Das schmale Fenster. Friedrich Haugg
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Название: Das schmale Fenster

Автор: Friedrich Haugg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783844253658

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СКАЧАТЬ und normannisch wasserblaue Augen, wurde von Martin zwar registriert, aber er zog keine weiteren Folgerungen daraus. In der Firma hatte für ihn das Sexuelle nichts zu suchen. Wichtig war ihm die schon drei Jahre währende vertrauliche und vertraute Zusammenarbeit mit Miriram. Diese moralische Leistung war allerdings nicht so großartig, wie es den Anschein hatte, da sein persönlicher Testosteronspiegel offensichtlich nicht für eine totale Gehirnkontrolle ausreichte. Das erklärte auch seinen mangelnden Ehrgeiz, weiter nach oben zu steigen. Das überließ er den Alphamännchen, die er belustigt beim Drängeln und Hecheln beobachtete und die dann später wegen ihrer Affären wieder abstürzten.

      Der Vortrag lief wie erwartet gut, er war sich seiner Sache ohnehin sicher. Da mittlerweile auch sein Geist Einzug gehalten hatte, bat er noch, Fragen zu stellen. Ein kleiner, untersetzter und blässlicher Mann mit zerknittertem, farblosem Anzug und einem aufgequollenen Vollmondgesicht, das seine Augen zu schmalen Schlitzen deformierte, holte hörbar Luft und setzte eine wichtigtuerische Miene auf. Seine Stimme war dünn, scharf und leise.

      „Wenn ich das richtig verstanden habe, Herr Dr. Hohenstein – und sie müssen entschuldigen, ich war bisher noch nicht eingebunden - handelt es sich bei dem Wirkstoff um eine Art Antidepressivum, wie wir es schon von Doxepin, Imipramin, Clomipramin oder Amitriptylin kennen, also selektive Serotonin - oder Noradrenalin - Wiederaufnahmehemmer. Was ist denn also so neu an Ihrem Produkt?“ Aha, dachte Martin, der weiß mehr als alle anderen. Aber Fragen dieser Art galten als unschicklich. Aus dem Augenwinkel sah er Miriam, die sich ein satanisches Grinsen gerade noch verkniff. Wenn ich nur wüsste, wohin dieser Typ gehörte, dachte er. Aber egal, ein langes Zögern würde nicht positiv wirken.

      „Sie haben einesteils Recht, aber auch wieder nicht. Neu ist, dass unser Wirkstoff so gut wie nebenwirkungsfrei ist und keinerlei Suchtgefahr besteht. Außerdem ist seine psychische Wirkung anders. Er dämpft nicht und er regt nicht an, hat keinen Einfluss auf die Wachheit und Reaktionsfähigkeit, sondern sorgt lediglich für ein ausgeglichenes und von unangemessenen Ängsten befreites Befinden.“

      „Aber wie wollen Sie dieses Wunder bewerkstelligt haben?“ Diese Frage gehörte nun eindeutig zu den Tabus. Martin blieb höflich vorsichtig.

      „Nun, das ist ja gerade unser unique selling point, unser usp. Sie werden verstehen, dass wir Ihnen dies nicht im Detail darstellen können. Nur so viel: Wir haben den Wirkmechanismus des Johanniskrauts und anderer psychoaktiven Pflanzen entschlüsselt und mit bekannten Psychopharmaka, wie Ritalin oder Diazepam, also Valium, abgeglichen. Danach wurde der Wirkstoff in verschiedenen Molekülkombinationen synthetisiert. Nach dem Test der verschiedenen Varianten haben wir eine spezielle Molekülstruktur ausgewählt und voilà: Fertig war NeuroX.“ Er wusste natürlich, dass das keine befriedigende Antwort war. Dass sie während der Entwicklung mehr oder weniger herumprobiert hatten und eher zufällig auf die richtige Zusammensetzung gestoßen waren, war den Fachleuten ohnehin klar. Das Glück des Tüchtigen eben. Es gibt keine Möglichkeit, einen guten Wirkstoff zu planen oder zu designen – noch nicht und er hoffte auch nie. Wie auch immer, sie hatten die Formel für das ideale Medikament gefunden. Es wird Millionen von Menschen von Problemen befreien, die sie mit ihren negativen oder neurotischen Gefühlen haben und das ganz ohne schädliche Nebenwirkungen. Trotz der Überflutung mit audio-visuellen Eindrücken und der Dauerbelastung im Alltag werden Burn Outs, Nervenzusammenbrüche oder Depressionen bald der Vergangenheit angehören. Schließlich musste man den modernen Problemen mit modernen Mitteln begegnen.

      Der Untersetzte insistierte nicht weiter, wohl, weil er wusste, dass an dieser Stelle nicht mehr herauszuholen war. Nach einigen langweiligen Fragen zu formalen Abläufen, die John beantwortete, der für die Genehmigungsprozedur verantwortlich war, wurde die Sitzung beendet. Sean, John und Paulus, der Produktionsmanager, verabredeten sich mit ihm zum Essen und dann ging man mit Schweizer Unverbindlichkeit auseinander.

      Martin nahm Miriam mit und man suchte ein ruhiges Plätzchen in der hypermondänen Kantine der Bionik Health - Zentrale aus.

      Man merkte Sean an, dass ihm etwas auf der Seele brannte. „Zwei Dinge möchte ich unbedingt geklärt haben“, sagte er in die Runde. „Erstens, wie können wir so schnell die Produktion hochfahren, dass unsere Ankündigungen nicht ins Leere laufen und alle drauf scharf, aber keine Pillen da sind? Das Marketing läuft unaufhaltsam und kostet mehr Geld als deine ganze Entwicklung, Martin.“

      „Ich sorge schon dafür, dass das einwandfrei funktioniert. Ich fliege morgen schon nach China und dann zu den anderen Firmen in Brasilien und Südkorea, um alle restlichen Probleme aus der Welt zu schaffen. In zwei Wochen bin ich wieder da und werde allen Vollzug melden.“ Paulus gab den souveränen Profi. Ein wenig selbstgefällig, dachte Martin. Aber Paulus war wirklich gut und würde schon wissen, was er tut und sagt. Sean musste sich damit wohl oder übel zufrieden geben. Er schwieg und stocherte in seiner Pasta herum ohne aufzusehen.

      „Du hattest zwei Fragen, Sean.“ Martin ahnte schon, worum es ging. Miriam sah ihn erwartungsvoll an. Ein wenig Spannung war in ihrem Ausdruck zu spüren. Für den, der sie kannte.

      „Was ist mit deinen Rattentests?“

      „Was soll mit denen sein? Sie sind in etwa drei Wochen abgeschlossen und das war's dann.“ Er bemühte sich, locker zu wirken.

      „Ich bin zwar nur ein verachtenswerter Geldzähler, aber deswegen nicht komplett schwachsinnig. Wie so ein Projekt abläuft, weiß ich gerade noch. Rattentests sind jedenfalls in dieser Phase nicht vorgesehen. Also, bitte!“

      Miriam senkte die Augen angelegentlich auf ihren Teller. Martin sandte ihr für eine Millisekunde einen vorwurfsvollen Blick zu, kaum zu bemerken für die anderen. Er war nicht interessiert, dass seine Tests Öffentlichkeit errangen, auch nicht innerhalb der Firma. Das konnte nur unnütze Zweifel und Irritationen hervorrufen. Dass Sean davon wusste, störte ihn sehr, war aber unvermeidbar gewesen. Alles was Geld kostete – und seine Tests kosteten Geld, weil sie teure Geräte benötigten – lief über Sean's Schreibtisch und Sean war penibel. Wie ein Geier schwebte er über allem, was nach Geld ausgeben roch. Und wie ein Geier fand er alles, jedes auch noch so kleine Bröckchen. Sean gehörte zu der modernen Kaste der Finanzmanager, für die Entwicklung und Produktion lediglich Kosten waren, die den shareholder value schmälerten und die man möglichst klein halten müsse. Angeblich arbeiteten erfolgreiche Firmen heute so. Martin war das zuwider, es war gegen seine Natur. Andererseits räumte er ein, dass eine Firma ohne Menschen wie Sean pleite sein könnte, bevor sie irgendetwas Nützliches zustande gebracht hätte.

      „Also, die Rattentests.“ Alle einigermaßen intelligenten Anwesenden – und das waren sie alle – merkten, dass Martin Zeit brauchte, um seine Antwort zu geben. Und das allein war schon verdächtig. Er musste jetzt gut sein. Miriam sah das wohl auch so. Denn sie blickte ihn mit einer gewissen Spannung an. Wie einen Fallschirmspringer, der vorhatte, aus sehr niedriger Höhe abzuspringen. Martin fühlte sich auch so.

      „Du weißt, mein Lieber, dass ich ein zutiefst misstrauischer Mensch bin, am meisten mir selbst gegenüber. Alle objektiven Resultate, Analysen, Studien und Tests sind völlig ohne Makel und ich kann meine Hand dafür ins Feuer legen. Ich war nur neugierig. Das haben die Naturwissenschaftler so an sich. Du kannst Dir das nicht vorstellen, weil du anders tickst. Vergleiche es am besten mit deinem Drang, vor allen anderen Menschen die Börsenkurse zu wissen. Aber das ist ein schlechtes Bild und ich schweife ab.“ Er nannte sich einen Narren, weil die Antwort ausgemachtes Gefasel war. Alle sahen ihn lediglich an, mitleidlos, wie er zu spüren glaubte.

      „In der Tat“, bemerkte Sean trocken.

      „Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, noch etwas von deinem wertvollen Geld auszugeben, um meine persönliche Neugier zu befriedigen.“ Das war schon besser, weil es aufrichtig klang und vom Eigentlichen ablenkte. Ein alter Politikertrick: Man gibt eine kleine Schwäche zu und verschleiert damit den wunden Punkt. Es wirkte auch schon, weil Sean jetzt sein Gönnergesicht СКАЧАТЬ