Название: Mit Sudoku und Beratung an die Börse
Автор: Leonie Reuter
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847620174
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Herr Dr. Kleist war der Ansicht, dass letztlich nur einer jegliche Arten von Schreiben gut beantworten konnte. Und das war nach seiner Meinung der, der am höchsten über allen angesiedelt ist, denn der saß seiner Meinung nach dort, weil es ihm wegen seiner guten Grammatik und Kenntnis der deutschen Sprache zustand. Zwar fehlte es einem hohen Ministerialbeamten zugegebenermaßen auch aus der Sicht von Herrn Dr. Kleist ein wenig an der Ortsnähe. „Aber was ist schon das Kriterium Ortsnähe, wenn man doch aus der Höhe den besten Überblick hat“, pflegte Herr Dr. Kleist immer zu sagen.
Hinzu kam, dass es keinen Bearbeiter im großen Ministerium gab, der so exzellent die Rechtschreibregeln beherrschte und so brillant formulieren konnte, wie er selber. Zumindest war er selber der Ansicht und dokumentierte dies stündlich, indem er gewissenhaft und sehr genau selbst die kleinsten Notizen der ihm untergebenen Referatsleiter korrigierte. Der Minister musste seiner Auffassung nach dankbar sein, dass er so eine vorbildliche Arbeitskraft in seiner Nähe hatte.
Bereits in den 80ger Jahre hatte ein Mieter der schönen Schwabinger Wohnliegenschaft am Englischen Garten in München, dem damaligen Finanzminister Waigel sein Leid in einem Brief geklagt: „Lieber Herr Finanzminister Waigel“, schrieb Herr Xavier Schönhuber, „nun wohne ich bereits drei Monate in dieser Wohnung und mein Wasserhahn im Badezimmer tropft immer noch. Bitte kümmern Sie sich endlich um diese dringliche Angelegenheit. Mit freundlichen Grüßen Xavier Schönhuber.“
Da der Finanzminister gerade durch ein europäisches Gipfeltreffen mit seinen Kollegen an der Beantwortung des Briefes gehindert war, übernahm Herr Dr. Kleist persönlich diese Angelegenheit und scheute sich auch nicht, alle drei Wochen bei der Ortsverwaltung München nachzufragen, ob denn nun der Wasserhahn endlich repariert sei. Da er einmal so gut im flow war (auch ein Wort, das er von einem Berater aufgeschnappt hatte), beantwortete er noch gleich ein weiteres Beschwerdeschreiben der Familie Hölzel, die sich über das sonntägliche Schnitzel klopfen auf dem Küchentisch ihrer Überbewohner beschwerte.
Nachdem sich seine Adresse im Ministerium bei den Mietern herum gesprochen hatte, erhielt Herr Dr. Kleist täglich einen ganzen Sack voller Beschwerden und Wünsche. Der Bote Herr Kurtz, der im Ministerium die Post in die Zimmer brachte und für Herrn Dr. Kleist mehrmals extra Botengänge einlegen musste, meinte eines Tages zu Herrn Dr. Kleist: „Herr Doktor, wenn ich nicht wüsste, dass Sie hier was ganz Großes sind, würde ich denken Sie sind der Nikolaus. Das sind ja ganze Säcke mit Wunschzetteln, die ich hier zu Ihnen reinkarre.“
Nach einiger Zeit wurde die viele Post auch Herrn Dr. Kleist zu lästig. Er engagierte einen Berater, der ihm bei einem befreundeten Psychologen ein Einzelcoaching empfahl. Am Ende dieses teuren, aber lehrreichen Tages wusste Herr Dr. Kleist, dass er auch seinen Mitarbeitern ein wenig Vertrauen entgegen bringen müsste und sei es nur dadurch, dass er diese die Entwürfe für die Antwortschreiben fertigen ließ.
Neben seiner tüchtigen Fach- und Sacharbeit sagte man Herrn Dr. Kleist aber auch weitreichende Beziehungen in den politischen Raum nach. Ehrfürchtig wurde dieser Begriff überall in der gesamten Außenverwaltung ausgesprochen. „Weit-rei-chen-de Be-zie-hungen in den politischen Raum“, flüsterten sich die Referenten bei ihrem monatlichen Stammtisch zu. Man konnte sich dazu so viel vorstellen. Und gerade auch diesem Grunde machten sehr viele Halb- und Viertelwahrheiten in der großen Verwaltung die Runde.
Alle wussten, dass Herr Dr. Kleist einer großen Partei angehörte, für die er auch noch neben seinen vielen Posten in Aufsichtsräten tätig war. „Aber was tat er noch im politischen Raum?“ fragte man sich hinter vorgehaltenen Händen. Man mutmaßte, dass Herr Dr. Kleist vielleicht mit der Bundeskanzlerin golfen ging oder den Verteidigungsminister auf den Bahamas traf. Man war sich sicher, dass ihn alle Militärs auf der Hardthöhe kannten und darum wetteiferten, mit ihm fischen oder auch nur kegeln gehen zu dürfen.
Einige Damen fragten sich, ob sich die Beziehungen gar auf das weibliche Geschlecht bezögen. Keiner wusste genau, wie weit das sogenannte „weitreichend“ eigentlich war. Nein, zu dieser Personalentscheidung des Ministeriums konnte keiner etwas sagen. Herr Dr. Kleist war einfach erste Wahl.
Der zweite Vorstand kam aus der Wirtschaft. Zum Glück fand man mit Herrn Dr. Müller-Niederthal einen Mann, der nicht nur einen Doktortitel aufwies, sondern auch als studierter Betriebswirt in den vergangenen Jahren erhebliche Erfahrungen in den Neuen Ländern mit insolventen Firmen und Unternehmen gesammelt hatte. Da er einige von Ihnen in die Insolvenz begleitet hatte und seine letzte Firma nicht einmal mehr aus der Masse sein weiteres Gehalt zahlen konnte, war er trotz seiner Hochkarätigkeit gerne bereit, seine Erfahrungen in die neue Deutsche Anstalt einzubringen.
Seine Verhandlungssicherheit stellte er gleich bei den Gehaltsverhandlungen unter Beweis. So brachte er den Eigentümer der neuen Anstalt, das Ministerium dazu, ihm nicht nur mehr als das doppelte Gehalt seiner beiden Mitstreiter zu zahlen, sondern sicherte sich weiterhin eine gut dotierte Erfolgsprämie, die durch eine geschickte Klausel so verankert war, dass sie in jedem Fall wirksam wurde.
Von Wirtschaftlichkeit verstand Herr Dr. Müller-Niederthal also tatsächlich etwas. Auch wusste er sich von Anfang an mit dem richtigen Interieur zu umgeben. So schaffte er erst einmal für Besucher des Vorstandes und danach für den gesamten ihm untergeordneten Bereich auf Staatskosten Rosenthal Porzellan an, lagerte Champagner im Kühlschrank und ließ sich in jeder Nebenstelle ein trendiges Büro einrichten. „Mit dieser Personalwahl“, sagte der junge aufstrebende Staatssekretär von Gutental zum Minister, den er auf einem Empfang in der ungarischen Botschaften am Buffet begegnete „ wird der Stil der Anstalt um Stufen gehoben“.
Die Besetzung des Finanzvorstandes gestaltete sich etwas schwieriger, da dieser Posten auf Anhieb nach viel Arbeit aussah. Hauptgrund war, dass ein Rechnungswesen, das der Verwaltung vollkommen fremd war, neu aufgebaut werden musste. Dabei musste das alte Haushaltsrecht auf die Doppelte Buchführung umgestellt werden, was in einer Verwaltung ohne vorhandenes Wissen allein ein sehr schwer wiegendes Unterfangen ist.
Aus einer stillgelegten Kohlengrube im Ruhrgebiet konnte ein ehemaliger Geschäftsführer gewonnen werden, der nun mit Müll- und Altlasten handelte. Dieser schien aber – wie sich nach wenigen Wochen herausstellte – eher an den angenehmen Seiten des Postens interessiert und dachte nicht daran, von sich aus tätig zu werden und mit dem Aufbau des Rechnungswesens zu beginnen. Er wurde durch das Ministerium daher stillschweigend über Nacht wieder zu seinen Müll- und Altlastengeschäften zurück geschickt.
Da kam der Zufall der Personalabteilung des Ministeriums entgegen. In den Neuen Bundesländern wurden gerade alle nach der Wende neu aufgebauten Oberverwaltungsdirektionen wieder geschlossen oder teilweise auch zusammengelegt. Da gab es so manche unglückliche Personalie, die nun einer neuen Bestimmung zugeführt werden musste. Ein Oberverwaltungspräsident, der durch diese Reform der Reform arbeitslos, d. h. im Beamtenleben ohne Dienstposten in der Welt stand, konnte mit ein wenig Überredungskunst für den anspruchsvollen Posten des Finanzvorstandes bei der Anstalt gewonnen werden.
Da Herr Konrad keine große Wahl für seine letzten Dienstjahre hatte und auch leidenschaftlicher Sudoku Spieler war, stimmte er seinem letzten Einsatz als Finanzvorstand zu. Dass er kein Betriebswirt war und auch sonst keine weiteren Kenntnisse im Bereich Finanzen aufzuweisen hatte, störte die Vertreter des Ministeriums überhaupt nicht, da sie seine Unerfahrenheit gleich zu ihren Gunsten ausnutzen konnten. „Mit dieser Personalwahl haben wir wieder mal absolut wirtschaftliches Handeln für das Staatswesen bewiesen“, rief der junge Staatssekretär СКАЧАТЬ