Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке. Стефан Цвейг
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Читать онлайн книгу Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке - Стефан Цвейг страница 10

СКАЧАТЬ ist da“, dachte er erbittert, „wie ein Hund werde ich einmal krepieren… denn ich weiß ja, was da weh tut, das ist nicht die Galle… das ist der Tod, der in mir wächst… ich weiß, ich bin ein geschlagener Mann, und keine Professoren, keine Kuren können mir helfen … mit funfundsechzig Jahren wird man nicht mehr gesund… ich weiß, was da bohrt und wühlt in mir, das ist der Tod, und die paar Jahre, die mir noch bleiben, das wird nicht mehr Leben sein, nur Sterben, nur Sterben… Aber wann, wann habe ich denn gelebt?… gelebt für mich, für mich selbst?… Was war das für ein Leben: immer nur Geld gescharrt, Geld, Geld, immer nur für andere, und jetzt, was hilft es mir jetzt?… Eine Frau habe ich gehabt, als Mädchen habe ich sie genommen, ihren Leib hab ich aufgetan, und ein Kind hat sie mir geboren; Jahr für Jahr hat man gleichen Atem getan im gleichen Bett… und jetzt, wo ist sie jetzt… ich erkenne ihr Gesicht nicht mehr… ganz fremd redet sie zu mir und denkt nie an mein Leben, an all das, was ich fühle und leide und denke… ganz fremd ist sie mir seit Jahr und Jahr… Wo ist das hingegangen, wo ist das hin… und ein Kind hat man gehabt… aus den Händen ist sie einem gewachsen, ich hab geglaubt, hier fängt man noch einmal an zu leben, heller, glücklicher, als es einem selber vergönnt war, hier stirbt man nicht ganz… und da geht sie nachts von einem weg und wirft sich Männern hin… Nur mir allein werd’ ich sterben, nur mir allein… denn für die ändern bin ich schon gestorben… Mein Gott, mein Gott, nie war ich so allein…“

      Die Kralle griff manchmal grimmig zu und ließ dann wieder nach. Aber der andere Schmerz hämmerte immer tiefer in die Schläfen hinein; die Gedanken, diese harten, diese spitzen, unbarmherzig heißen Kieselstücke stachen in die Stirn: nur nicht denken jetzt, nur nicht denken! Der alte Mann hatte Rock und Weste aufgerissen – plump und unförmig zitterte der geblähte Leib unter dem gebauchten Hemd. Vorsichtig presste er die Hand auf die schmerzende Stelle. „Nur was da weh tut, bin ich“, fühlte er, „nur das bin ich, einzig nur dieses Stück heißer Haut… und einzig, was da innen umwühlt, nur das gehört noch mir, das ist meine Krankheit, mein Tod… nur das bin ich … das heißt nicht Kommissionsrat mehr und hat nicht Frau und Kind und Geld und Haus und ein Geschäft… und nur das allein da ist wirklich, was ich mit den Fingern fühle, mein Leib und das Heiße in ihm innen, das weh tut… Alles andere ist Narrheit, hat keinen Sinn mehr… denn was da weh tut, tut nur mir allein weh… was mich sorgt, sorgt nur mich allein… sie verstehen mich nicht mehr und ich nicht mehr sie… ganz allein ist man mit sich selbst, nie hab ich’s so gespürt. Jetzt aber weiß ich’s, wo ich daliege und den Tod wachsen fühle unter der Haut, jetzt zu spät, im fünfundsechzigsten Jahr, knapp vor dem Verrecken, jetzt, indes sie tanzen und Spazierengehen oder sich umhertreiben, diese ehrlosen Weiber… jetzt weiß ich’s, dass ich nur ihnen gelebt, die mir’s nicht danken, und nie, nicht eine Stunde, mir selber … Aber was gehen sie mich noch an… was gehen sie mich noch an… wozu an sie denken, die nie an mich denken?… Lieber krepieren, als von ihnen Mitleid nehmen… was gehen sie mich noch an…“

      Nach und nach, schrittweise zurückweichend, ließ ihn der Schmerz: nicht mehr so krallig, nicht mehr so glühend griff diese grimmige Hand in den Leidenden hinein. Aber irgendein Dumpfes blieb, kaum als Schmerz mehr fühlbar, etwas Fremdes drückte und drängte, das nach innen seinen Stollen grub. Der alte Mann lag mit geschlossenen Augen und lauschte angespannt auf dies leise Zerren und Zehren: ihm war, als höhlte diese fremde, unbekannte Macht erst mit spitzem, jetzt mit stumpferem Werkzeug etwas in ihm aus, als lockerte und löste sich, Faser um Faser, etwas in seinem verschlossenen Leib. Es riss nicht mehr so wild. Es tat nicht mehr weh. Aber doch, etwas schwelte und faulte da leise innen, etwas fing an abzusterben. Alles, was er gelebt, alles, was er geliebt, verging in dieser langsam zehrenden Flamme, brannte schwarz und schwelend, ehe es mürb und verkohlt niederfiel in einen lauen Schlamm von Gleichgültigkeit. Etwas geschah, er spürte es dumpf, etwas geschah, indes er so lag und leidenschaftlich sein Leben überdachte. Etwas ging zu Ende. Was war es? Er lauschte und lauschte in sich hinein.

      Und allmählich begann der Untergang seines Herzens.

      Er lag, geschlossenen Auges, der alte Mann, in dem dämmernden Zimmer. Halb wachte er noch, halb träumte er schon. Und da, zwischen Schlummer und Wachen, schien es dem wirr Fühlenden so: ihm war, als sickerte von irgendwo (von einer Wunde, die nicht schmerzte und die er nicht wusste) ein Feuchtes, ein Heißes leise nach innen, als blute er sich aus in sein eigenes Blut. Es tat nicht weh, dies unsichtbare Fließen, es strömte nicht stark. Nur ganz langsam wie Tränen rinnen, rieselnd und lau, so fielen die Tropfen herab, und jeder von ihnen schlug mitten ins Herz. Aber das Herz, das dunkle, gab keinen Ton, still sog es dies fremde Geström in sich ein. Wie ein Schwamm sog sich’s an, wurde schwerer und schwerer davon, schon schwoll es an, schon quoll es auf in dem engen Gefüge der Brust. Allmählich voll und übervoll vom eigenen erfüllten Gewicht begann es leise nach abwärts zu ziehen, die Bänder zu dehnen, an den Muskeln, an den straffen, zu zerren, immer lastender drückte und drängte das schmerzhafte Herz, riesenhaft groß schon, hinab, der eigenen Schwere nach. Und jetzt (wie weh das tat!), jetzt löste das Schwere sich los aus den Fasern des Fleisches – ganz langsam, nicht wie ein Stein, nicht wie fallende Frucht; nein, wie ein Schwamm, vollgesogen von Feuchtem, sank es tiefer, immer tiefer hinab in ein Laues, ein Leeres, irgendwo hinab in ein Wesenloses, das außer ihm selber war, eine weite, unendliche Nacht. Und mit einem Male wurde es grauenhaft still an der Stelle, wo eben noch dies warme, quellende Herz gewesen: etwas gähnte dort leer, unheimlich und kalt. Es klopfte nicht mehr, es tropfte nicht mehr: ganz still war es innen geworden, ganz tot. Und hohl und schwarz wie ein Sarg wölbte sich die schauernde Brust um dies stummunbegreifliche Nichts.

      So stark war dieses Traumgefühl, so tief die Verworrenheit, dass der alte Mann, als er aufdämmerte, unwillkürlich hingriff an die linke Brust, ob er sein Herz nicht mehr in sich hätte. Aber, gottlob! da schlug noch etwas, dumpf und rhythmisch unter dem tastenden Finger, und doch war’s, als wäre dies nur tauber Schlag ins Leere und sein Herz weg. Denn sonderbar: es schien mit einemmal ihm der eigene Leib wie von sich weggetan. Kein Schmerz zerrte mehr, kein Erinnern zuckte mit gefoltertem Nerv, alles war stumm da innen, starr und versteint. „Wie ist das?“ dachte er, „eben hat mich so vieles gequält, eben war das Innen da noch heiß überdrängt, eben zuckte noch jede Fiber. Was ist mir geschehen?“ Wie in ein Hohles horchte er hinein, ob das Frühere sich nicht rührte. Aber ganz weit war dies Rieseln und Rauschen, dies Tropfen und Klopfen – er horchte und horchte —, nichts, nichts, nichts hallte zurück. Nichts quälte mehr, nichts quoll mehr auf, nichts schmerzte mehr: leer und schwarz wie die Höhlung eines ausgebrannten Baumes musste das da innen sein. Und mit einemmal war ihm, als ob er schon gestorben wäre oder etwas in ihm gestorben, so grauenhaft stumm stockte das Blut. Kalt wie ein Leichnam lag unter ihm sein eigener Leib, er hatte Angst, ihn anzufühlen mit der warmen Hand.

      Der alte Mann horchte in sich hinein: er hörte nicht, dass immer wieder die Glocken vom See ihre Stunden herein in sein Zimmer schlugen, jede in mehr Dämmerung gehüllt. Rings um ihn wuchs schon die Nacht, Dunkel strich die Dinge aus dem wegfließenden Raum; selbst der hellere Himmel im Viereck des Fensters erlosch vollkommen in Finsternis. Der alte Mann merkte es nicht, er starrte nur in das Schwarze in sich, er horchte nur in das Leere in sich hinein wie in den eigenen Tod.

      Da endlich brach ins Nachbarzimmer Gelächter und Übermut, Licht flammte nebenan – ein Strahl davon spritzte durch die nur angelehnte Tür. Der alte Mann schreckte auf: seine Frau, seine Tochter! Gleich würden sie ihn hier auf dem Ruhebett finden, ihn fragen. Eilig knöpfte er sich Rock und Weste: was brauchten sie von seinem Anfall zu wissen, was ging es sie an?

      Aber die beiden Frauen suchten ihn nicht. Sie hatten Eile offenbar, ungestüm hämmerte der Gong seine dritte Ladung zum Diner. Sie richteten sich anscheinend her: der Lauschende hörte durch die offen Türe jede Bewegung. Jetzt schoben sie die Läden auf, jetzt legten sie leise klirrend die Ringe auf die Waschtische, jetzt polterten Schuhe zu Boden, und zwischendurch redeten sie: jedes Wort, jede Silbe ging grauenhaft verständlich dem Horchenden ins Ohr. Erst sprachen und spotteten sie über die Herren, über kleinen Zufall der Fahrt, durchaus Leichtes und Lockeres im stolpernden Durcheinander während dieses Sich-Waschens und Bückens und Putzens. Da plötzlich schwenkte СКАЧАТЬ