Privatsache. Thomas Hölscher
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Название: Privatsache

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750219007

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СКАЧАТЬ Mittags waren die Straßen kaum belebt, aber bereits am späten Nachmittag gingen ihm die Massen von zumeist halbnackten und schamlosen Proleten auf den Geist, wie sie in aller Regel lärmend durch diese alberne und billige Glitzerwelt liefen und auf den zu dieser Zeit noch kaum besetzten Terrassen der zahlreichen Bars Alkohol tranken und grölten, während auf riesigen Fernsehern in einer irrsinnigen Lautstärke Fußballspiele der englischen Premier League gezeigt wurden. Am frühen Abend setzte er sich außerhalb des Ortes in einer schmalen Bucht auf die Klippen und war wütend überzeugt davon, dass es tausendmal besser war, arrogant zu wirken, als sich mit einem solchen Mob zu beschäftigen.

      Cala Ferrara hatte auf einem Hinweisschild neben der steilen Treppe gestanden, die zu dem kleinen Strand der von zerklüfteten Felsen eingefassten Bucht führte. Es waren kaum noch Menschen auf dem Strand, und der Lärm des Ortes war hier so gedämpft, dass er selbst gegen das leise Plätschern der Wellen keine Chance hatte. Von seinem Platz aus blickte er auf einen riesigen Hotelkomplex auf der gegenüber liegenden Seite der Cala, der aus den frühen 70er Jahren stammen musste und mittlerweile einen etwas heruntergekommenen Eindruck machte. Der Betonkoloss verschandelte natürlich die wunderschöne Badebucht und trotzdem kam ihm die Kulisse urplötzlich vor wie aus einer anderen Welt. Aus den Augenwinkeln glaubte er schließlich sogar auf einem der zahllosen Balkons einen attraktiven Mann gesehen zu haben, der zu ihm hergeschaut hatte, aber als er genauer hinschaute, war dort nichts und niemand zu sehen. Außerdem war die Tür zum Balkon verschlossen und die Jalousien vor dem Fenster ließen keinen Blick zu in das dahinterliegende Zimmer.

      Der Mann hatte Ähnlichkeit mit ihm selber gehabt, das wusste er noch. Und sofort war ihm der Gedanke peinlich.

      Man müsste, dachte er plötzlich, sich eine Geschichte ausdenken, in der ein Schwuler in eine solche Situation kommt: Er steht genau hier und sieht auf einem der Balkons des Hotels auf der anderen Seite einen Mann, der ihm sehr ähnlich sieht. Der dort eigentlich gar nicht hinpasst. Der Sehnsucht macht, schon weil er dort eigentlich gar nicht hinpasst. Und weil er plötzlich verschwunden ist und die Zeit immer schon viel zu kurz war, von dem Mann irgendetwas wirklich in Erfahrung zu bringen. Der Schwule wird alles tun, um diesen Mann zu finden, unbeirrbar wird er sich im Hotel nach diesem Mann in diesem Zimmer erkundigen, und wenn man ihm schließlich sagt, dass dort überhaupt kein Gast wohne, das Zimmer schon seit Wochen nicht belegt sei, wird er es erst recht nicht glauben, weil es einfacher ist, allen anderen Oberflächlichkeit oder sogar dreiste Lügen zu unterstellen, als sich mit einer Realität abzufinden, in der die Fakten für die eigene Sehnsucht ohne jeden Zweifel einfach nicht existent sind: Die platonische Vorstellung der Liebe, man sei im Grunde das ganze Leben nur auf der Suche nach der anderen, vor aller Zeit von einem getrennten Hälfte seiner selbst, war eben nur eine Geschichte. Ein Mythos.

      Vielleicht nicht einmal ein besonders angenehmer; aber immerhin beschrieb er etwas, das sonst schon aus Scham einfach nicht sagbar war.

      Dass das alles so nicht stimmte, dachte er plötzlich und war selber erstaunt, wie aggressiv und zugleich bedrückt und verzweifelt ihn dieser Gedanke machte. Vor mittlerweile über 4 Jahren war seine eigene andere Hälfte in seinem Leben aufgetaucht. Und das nicht als Sinnestäuschung.

      Ganz konkret verfaulten die Überreste dieser anderen Hälfte seit über vier Jahren irgendwo auf einem Friedhof im Bochumer Norden.

      Irritiert und verlegen drehte er an dem Ring, den er seit über vier Jahren an der rechten Hand trug.

      Dann war ihm seine Rührseligkeit peinlich.

      4

      Gegen Abend landete die Maschine in Düsseldorf, und mittlerweile störte es Börner schon, dass die Mehrzahl der Passagiere in geradezu frenetischen Beifall ausbrach, als die Räder des Flugzeugs auf der Landebahn aufsetzten. Was sollte nun auch noch dieser Unsinn! Wurde eigentlich auch gebuht, wenn solch ein Teil abstürzte? Der Pilot tat schließlich nur seine Pflicht, und weshalb sollte man ihm dafür applaudieren?

      Börners Unausgeglichenheit steigerte sich zur Wut, als sich nur wenig später kaum einer der Fluggäste an die mehrfach wiederholte Aufforderung hielt, solange angeschnallt auf den Plätzen zu bleiben, bis die Maschine zum Stillstand gekommen war. Überall sprangen die Leute plötzlich wie auf ein vereinbartes Zeichen hin auf, standen sich in den schmalen Gängen gegenseitig im Weg und kramten Taschen, Jacken und andere Utensilien aus den Gepäckfächern über den Sitzreihen. Börner fand diese Leute geradezu widerwärtig; sie hatten es anscheinend nie gelernt, irgendetwas anderes zu sehen als ihre eigenen Belange. Er blieb nun erst recht sitzen und ärgerte sich anschließend darüber, dass er das Flugzeug als letzter verlassen musste.

      An der Gepäckausgabe konnte er seine Wut dann kaum noch beherrschen. Das Gepäckband war ringsum von einer dichten Menschenmenge umlagert, die sich gegenseitig schubsten, an die Seite stießen und mit ihren Koffern und Taschen drangsalierten. Obschon Börner sehr schnell hinter dem Gewimmel seinen Koffer entdeckt hatte, hielt er es für besser, das Ding noch ein paar Ehrenrunden auf dem gleichgültig vorübergleitenden Gepäckband drehen zu lassen. An diesem albernen Gewühle würde er sich jedenfalls nicht beteiligen.

      Endlich konnte auch er dann seinen Koffer nehmen und ihn gleich anschließend vor einem jungen Zollbeamten öffnen. Börner lachte resigniert: Er hatte es gewusst. Er hatte es einfach gewusst, dass es natürlich ihn treffen würde. Dass er dem Beamten deutlich sagte, was er von solchen Kontrollen hielt, veranlasste den jungen Mann aber offensichtlich nur dazu, nun ganz besonders intensiv zwischen dreckigen Socken, Unterwäsche und Jeans nach sonst was zu suchen.

      Restlos geladen folgte Börner dann den Hinweisschildern zur S-Bahn-Station, verlief sich zweimal, und als er den Bahnsteig endlich erreichte, war der Zug gerade weggefahren. Der Zeiger der großen Stationsuhr wippte auf 20 Uhr 57, und ein Blick auf den Fahrplan machte Börner klar, dass er nun bis kurz vor halb zehn auf die nächste Bahn in Richtung Düsseldorf Hauptbahnhof warten musste.

      Unruhig wanderten seine Blicke durch die S-Bahn-Station. Nichts interessierte ihn hier, überall war nur das, was man auch erwartete und ohnehin schon lange kannte: verdeckte Neonbeleuchtung, orangefarbene Fahrkartenautomaten, farbige Kacheln und riesige Plakatwände. Wer so etwas jeden Tag sah, freute sich schon auf seinen Jahresurlaub in Mallorca, nur um – dort angekommen – gleich bei seiner Ankunft das Gleiche zu sehen: verdeckte Neonbeleuchtung, Fahrkarten und Geldautomaten, farbige Kacheln und riesige Plakatwände.

      Vor allem waren nirgendwo attraktive Männer zu entdecken. Die hatten heute Abend offensichtlich alle etwas Besseres vor als hier herumzusitzen. Dann hatte er die beiden Polizisten entdeckt, die mit der Rolltreppe in die Station kamen und nun langsam am Bahnsteigrand entlang gingen und sich unterhielten. Beide waren noch sehr jung, und vor allem der kleinere sah ziemlich gut aus. Als die beiden an ihm vorübergingen, fing Börner plötzlich an zu lachen. Die meisten Leute versuchten doch, aus dem letzten Hängearsch noch einen knackigen Hintern zu machen; bei der Polizei in NRW schien man sich Mühe zu geben, das Gegenteil zu bewirken. Diese Uniformen waren wirklich der letzte Schrei! Vor allem die Hose des Kleinen war etliche Nummern zu groß, der straff gezogene Gürtel ließ den Unterleib in einem großen ockerfarbenen Sack schlabbern, und der Arsch schien ungefähr in Höhe der Kniekehlen zu hängen.

      Börner stand auf und warf seine Jacke über die Schulter; schon den ganzen Tag schleppte er das Ding mit sich herum, weil er alle wichtigen Papiere darin verstaut hatte. Dabei stieß die Zeitung unter sein Kinn, die immer noch in der Innentasche der Jacke steckte.

      Seit Tagen hatte er sich einfach nicht dazu entschließen können, die Zeitung mit dem Bericht über den Mord im Altenheim wegzuwerfen. Nun war er froh, sich durch nochmaliges Lesen des Artikels von seiner miesen Stimmung ablenken zu können. Die ganze Sache war tatsächlich kaum zu glauben: Da legte ein Achtzigjähriger einen anderen Opa um, weil der ihn angeblich zeitlebens als Schwulen drangsaliert und erpresst hatte. СКАЧАТЬ