Название: Sieben Farben
Автор: Anna J. Heeb
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783844262735
isbn:
„Fast nichts“, erwiderte Lara mit vorwurfsvollem Blick in Richtung Knonk. Peter nickte zustimmend.
Der Knonk wollte gerade schon wieder anfangen zu schimpfen, da hob der Großvater beschwichtigend seine Hand. „Mhm, also es ist so. Die Welt ist ein bisschen komplizierter, als man das in der Schule so lernt. Genau genommen gibt es nicht nur eine Welt, sondern viele. Und manche dieser Welten sind eng miteinander verbunden, während andere rein gar nichts miteinander zu tun haben. Es hat sich nun so ergeben, dass gerade unsere Welt und Coloranien besonders eng zusammenhängen, und zwar über die Farben. Die allermeisten Lebewesen in unserer Welt ahnen nichts von dieser Verbindung. Sie hat für ihr Leben keine Bedeutung. Es gibt aber Lebewesen, die zwischen beiden Welten hin- und herwechseln können. Diese Wesen werden Sehende genannt. Sehende stammen entweder von Sehenden ab – wie du Lara – und haben die Fähigkeiten geerbt oder es müssen einige Faktoren zusammenkommen – wie es bei Dir, Peter, offenbar der Fall ist. Man muss im Frühling oder Sommer geboren sein, idealer Weise im Mai oder August, und zwar auf einen Sonntag nach 18:00 Uhr…“
„Das ist wissenschaftlich widerlegt worden – das mit dem 18:00 Uhr“, warf der Knonk mit ernster Miene ein.
„Ja, gut“, fuhr der Großvater fort, „aber zumindest stimmen die anderen Punkte.“ Er schaute den Knonk fragend an. Der nickte bedeutungsschwer. Dann fuhr der Großvater fort. „Daneben gibt es wohl noch eine Reihe weiterer Aspekte, die aber jetzt zu weit führen würden. Auf alle Fälle sind solche Lebewesen – übrigens nicht nur Menschen, das können alle möglichen Geschöpfe sein – in der Lage, zwischen den Welten zu wechseln.“
„Einfach so?“ fragte Peter.
„Nein“, erwiderte der Großvater. „Nicht einfach so. Man muss schon ein Tor haben. Aber Sehende erkennen eben als einzige diese Tore und können sie aktivieren.“
„Und was sind das für Tore?“, Lara war ganz elektrisiert.
„Gemälde, meine Kleine, Gemälde.“
„Jedes Gemälde ist also ein Tor?“ Peter war verwirrt. Er atmete wieder schwer. Das Ganze war doch etwas zu aufregend für ihn. Verstohlen nahm er sein Asthmaspray aus der Hosentasche und setzte es sich an den Mund. Zwei Pumpstöße später war es wieder in der Hosentasche verschwunden.
„Nein, nicht jedes Gemälde. Nur ganz bestimmte, nämlich solche, die mit besonderen Pigmenten gemalt worden sind“, erklärte der Großvater.
„Was sind Pigmente?“ fragte Peter, nachdem er wieder zu Luft gekommen war.
„Farbpulver. Nur solche Bilder, die mit aktorisierter Farbe gemalt worden sind, können als Tore dienen…“
„Aktorisiert?“ Lara schwirrte langsam der Kopf.
„Das Aktorisieren ist eine bestimmte Zauberform“, warf der Knonk ein.
„Aha.“ Peter schüttelte ungläubig den Kopf.
Sonst waren es doch immer die Kinder, die den Erwachsenen wilde, erfundene Geschichten erzählten. Im Moment kam es ihm vor, als wäre es andersherum.
Der Großvater räusperte sich. „Vor vielen tausend Jahren hat Helis diese Form der Magie erfunden. Helis hat die sieben Farben des Regenbogens eingefangen und in Farbpulver gebannt. Ein Gemälde muss alle sieben Farben enthalten, damit es ein Tor wird. Außerdem heißt es, dass eine der sieben Farben viel stärker ist als die anderen und eine besondere Wirkung hat, weil Helis bei seiner Verzauberung den Zauberstab ein wenig zu heftig geschwungen hat. Aber das ist wohl eher eine Legende. Naja, Helis blieb das einzige Wesen in ganz Coloranien, das diese Zauberkunst beherrschte. Deshalb ist aktorisiertes Farbpulver so selten. Es stammt alles aus den sieben Farbpulverfässchen, die Helis damals verzaubert hat. Da Helis vor langer Zeit verschwunden und diese Art von Zauber somit verloren ist, wird das von Helis verzauberte Farbpulver das einzige bleiben, mit dem man Tore malen kann. Es wurde im Kristallpalast unter größten Sicherheitsmaßnahmen aufbewahrt.“
„Es wurde?“, warf Peter ein.
„Äh, ja, also… “, druckste der Großvater plötzlich herum.
„Du musst uns helfen“, warf der Knonk bestimmt ein. Er war schließlich nicht hierher geschickt worden, um Kindern eine Nachhilfestunde in Weltentheorie und Zauberkunst zu geben. Er durfte keine Zeit verlieren.
Der Großvater schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, mein alter Freund. Dafür bin ich wohl ein bisschen zu alt.“
Der Knonk blickte ihn entsetzt an. Seine Stimmung wurde schon wieder schlechter. „Das ist noch nicht alles, Raffael“, beeilte er sich zu sagen. „Die Große Prophezeiung hat sich entfaltet.“
„Wann?“ Jetzt schaute der Großvater entsetzt.
Lara und Peter blickten immer verwirrter zwischen dem Knonk und dem Großvater hin und her.
„Welche Prophezeiung denn?“ fragte Lara.
Der Großvater starrte nun sehr ernst ins Leere. Dann ließ er sich in seinem Ohrensessel nach hinten fallen und schnaufte leise. „Was sagt sie denn?“
Der Knonk kramte in seiner Hosentasche. Er konnte sich lange Texte nicht merken, also hatte er, da er geahnt hatte, dass es wichtig sein könnte, den Text der Prophezeiung auf einen kleinen Zettel übertragen. Er räusperte sich: „Also, ich zitiere: ‚Die Zeit ist gekommen. Nun entscheidet sich, ob die farbige Welt steht oder fällt und mit ihr beide Welten. Es liegt in aller Kreaturen Hand, dies zu bewirken, sei es zum Bösen oder zum Guten.’ Das ist alles.“
Lara wurde ungeduldig. „Hallo! Wovon sprecht Ihr?“
Der Großvater sah die beiden Kinder an. „Als Helis verschwand vor vielen Jahren, schickte das Sfanx-Orakel eine Prophezeiung an den Kristallpalast der Weißen Königin. Diese Prophezeiung war in einer gläsernen Rose eingelassen und nicht lesbar. Sie würde sich erst offenbaren, wenn die Zeit gekommen sei, so ließ das Orakel verlautbaren. Helis Verschwinden hat offenbar irgendetwas in Gang gesetzt, was die Grundfesten von Coloranien eines Tages erschüttern könnte. Wie es aussieht, ist dieser Tag nun gekommen. Und es scheint, als könne das Unheil nur abgewendet werden, wenn Kreaturen aus beiden Welten zusammenarbeiten.“
„Genau, und deshalb brauchen wir Dich. Wer sonst könnte uns denn bitte schön helfen?“ Der Knonk schaute den Großvater auffordernd an. Dieser schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid, mein alter Freund, aber der Preis, den ich das letzte Mal zahlen musste, war zu hoch.“ Traurig starrte der Großvater auf den Boden.
„Wovon sprichst Du?“ Lara schaute ihn an.
Der Großvater schloss die Augen für einen Moment. Dann erwiderte er den Blick seiner Enkelin. „Du musst es ja irgendwann erfahren…“ Er setzte sich in seinem Sessel auf. „Vor einigen Jahren, als Du etwa zwei Jahre alt warst, schickte die Weiße Königin schon einmal den Knonk in unsere Welt.“ Der Knonk nickte wieder bedeutungsschwer. „Sie rief alle Sehenden zusammen. Dein Vater…“, der Großvater stockte.
„Was war mit meinem Vater?“ fragte Lara.
„Dein Vater…“, setzte der Großvater wieder an, „also, wie sich herausstellte, war Dein Vater auch ein Sehender. Er begleitete mich also zu dieser Zusammenkunft. Alle Sehenden waren СКАЧАТЬ