Das Vermächtnis von Holnis. Peter Graf
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Название: Das Vermächtnis von Holnis

Автор: Peter Graf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783741808388

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СКАЧАТЬ entscheidend war, und deswegen legte er sich wieder und immer wieder die Worte zurecht, mit denen er im Rathaus seine Ankunft ankündigen wollte. In Flensburg angekommen, war er von der Lebhaftigkeit der Stadt verwirrt. Es war schon Jahre her, dass er sich in eine Stadt solcher Größe gewagt hatte.

      Die Stadt brodelte vor Geschäftigkeit und wimmelte voller Menschen. Hier konnte er den Menschen nicht aus dem Weg gehen und er hatte den Eindruck, dass jedermann ihn anstarrte. Er zwang sich dazu, nicht ständig hinter sich zu gucken, ob er verfolgt wurde. Er vermied es, den Leuten in die Augen zu schauen, und ergab sich ein zufälliger Blickkontakt, so flatterten seine Augenlider und sein Herz begann zu rasen. Es konnte doch niemand wirklich glauben, dass er Soldat war, dass die Uniform seine eigene war. Die Unruhe der Stadt, von der er wusste, dass sie neben Kopenhagen der größte Handelsplatz im gesamten Norden war, übertrug sich auf ihn. Das Klappern der zahlreichen Fuhrwerke, das Geschrei der Leute ließen ihn zusammenzucken. Der Lärm von der Straße und aus den zahlreichen Hinterhöfen drückte auf seinen Kopf, sodass er immer wieder versucht war, wegzurennen, seiner wahnsinnigen Idee zu entfliehen. Aber dann erkannte er, dass die Leute Ehrfurcht oder sogar Angst vor seiner Uniform spürten, was ihm wieder etwas Sicherheit gab.

      Er suchte sich bewusst einen Mann aus, bei dessen schäbiger Kleidung er sich sicher sein konnte, Respekt zu erwarten und den er mit grober Stimme ansprach: „Der Weg zum Rathaus?“

      Die Untertänigkeit, die ihm entgegenschlug, steigerte sein Selbstbewusstsein, das sich aber wieder auflöste, als er vor dem prächtigen Gebäude stand, zu dem ihm der Mann den Weg gewiesen hatte. Erst jetzt nahm er wahr, dass er von Macht und Reichtum ausströmenden Gebäuden umgeben war. Das Rathaus selbst war ein Sinnbild für den Aufstieg Flensburgs als Handelsmetropole. Die Bürger der Stadt, zumindest diejenigen, die hier zu Reichtum und Einfluss gekommen waren, hatten ihre Dankbarkeit dafür in Stein hauen lassen. Das Rathaus war ein mehrstöckiges neugotisches Gebäude aus rotem Backstein mit zahlreichen Türmen und Erkern. Das Dach aus roten Ziegeln ragte steil nach oben, als wolle es wie ein nach oben gereckter Finger zeigen, wohin die Stadt strebte. Die vielfältigen schmalen Fenster waren bunt verglast, ohne dem Haus die Würde zu nehmen.

      Hier, an diesem Ort sollte sich entscheiden, ob Jesper am Galgen hängen würde oder ihn ein Leben in Amt und Würde erwartete. Ohne noch lange zu überlegen und wieder in Zweifel zu verfallen, schritt er energisch die Granitstufen hoch und befahl einem Rathausdiener, ihn zum Bürgermeister zu führen, der bei dem selbstbewussten Auftreten des Besuchers nicht daran dachte, nach dessen Anliegen zu fragen. Jesper wurde in einen düsteren, aber eindrucksvollen Raum geführt, in dem hinter einem schrankgroßen Schreibtisch aus schwarz gebeizter Eiche ein eher unscheinbarer Mann saß, dessen Tracht und Amtskette ihn aber als Bürgermeister auswies.

      Jesper salutierte flüchtig und hielt dem Mann beiläufig die Arzturkunde hin.

      Er stellte sich nicht vor, er stellte keine Frage, sondern er ließ seine einstudierten Worte wie einen militärischen Befehl klingen, der keinen Widerspruch und keine Nachfragen zulassen sollte: „Ich werde hier den Posten des Amtsarztes übernehmen.“

      Erik Hansen hatten nicht eine besondere Intelligenz oder alte Beziehungen dieses Amt des Bürgermeisters eingebracht, sondern neben seinem Wohlstand die Fähigkeit zu unterscheiden, wann er buckeln musste oder wann er zutreten konnte. Hier schien ihm ein angemessener Respekt vonnöten, so dass Jesper und der Bürgermeister in kürzester Zeit die Modalitäten regelten.

      Von dieser Stunde an war aus Jesper Olsen Nis Nilsen geworden, der nun schon so viele Jahre als Amtsarzt in Flensburg residierte und wenn auch nicht beliebt, so doch respektiert wurde. Seine neue Identität war ihm so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er die allabendlichen Erinnerungen brauchte, um nie zu vergessen, wo er eigentlich herkam und welches Glück ihm beschieden war.

       Nis Nilsen war tief in seinen Gedanken versunken und nach dem dritten Glas Portwein fast eingenickt, als er eine Veränderung im Raum wahrnahm. Es war kein Geräusch, kein Windzug oder Schatten, aber er war nach so vielen Jahren immer noch Soldat genug, um Gefahr zu spüren. Mit einer Geschwindigkeit, die man diesem etwas schwerfälligen Mann nicht zugetraut hätte, schnellte er aus dem Sessel hoch und drehte sich zur Tür. Er bekam nie Besuch und hatte auch noch nie einen Dienstboten in sein Haus gelassen, aber was ihn erschreckte, war nicht die Anwesenheit einer fremden Person in seinen Räumen, sondern der Mann selbst. Der Fremde war nicht von beeindruckender Gestalt, zwar athletisch, aber nicht besonders kräftig. Was Nis Nilsen entsetzte, war die kalte Ruhe und die Selbstsicherheit, die der Mann ausstrahlte. Und Nis registrierte ein fast unscheinbares stilettartiges Messer, das der lautlose Eindringling so locker in der Hand hielt, als wollte er ein Geschenk überreichen. Blitzartig schoss dem Amtsarzt eine Erinnerung in den Kopf, die er vor einigen Jahren in einer der zahlreichen Flensburger Wirtshäuser erlebt hatte.

      Ein Mann von furchterregender Gestalt, vermutlich ein Matrose, war offensichtlich mit einem anderen Gast in einen Streit geraten. Der fast sieben Fuß große Mann, der Arme wie Dreschflegel besaß und dessen Gesicht durch zahlreiche Narben gezeichnet war, hatte sofort sein Messer gezogen, das einem kleinen Säbel glich. Er war um sich schlagend und brüllend auf sein Gegenüber losgestürmt. Sein wesentlich kleinerer Gegner war wortlos und scheinbar völlig entspannt stehen geblieben und wich erst im allerletzten Moment dem tödlichen Hieb des Matrosen aus. Kein Mensch im Gasthaus hatte gesehen, wie der Mann ebenfalls sein Messer gezogen haben musste und dem Matrosen einen Stich mitten ins Herz versetzt hatte, so schnell ging der ungleiche Kampf zu Ende. Als der Mann wortlos und fast schlendernd das Wirtshaus verließ, konnte ihm Nis ins Gesicht sehen. Völlig regungslos und ohne Emotionen, ein Bild, das er nicht aus seinem Gedächtnis verloren hatte.

      Der Fremde, der vor ihm stand, war sicher einige Jahre jünger, hatte aber den gleichen Blick. Nis Nilsen erkannte, dass es kein Entrinnen gab.

      Der Amtsarzt nahm nicht mehr die blitzschnelle Bewegung wahr, er spürte auch nicht den Schnitt in seinem Hals. Das letzte, was seine Augen an sein Gehirn sandten, war das Bild einer Tätowierung eines doppelstämmigen Baumes auf dem Unterarm des Mannes.

      4

      Fritz kam von der Arbeit müde und hungrig nach Hause. Wie gewohnt wich er mit tänzelnden Schritten den Tropfen aus Kondenswasser aus, die in dem dunklen, engen Durchgang zwischen den beiden Vorderhäusern von der Decke tröpfelten. Als er den Hinterhof erreichte, war ihm sofort klar, dass etwas vorgefallen sein musste. Kein Mensch war im Hof. Nicht seine Eltern oder Brüder und auch kein Nachbar. An sonnigen Frühlingsabenden wie heute war immer jemand vor der Tür. Die kleinen Hinterhofhäuser, die sich Seite an Seite zum Hang hin aneinanderreihten, waren eng, dunkel und feucht. Auch wenn kein Sonnenstrahl den Hof erreichte, so zog es alle Nachbarn nach draußen, falls es nicht regnete oder zu kalt war. Und heute war ein milder Abend, der auf den Frühling hoffen ließ. Abends war die Zeit, in der sein Vater draußen immer irgendetwas werkelte, sei es ein Stuhl reparieren oder alte Schuhe zusammenflicken. Seine Mutter hatte eigens einen klapprigen Hocker an der Hauswand stehen, um dort Gemüse zu schruppen oder Kartoffeln zu schälen und damit der verqualmten Küche zu entfliehen. Auch die Nachbarjungen lungerten vorm Abendessen immer in der Nähe des Hauses herum, um ja nicht zu spät zu kommen und mit leerem Bauch ins Bett gehen zu müssen. Niemand aus den Nachbarhäusern war zu sehen, wo doch der Hof der Ort war, wo die täglichen Neuigkeiten ausgetauscht wurden oder einfach nur ein Schnack gehalten wurde, wie Fritz`Vater immer zu sagen pflegte. Noch ungewöhnlicher war die verschlossene Haustür. Die Tür stand fast immer sperrangelweit offen, um den modrigen Geruch aus den schlecht belüfteten Räumen zu bekommen. Jeder Dieb wusste, dass es aus den Wohnräumen solcher Gebäude kaum etwas zu stehlen gab und dass die Gefahr erwischt zu werden, bei solch enger Nachbarschaft das Risiko nicht lohnte. Deswegen war es überflüssig, die Türen zu verriegeln.

      Gerade in dem Moment, als Fritz die Türklinke herunterdrücken wollte, wurde die Tür von innen aufgestoßen. Er schaffte es um Haaresbreite, den Kopf zur Seite ziehen, um keine Beule davonzutragen. СКАЧАТЬ