Das Vermächtnis von Holnis. Peter Graf
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Название: Das Vermächtnis von Holnis

Автор: Peter Graf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783741808388

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СКАЧАТЬ Flüssigkeit aus dem Schrank herausnahm, weil ihn die Form der Flasche so angesprochen hatte.

      „Davon reichen wenige Tropfen, um einen Hünen umzubringen“.

      Ohne recht zu wissen warum, schaffte es Jesper in einem unbeachteten Moment, etwas von dieser Flüssigkeit in ein leeres Fläschchen abzufüllen, bevor der Arzt den Schrank wieder verschloss.

      Zwei Zufälle sollten dazu führen, dass Jesper an einem der drauffolgenden Tage eines der befriedigendsten Erlebnisse seiner Jugend erleben durfte. Der Arzt musste für einige Tage zur Kommandantur nach Sonderburg. Und genau zu diesem Zeitpunkt wurde der Korporal, der ihn so gequält hatte, bewusstlos und mit hohem Fieber in das Lazarett eingeliefert. Jesper betrachtete es als Fügung, wenn nicht durch Gott, so doch durch den Teufel so vorgesehen, dass er sich etwas der Flüssigkeit erschlichen hatte. In der folgenden Nacht konnte kaum jemand in der Kaserne schlafen, weil die grässlichen Schreie des Korporals bis in jeden Winkel des Geländes schallten, und jeder war erleichtert, als der Korporal am nächsten Morgen tot aus dem Lazarettzelt getragen wurde.

      Die Erinnerungen daran, wie der mächtige Mann in Krämpfen vor ihm gelegen hatte, wie dessen Körper gezuckt und sich Stunde um Stunde zusammengekrümmt hatte, das Brüllen und Wimmern, führte immer noch zu einem wohligen Schauer, den Jesper sich bis zu seinem Lebensende bewahren wollte.

      Als der Arzt zurückkam und mitteilte, dass er zur königlichen Marine nach Kopenhagen abgeordnet worden war, brach zunächst für Jesper eine Welt zusammen. War das die Strafe für das, was er in der Nacht getan hatte? Als er dann aber hörte, dass er mitgehen sollte, schien sein Glück perfekt. Der Arzt und er, untrennbar.

      In Kopenhagen überschlugen sich die Ereignisse. Die königliche Flotte lag im Hafen oder auf Reede vor Anker. Nis Nilsen hatte mit seinem Gehilfen auf einer Fregatte als Schiffsarzt Quartier genommen und die beiden teilten den außerordentlichen Luxus, eine Kammer für sich allein zu haben.

      Jesper wusste nichts von den politischen Geschehnissen um ihn herum. Er hätte es auch nicht verstanden, warum Dänemark sich mit Napoleon verbündet hatte oder warum die englische Flotte sich um das Skagerak herumgeschlichen hatte, unbemerkt den großen Belt heruntergesegelt war und nun vor Kopenhagen lag.

      Ihm war aber augenblicklich klar, dass das Donnergrollen, das sich von Sekunde zu Sekunde zu einem Höllengewitter aus berstenden Explosionen, schrillem Pfeifen und fassungslosen Schreien steigerte, keine Geschützübungen waren, sondern dass sie unter schwerem Beschuss standen. Jesper und Nis hatten keine Zeit zu reagieren und sie hätten auch nicht gewusst, wie sie diesem Überfall aus Eisen, Blei und Feuer hätten entkommen können.

      Jespers Sinne nahmen nicht mehr wahr, wie eine Kanonenkugel die halbfußdicke Bordwand durchschlug und die Kammer mit Glut, Metallsplittern und zerfetztem Holzbalken zu einem Käfig aus brennenden Nägeln machte.

      Als er die Augen wieder Aufschlug, hatte er einen beißenden Geruch in der Nase, seine Augen tränten vor Rauch, aber er stellte mit Erstaunen fest, dass er kaum verletzt sein konnte.

      Trotz des Rauches war es ungewöhnlich hell in der Kajüte. Durch ein körpergroßes Loch aus zerrissenen Planken kam Licht herein, das den in mehrere Teile zerlegten Körper des Schiffsarztes beleuchtete. Jespers Herz setzte aus. Der Arzt war nicht sein Freund gewesen, nicht sein Vater oder Bruder. Der Arzt war für ihn Schutz gewesen, Orientierung und Vertrauen, ohne die das Leben die Hölle gewesen war. Sein erster Reflex war, sich in einen der beindicken Holzsplitter zu werfen, den Säbel des Arztes zu greifen und sich in den Leib zu rammen, diesem dreckigen Leben, das ihn nun wieder erwartete, ein Ende zu setzen.

      Der Überlebensinstinkt eines 17-Jährigen hielt ihn zurück. Das zunehmend krängende Schiff ließ ihm keine Zeit, sich in Trauer von seinem Herrn zu verabschieden, und er hätte auch nicht gewusst wie. Er hätte auch nicht zu erklären gewusst, warum er die Ledertasche des Arztes vom Gürtel über dessen zerquetschter Hüfte an sich riss - vielleicht um irgendein Andenken zu haben. Er musste nur raus hier, raus.

      Jesper konnte hinterher nicht mehr erinnern, wie er es geschafft hatte, sich aus diesem Chaos zerfetzten Holzes, verbogenen Eisens und zerrissener Leibe zu entwinden. Völlig leer, ohne Schmerz und Gefühle, ohne Hoffnungen und ohne Zukunft fand er sich am Abend an einem Abschnitt des Strandes wieder, der von den Kämpfen verschont geblieben war. In der Ledertasche fand er einige Geldstücke und säuberlich gefaltet und durch ein Tuch geschützt die Urkunde, die Nis Nilsen als Arzt auswies.

      Die nächsten Jahre streunte Jesper durchs Land, ohne Plan und ohne Ziel. Er übernachtete in abseits stehenden Scheunen oder baute sich Unterstände im Wald, hielt sich mit kleinen Diebstählen am Leben oder verdiente sich als Tagelöhner einen Teller Suppe oder einen Laib Brot. Manchmal wurde ihm erlaubt, für einige Tage im Stall zu schlafen, wenn er Gelegenheit gehabt hatte, seine Kenntnisse als Mediziner anzuwenden, indem er immer noch mit großem Geschick Sensenschnitte zunähte, Eiterbeulen öffnete oder sogar Zähne zog. Aber er mied die Menschen und blieb nie länger an einem Ort. Vor allen Dingen dann wurde es für ihn höchste Zeit zur Abreise, wenn im Dorf gemunkelt wurde, dass ein Mädchen vergewaltigt worden sein sollte, ein Kind misshandelt oder ein Tier brutal gequält.

      Ein fürchterlicher Herbststurm setzte diesem unsteten Treiben ein Ende.

      Jesper suchte Schutz vor dem Unwetter in einem Gasthaus, das gut gefüllt war, sodass er sich nicht allein an einen Tisch setzen konnte, um von seinen wenigen Geldstücken ein Bier zu bestellen. Sein versoffener Tischnachbar, ein dreckiger, kleinwüchsiger Kerl, jammerte unaufhörlich darüber, dass er der Gehilfe des Amtsarztes in Flensburg gewesen wäre, der unerwartet verstorben war. Und weil kein neuer Arzt gekommen war, hätten sie ihn davongejagt. In diesem Moment keimte in Jesper eine Idee, die seinem Leben wieder eine Richtung geben sollte. Er besaß medizinische Fähigkeiten, er hatte Lesen und Schreiben gelernt - und er war im Besitz einer Urkunde mit Siegeln und Unterschriften, deren Wert er erst jetzt begriff. Er wollte den Posten des Amtsarztes.

      Mit einer für ihn unbekannten Zielstrebigkeit machte er sich daran, seinen Plan umzusetzen. Seine Kenntnisse und Papiere wiesen ihn als Arzt aus, aber sein Äußeres, darüber machte er sich keine Illusionen, würde ihn verraten. Die nächsten Tage verbrachte er Stunden damit, mit Wasser und groben Steinen seine Hände von ihrer dicken verräterischen Hornhaut zu befreien und seine verwachsenen Nägel in eine gepflegtere Form zu bringen. Er schaffte es, mit einer Klinge und unglaublicher Geduld, seinen Haaren und seinem Bart einen Schnitt zu verpassen, der ihm für einen Arzt angemessen erschien.

      Das größte Problem war seine Kleidung: Seine Hose und seine Jacke waren nicht nur unendlich verschmutzt, was ihn nie gestört hatte, sondern in einem Zustand, der ihn niemals als honorige Person hätte durchgehen lassen. Aber er erinnerte sich, welche Wirkung Uniformen auf Menschen hatte.

      Er wusste, wo es Uniformen gab. So beschloss er, nach Tondern zu ziehen, wo er die Kaserne kannte. Er versteckte sich in dem Wald, mit dem ihn schlimmste Erinnerungen verbanden, um auf eine Gelegenheit zu warten.

      Nach drei Tagen voller Hunger, Ängste und Zweifel ergab sich eine solche Gelegenheit.

      Ein Uniformierter, der aus welchen Gründen auch immer allein und nicht zu Pferd unterwegs war, verließ den Waldweg, um einem natürlichen Bedürfnis nachzugehen. Jesper hatte es sich früh angeeignet, sich fast lautlos zu bewegen, um ja nicht aufzufallen. Es fiel ihm leicht, sich dem im Unterholz hockenden Mann von hinten anzuschleichen. Der Schnitt durch die Kehle des Mannes mit der Klinge kam so entschlossen und schnell, dass der Soldat keinen Laut mehr ausstoßen konnte. Den Strick, den er sich auf dem Weg nach Tondern gestohlen hatte, sowie einen schweren Stein nutzte er dazu, den Leichnam in dem Waldsee verschwinden zu lassen.

       Jesper brauchte Tage, um seine neue Kleidung vom Blut zu reinigen und um nach Flensburg zu ziehen. Immer СКАЧАТЬ