. Aber sie haben recht, sie haben recht, wenn ich es dulde.“
Sie wartete mit streng hochgezogenen Augenbrauen; wie ein Schüler vor dem Lehrer stand er zuckender Lippe vor ihr.
„Nun?“ forderte sie ihn schließlich heraus.
„Ich will nicht… ich will nicht…“ stammelte er endlich unbeholfen. „Ich will nicht, dass ihr…, dass ihr mit diesen Leuten da verkehrt.“
„Mit welchen Leuten?“ – absichtlich nicht verstehend, hob sie indigniert den Blick, als hätte er sie selber beleidigt.
„Mit denen da“ – wütend schwenkte er seinen niedern Kopf in die Richtung des Musikzimmers hinüber -, „es passt mir nicht… ich will es nicht…“
„Und warum nicht?“
„Immer dieser inquisitorische Ton“, dachte er erbittert, „als ob ich ihr Bedienter wäre“; und aufgeregter stotterte er: „Ich habe meine Gründe… Es passt mir nicht… Ich will nicht, dass Erna mit diesen Leuten spricht… Ich muss nicht alles sagen.“
„Dann tut es mir leid“, hochfahrend lehnte sie ab. „Ich finde alle drei Herren außerordentlich wohlerzogene Leute, weit bessere Gesellschaft, als wir sie zu Hause finden.“
„Bessere Gesellschaft!… Diese Tagediebe… diese … diese“… Der Zorn würgte immer unerträglicher. Und plötzlich stampfte er auf. „Ich will es nicht… ich verbiete es… hast du verstanden?“
„Nein“, antwortete sie kaltblütig. „Ich habe gar nichts verstanden. Ich weiß nicht, warum ich dem Kind sein Vergnügen verderben sollte…“
„Sein Vergnügen!… sein Vergnügen!… „ er taumelte wie unter einem Hieb, rot das Gesicht, die Stirn überströmt von feuchtem Schweiß – die Hand tastete ins Leere nach dem schweren Stock, sich anzuhalten oder loszuschlagen damit. Aber er hatte ihn vergessen. Das brachte ihn wieder zu sich. Er zwang sich – eine warme Welle strich ihm plötzlich über das Herz. Er trat näher, als wollte er ihre Hand fassen. Seine Stimme wurde ganz klein, bettlerisch fast. „Du… du verstehst mich nicht … ich will ja nichts für mich… ich bitte euch nur darum … es ist meine erste Bitte seit Jahren: fahren wir fort von hier… fort, nach Florenz, nach Rom, wohin ihr wollt, alles ist mir recht… Ihr könnt alles bestimmen, ganz wie ihr wollt… nur fort von hier, ich bitte dich… fort,… nur fort, heute noch… heute… ich… ich kann es nicht länger ertragen… ich kann nicht.“
„Heute?“ sie runzelte erstaunt und abweisend die Stirne. „Heute abreisen? Was sind das für lächerliche Ideen … und nur weil dir die Herren unsympathisch sind… Du musst ja nicht mit ihnen verkehren.“
Er stand noch da, die Hände flehentlich erhoben. „Ich kann es nicht ertragen, habe ich dir gesagt… ich kann nicht, ich kann nicht. Frag mich nicht weiter, ich bitte dich… aber glaube mir, ich kann es nicht ertragen… ich kann es nicht. Einmal tut mir etwas zuliebe, ein einziges Mal für mich…“
Darüben hatte das Klavier wieder zu hämmern begonnen. Sie blickte auf, von diesem Schrei wider Willen gefasst; aber wie unsagbar lächerlich sah er aus, der kleine dicke Mann, das Gesicht rot wie vor einem Schlagfluß, die Augen wirr und verquollen, die Hände aus zu kurzen Ärmeln zitternd ins Leere erhoben: es war peinlich, ihn so jämmerlich stehen zu sehen. Das mildere Gefühl erstarrte im Wort:
„Das ist unmöglich“, entschied sie, „für heute haben wir ihnen die Ausfahrt zugesagt… und morgen abreisen, wo wir für drei Wochen gemietet haben… man machte sich ja lächerlich… ich sehe nicht den mindesten Anlass für eine Abreise… ich bleibe da und Erna auch…“
„Und ich kann gehen, nicht wahr?… ich störe ja hier nur… störe nur euer… Vergnügen.“
Mit diesem dumpfen Aufschrei zerhieb er ihr den Satz mitten im Wort. Sein geduckter, massiger Leib hatte sich aufgebäumt, Hände waren Fäuste geworden, auf der Stirn zitterte gefährlich die Ader des Zornes. Noch wollte etwas heraus aus ihm, Wort oder Schlag. Aber plötzlich wandte er sich mit einem Ruck, stolperte rasch und immer rascher mit seinen schwerfälligen Beinen zur Treppe und hastig wie ein Verfolgter die Stufen hinauf.
Der alte Mann keuchte hastig die Stufen hinauf: nur in das Zimmer jetzt, allein sein, sich bändigen, die Nerven niederpressen, nichts Unsinniges tun! Schon hatte er das obere Stockwerk erreicht, da – es war, als risse ihm von innen her eine glühende Kralle die Eingeweide auf – da taumelte er plötzlich kalkweiß an die Wand. Oh, dieser rasende, brennendknetende Schmerz; er musste die Zähne zusammenpressen, um nicht laut herauszuschreiben. Stöhnend krümmte sich der überfallene Leib.
Sofort wusste er, was ihn betroffen: ein Gallenkrampf, einer dieser furchtbaren Anfälle, wie sie in letzter Zeit ihn oft gequält, nie aber noch mit einer so teuflischen Marter wie diesmal. „Keine Aufregungen“, hatte der Arzt gesagt – im gleichen Augenblick fiel es ihm ein, mitten im Schmerz. Und mitten im Schmerz höhnte er sich ingrimmig noch selbst. „Leicht gesagt, keine Aufregungen… soll’s mir einmal vormachen, der Herr Professor, wie man sich nicht aufregt, wenn man… oh… oh…“
Der alte Mann wimmerte, so glühend wühlte die unsichtbare Kralle im gefolterten Leib. Mit Mühe schleppte er sich bis zur Tür seines Salons, stieß sie auf und fiel hin auf die Ottomane, die Zähne in die Kissen verbeißend. Im Liegen ließ der Schmerz sofort ein wenig nach, die heißen Nägel griffen nicht mehr so teuflisch tief in die grausam wunden Eingeweide. „Einen Umschlag sollte ich mir machen“, erinnerte er sich, „die Tropfen nehmen, dann wird es gleich besser.“
Aber niemand СКАЧАТЬ
24
Saite die; -, -
25
Maintenant je veux danser moimême (fr.) – Wollen sie tanzen!
26
Excusez, messieurs, un instant (fr.) – Moment, bitte!