Das Vermächtnis von Holnis. Peter Graf
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Название: Das Vermächtnis von Holnis

Автор: Peter Graf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783741808388

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СКАЧАТЬ hatte und sich tief in sein Fleisch hineingefressen hatte. Er nahm seinen schrill heulenden Schrei nicht mehr wahr, der nicht mehr menschlich klang und der die Rekruten totenbleich werden ließ. Er schmeckte nicht mehr das Blut, das seinen Mund füllte, als er sich die eigene Zunge fast durchbissen hatte. Es war kein Schmerz, es war eine Feuersbrunst, die sich von außen in ihn hineinfraß und von innen wieder hinaus. Ihn verbrannte. Wenn es einen Gott gab, so sorgte der dafür, dass er die weiteren Schläge nicht mehr spürte. Er versank in einer tiefen Dämmerung, deren Mitleid ihn vor tödlichem Schmerz und abgrundtiefer Angst bewahrte.

      Jesper genehmigte sich ein zweites Glas, wobei seine Hand beim Einschenken merklich zitterte und ihm bewusst wurde, dass sich bei seinen Erinnerungen die Zehen seines verunstalteten, völlig vernarbten Fußes unwillkürlich verkrampft hatten. Aber nun konnte er mit bitterer Genugtuung daran denken, dass eben diese Folter, die ihn fast das Leben gekostet hatte, der Auftakt zu einem neuen Leben gewesen war. Ein Leben, das ihm die Chancen geboten hatte, dass er sich nun dort befand, wo er jetzt war. Und diesen Gedanken genoss er. Deswegen tauchte er so gern in seinen Erinnerungen ab.

      Man hatte ihn nach der Tortur in ein Lazarettzelt geschleppt, womit der Korporal seine Menschlichkeit unter Beweis stellen wollte. Irgendwann hatte sein junger Körper dafür gesorgt, dass die Blutungen seines zerfetzten Fußes zum Stillstand kamen, und ein mitleidiger Feldarzt hatte seinen Teil dazu beigetragen, indem er Lappen um das zerrissene Fleisch gewickelt hatte und die regelmäßig wechseln ließ. Von all diesem Tun kriegte Jesper nichts mit. Jespers gemarterte Seele hatte seinen Körper verlassen, der in einem ständigen Nebel mit Schmerz und Fieber kämpfte.

      Nis Nilsen hatte als Arzt, wenn auch noch jung an Jahren, bereits viel Elend auf den Schlachtfeldern in Schweden und auf Seeland erlebt. Um dieses Leid ertragen zu können, hatte er sich wie jeder Soldat eine Rüstung aus Gefühlskälte zugelegt und sein blutiges Geschäft ohne Anteilnahme auszuführen gelernt. Der junge Kerl, der sich in seiner Bewusstlosigkeit und in seinem hohen Fieber auf dem Strohlager hin- und herwälzte, erweckte allerdings bei ihm Erinnerungen an seinen verstorbenen kleinen Bruder, zu dem er eine tiefe Verbindung gehabt hatte und für dessen Tod er sich verantwortlich hielt. Und deswegen versuchte er seine Schuld dadurch etwas gutzumachen, indem er dafür Sorge trug, dass das arme Bürschchen eine Pflege erhielt, die sonst bestenfalls Offizieren zukam: Die Verbände wurden gewechselt, durch die aufgebrochenen Lippen wurde dem Jungen Wasser und Brühe eingeflößt und eine alte Pferdedecke hielt den kleinen Kerl warm, wenn er sich im Schüttelfrost hin- und herwarf. In den folgenden Wochen erschien es oft so, als würde der Junge seinen Kampf verlieren, und je länger sich Nis darum bemühte, den armen Teufel am Leben zu behalten, desto mehr fühlte er sich mit diesem Häufchen Elend verbunden. Als Jesper immer häufiger das Bewusstsein erlangte und Nis soviel Dankbarkeit für die Zuwendung in dessen Augen las, fasste er einen Beschluss: Er wollte den Jungen als Assistenten an seiner Seite haben. Ein Offizier aus seinem Regiment, dem er aus einer delikaten Situation geholfen hatte, war ihm einen Gefallen schuldig. Eine Hure hatte dem Hauptmann an einer Stelle eine Verwundung beigefügt, für die man keinen Respekt erhielt, sondern wo unerträglicher Spott zu erwarten war. Nis hatte den Offizier mit größter Diskretion behandelt. So wurde man sich schnell einig, dass der Junge an der Seite des Arztes arbeiten sollte, zumal schon feststand, dass Jesper mit seinem maltraitierten Fuß als ordentlicher Soldat nichts mehr taugte.

      Als Jesper nach drei Wochen das erste Mal seine Umgebung nicht durch einen Schleier wahrnahm, tauchte der Mann neben seinem Lager auf, den er in den letzten Wochen immer nur schemenhaft vor sich gesehen hatte, der aber scheinbar nichts Böses im Sinn hatte.

      „ Du musst wieder zu laufen lernen“, hörte er eine unerklärlich freundliche Stimme.

      „Du hast so lange gelegen, dass es Zeit wird, dass du deine Beine bewegst. Und auch dein Fuß muss sich an dein Gewicht gewöhnen.“

      Jesper versuchte aufzustehen, aber seine Beine knickten weg wie die bei frisch geborenen Kälbern.

      „Zieh dich an meinem Arm hoch und leg deinen Arm um meine Schulter.“

       Dieser Befehl schien nicht mit böser Absicht zu kommen, aber ein Unbehagen machte sich in ihm breit. Die Berührung eines Menschen kannte er nur in Form von Schlägen und er zuckte zusammen, als sich der Männerarm ihm entgegenstreckte. Jesper ignorierte den stechenden Schmerz in seinem Fuß und richtete sich auf. Als er umzukippen drohte, schlang der fremde Mann seinen Arm um Jespers Hüfte und hielt ihn aufrecht.

      „Du musst jetzt jeden Tag üben. Du wirst mir bei meiner Arbeit helfen und dazu brauchst du deine Beine.“

      Die Umarmung war für Jesper zuerst unangenehm, aber dann hatte er das erste Mal in seinem Leben das Gefühl, dass jemand sich um ihn kümmerte, ihm Schutz geben wollte, ihn nicht als mehr oder weniger nützliches Vieh sah. Ein Gefühl, das ihn schlagartig jeden Schmerz vergessen ließ und dazu beitrug, innerhalb weniger Tage so weit zu Kräften zu kommen, dass er erste Hilfsarbeiten und Botengänge verrichten konnte. Für Jesper begann nun eine Zeit, die die glücklichste in seinem bisherigen so armseligen Leben war. Er wurde nicht mehr geschlagen, wurde mit Essen und sogar neuer Kleidung versorgt und für ihn das Erstaunlichste: Er bekam eine Aufmerksamkeit in Form von freundlichen Worten, die ihm bis dahin völlig unbekannt gewesen war. So nahm er alle Arbeiten bereitwillig und mit größter Sorgfalt und Zuverlässigkeit an, vermied jeden Fehler und zeigte einen Eifer, der ihm Lob und auch ein wachsendes Vertrauen des Arztes einbrachte.

      „Du sollst lernen, mich bei meiner Tätigkeit als Arzt zu unterstützen.“

      Jesper stutzte. Bislang waren ihm, wo immer er auch gewesen war, nur eintönige, meist körperlich äußerst anstrengende Arbeiten aufgetragen worden. Aufgaben als Arthelfer traute er sich nicht im Ansatz zu.

      Sie standen neben einem Artilleristen, dessen Bein von einer Lafette überrollt worden war und übel zugerichtet war.

      „Leg du ihm einen Verband an. Du hast jetzt oft genug zugeschaut.“

      „Ich weiß nicht, wie man das macht.“ Jespers Stimme zitterte bei dem Gedanken, dass der Arzt ihn wegschicken könnte, wenn er einen Fehler machen würde.

      „Mach es!“, befahl Nis mit harscher, aber nicht unfreundlicher Stimme.

      Obwohl das Bein tief aufgerissen war und stark blutete, gelang es dem Jungen scheinbar mühelos, den Verband so geschickt anzulegen, dass die Blutung gestillt wurde und selbst der zeternde Soldat seine Anerkennung aussprach. Von diesem Tag an wurde Jesper in alle medizinischen Arbeiten eingebunden. Er pflegte die Kranken und Verwundeten, soweit deren Rang eine Behandlung zuließ. Er wechselte Verbände, schiente Brüche, und eine besondere Freude bereitete es ihm, Schrapnellsplitter oder Kugeln aus wundem Fleisch oder aufgerissenen Eingeweiden hervorzugraben, wobei er tunlichst verschwieg, dass ihn das Winseln der Verwundeten, deren wimmerndes Schreien, fast in Erregung versetzte.

      „Es ist erstaunlich, welche Begabung du für diesen Beruf mitbringst, dass dich auch nichts aus der Fassung bringt“, bemerkte Nis immer wieder.

      Jesper lernte schnell und er lernte viel, und er hoffte Woche für Woche und Monat um Monat, dass die Zeit bei dem Arzt nicht enden würde. Mit seinen jetzt 17 Jahren war er zu einem kräftigen jungen Mann herangereift, den seine harte Kindheit und Jugend älter erscheinen ließ und der es längst mit den Fähigkeiten seines Lehrers aufnehmen konnte. Den anderen jungen Soldaten blieb er fremd, was ihn nicht störte. Er hatte den Arzt, der ihm viel mehr als nur Lehrer war. Vielen war er unheimlich, so verschlossen er blieb und so verbissen er arbeitete, aber nicht wenige zeigten auch ein gewisses Maß an Respekt ihm gegenüber, was ihn mit Hochgefühl erfüllte. Sein besonderes Interesse galt den Tinkturen, den Flüssigkeiten und Ingredienzen, die der Arzt in einem verschlossenen Schrank in kostbaren Fläschchen und Phiolen aufbewahrte.

      „Lass СКАЧАТЬ