Название: Gorloin
Автор: Thomas Hoffmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Leif Brogsohn
isbn: 9783742776297
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Aeolin und Lyana gingen auf die Jagd. Kat, Sven und ich machten einen Morgenspaziergang durchs Dorf. Zwischen den Hütten sang eine Frau. Sie stand mit offenen Armen dem Wald zugewandt. Der melodiöse Gesang hatte etwas Betörendes. Ich spürte die magische Kraft ihres Gesangs, obwohl ich den Zauber nicht kannte, den sie wirkte. Ein grauhaariger Krieger betrachtete uns, wie wir der Elbin lauschten. Er nickte freundlich und stellte sich zu uns. Von seinem Stirnband hingen drei Federn. Wir neigten unsere Köpfe zum Gruß. Mit geschlossenen Augen lauschte der breitschultrige Krieger der Frau. Hin und wieder summte er die fremdartigen Melodien leise mit.
Schließlich meinte er zu uns: „Meine Schwester besingt das Jagdglück unserer jungen Jäger. Es ist die Aufgabe der Frauen bei der Jagd.“
Die grauen Augen in seinem faltigen Gesicht blinzelten verschwörerisch. „Die Frauen sind die eigentlichen Jägerinnen unseres Clans. Ohne sie wäre die Jagd im Winter beschwerlich und oft würden wir Hunger leiden.“
„Und dann geben eure jungen Kerle so an mit dem Wild, das sie erjagt haben?“ platzte Kat heraus.
„Sie geben nicht an,“ erklärte der alte Krieger mit feinem Lächeln. „Sie erklären den Frauen, wo sie das Wild erbeutet haben und auf welche Weise, damit die Frauen wissen, was sie singen müssen.“
Unter dem Vordach einer Langhütte arbeitete eine junge Frau am Webstuhl. Kat stellte sich zu ihr.
„Woraus spinnt ihr euer Garn?“ wollte sie wissen.
„Wir sammeln die Wolle von Büschen, die in den Seitentälern der Berge wachsen,“ erklärte die Elbin.
Kat sah sie zweifelnd an. „Wolle? Von Büschen?“
Die Frau rief einem Mädchen etwas zu. Die Kleine lief los und kam gleich darauf mit einem Korb voller weißer, flauschiger Bälle wieder, nicht ganz so groß wie Äpfel. Fasziniert betasteten wir die flockigen, faserigen Früchte. Die weißen Fasern ließen sich auseinanderziehen und zu Fäden verzwirbeln wie Schafwolle.
Mittags am Siedlungsfeuer teilten die Frauen Schalen mit weichgekochten, schwarzen Bohnen an die wenigen Krieger aus, die sich am Feuer einfanden.
„Ich glaube,“ bemerkte Kat kauend, „bei den Elben sind die Geschmackssinne verkümmert. Alles, was sie uns vorsetzen, vom Wildbret mal abgesehen, schmeckt fade und mehlig.“
„Von den Kastanien und Bratäpfeln gestern zum Frühstück warst du noch begeistert,“ erinnerte Sven sie.
Thweronund setzte sich neben uns. Wir verneigten uns ehrerbietig im Sitzen, die Essschalen in den Händen.
„Haben meine Brüder und meine Schwester, die von den Völkern der Ebene zu uns gekommen sind, alles, was sie zu ihrem Wohl benötigen?“
„Danke, Vater,“ meinte ich. „Diese Nacht haben wir hervorragend geschlafen. Auch unser Lastesel ist gut untergebracht.“
Thweronund nickte lächelnd. Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Ich musste an Lyana denken, der Thweronund gestern Abend den Kriegerstand bestätigt hatte.
„In welchem Alter werden die Jugendlichen eures Clans in den Kriegerstand aufgenommen?“
„Es liegt an den jungen Männern selbst. Wenn sie die Sehnsucht danach verspüren, machen sie sich zur Großen Jagd auf, bei der sie ihr Geschick und ihren Mut beweisen können.“
„Aeolin hat diese Sehnsucht offenbar schon früh gespürt.“
Der alte Mann lächelte. „Ihr Herz ist stärker und unerschrockener als die Herzen vieler ihrer Brüder.“
Eine andere Frage beschäftigte mich. „Sag, Vater - Lohan, der Krieger der zweiten Feder - wie lange ist es her, das ihm das widerfuhr, woher er seine Narbe davongetragen hat?“
Thweronund blickte schweigend in die Ferne.
Schließlich meinte er: „Wir Munawhin zählen die Jahre nicht. Ihr Menschen der Ebene zählt jedes Jahr eures Lebens und redet an euren Feuern darüber, vor wie vielen Jahren euch dies widerfuhr und vor wie vielen jenes. Deshalb werdet ihr schnell alt und eure Lebenskraft versiegt, weil ihr sagt, ich bin jetzt sechzig oder siebzig oder achtzig Jahre alt, nun werde ich sterben. Und deshalb sterbt ihr auch. Wir aber zählen die Jahre unseres Weilens in dieser Welt nicht. Wir sterben nicht, es sei denn von der Hand eines Feindes. Wenn wir Sehnsucht verspüren nach unserer Heimat, ziehen wir hinauf in die Berge, zum Heiligen See meines Volkes. Kein Sterblicher und niemand, der dieser Welt noch verhaftet ist, kann die Berge um den Heiligen See lebend beschreiten, sie sind den Göttern geweiht. Dort oben erwartet ein Nachen die Söhne und Töchter unseres Volkes, deren Sehnsucht übermächtig geworden ist. Darin fahren sie über den See in die Heimat.“
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Am Nachmittag ging Kat nach Fedurin sehen. Das Tier brauche ein bisschen Bewegung, meinte sie. Da sie ihn nicht zu den Ponys in die Koppel bringen mochte, weil sie fürchtete, die Ponys würden den Esel nicht akzeptieren, wollte sie Fedurin eine Stunde spazieren führen. Außerdem behauptete Kat, der Esel brauche die Gewissheit, dass sich jemand um ihn kümmere. Sven hatte zwischen den Hütten den Klang eines Schmiedehammers gehört und ging, um sich die Eisenverarbeitung bei den Waldelben näher anzusehen.
Ich hätte mir gern eine ruhige Stelle gesucht, um mich mit der Elementarmagie der Blitze zu beschäftigen, in die Ligeia mich eingeführt hatte, aber ich traute mich nicht. Lohan schlich in der Nähe herum und ich hatte den Eindruck, er beobachtete mich. So streunte ich eine Weile allein durch die Siedlung und ging schließlich zu unserer Wohnstatt zurück, um eine Pfeife zu rauchen.
Schon seit Tagen überfiel mich eine zunehmende Rastlosigkeit, sobald mich nichts mehr ablenkte. Es waren nur noch wenige Tage bis Vollmond. Mein Körper verlangte nach dem Opferblut. Ich hatte die Opfergeräte dabei. Ligeia hatte sie mir mitgegeben, aber ich durfte sie bei Todesstrafe nicht verwenden. Seit Ligeia mich vor zwei Monaten initiiert hatte, hatte ich den Eindruck, meine Sinne würden schärfer und meine Empfindungen deutlicher, als erlebte ich mein Leben intensiver und wacher denn je. Aber auch mein Verlangen nach Leben war stärker geworden, nach der Quelle aller Lebenskraft - nach lebendigem Blut. Jetzt, mit dem nahenden Vollmond, wurde das Verlangen nahezu unwiderstehlich. Doch so sehr ich auch grübelte, ich wusste mir keinen Rat.
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Unter den Jägern, die am Abend ihre Jagdbeute brachten, waren auch Aeolin und Lyana. Sie hatten eine Hirschkuh erlegt. Wie die anderen Krieger berichtete Aeolin weitschweifig über ihre Jagd. Am Feuer saßen die beiden eng beieinander zwischen den anderen Kriegern. Mehrmals blickten Lyana und ich uns an. Sie lächelte jedes Mal.
„Unzertrennlich, die beiden,“ meinte Kat mit einem Blick zu Lyana und Aeolin. „Wie ein Pärchen in den Flitterwochen. Ich glaube, in der nächsten Zeit werden wir Lyana nicht viel zu Gesicht bekommen.“
Kat saß zwischen Sven und mir - wie immer. Auch wir saßen nahe beieinander.
Auf einer der Bänke saß Lohan für sich allein. Die junge Frau, die ich schon am ersten Abend bei ihm gesehen hatte, bediente ihn. Er sah nicht zu mir herüber, blickte aber auch zu niemandem sonst in der Runde. СКАЧАТЬ