Название: Sieben Farben
Автор: Anna J. Heeb
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783844262735
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Plötzlich hörte der Großvater ein Rumpeln. Sein Herz schlug immer noch laut und heftig und sein Atem ging schwer. Er lauschte wieder. Nichts rumpelte mehr. Die alte Wanduhr tickte gemächlich weiter.
Lange Zeit stand er so da. Irgendwann fasste er sich dann aber doch ein Herz und stieg die Treppe wieder hinauf, ganz langsam, Stufe für Stufe. Immer wieder blieb er stehen und lauschte. Endlich war er oben angekommen. Nichts passierte. Seine Beine zitterten von der Anstrengung. Den Spiegel umklammerte er fest. Schließlich schaute er vorsichtig um die Ecke.
„Ich hätte hier wirklich mal eine Lampe einbauen sollen“, fluchte er leise. Es war stockfinster. Der Wanderstock lag noch auf dem Boden an der Treppe, wo er ihn vorher hatte fallen lassen. Vorsichtig zog er ihn mit dem Fuß zu sich her. Er schaute nochmals in den Raum. Ja, tatsächlich, er war dunkel. Ganz dunkel. Das Leuchten des Bildes war verschwunden. Die Staffelei war leer.
Unvermittelt hörte er ein Sirren. Die beiden Schattenspäher schossen aus der Dunkelheit an ihm vorbei, das Bild unter dem wehenden Mantel. Der Großvater machte einen Schritt zurück und wäre fast gestrauchelt. Die Schattenspäher sprangen die Dielen herunter, dass es nur so krachte. Dann rissen sie die Haustür auf und flohen in den Wald. Der Großvater hörte, wie die Haustür laut scheppernd wieder ins Schloss fiel. Dann war es wieder ganz still. Nur die Wanduhr tickte.
Langsam ging der Großvater die Treppe wieder herunter. Er spürte, wie erschöpft er war. Die Knie zitterten. Das Atmen fiel ihm schwer. Er musste sich am Treppengeländer festhalten. Die Schattenspäher hatten bei ihrer hastigen Flucht einiges zertrümmert. Die fliederfarbene Vase neben dem Eingang lag in Scherben. Der Großvater hatte sie vor langer Zeit aus China mitgebracht. Zwei Gemälde seines Schwiegersohnes, die im Treppenhaus gehangen hatten, waren herunter gefallen. Die Scheiben waren zerbrochen und die Rahmen gesprungen.
Unten angekommen setzte sich der alte Mann auf eine der abgetretenen Stufen. Nur langsam konnte er wieder einen klaren Gedanken fassen. Erst war seine Enkelin weg und jetzt das Tor. Hoffentlich war sie sicher auf der anderen Seite angekommen. Er schüttelte traurig den Kopf und strich sich über das Kinn. Er konnte nur hoffen, dass der Knonk den Kindern schnell den Heimweg zeigen würde.
Langsam stand der Großvater auf und fasste sich an den schmerzenden Rücken. Er verzog das Gesicht. Dann ging er zur Haustür, öffnete sie und starrte in den Winterwald. Kalter Wind blies ihm ins Gesicht. Eiskristalle wurden von den schneebeladenen Nadelbäumen hereingeweht. Sein Blick fiel auf die kleine Tanne, die er vor nicht allzu langer Zeit neben dem Eingang gepflanzt hatte. Ihre Blätter waren aschfahl.
„Es hat also begonnen“, murmelte er. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis sein ganzer Wald großflächig betroffen sein würde. Wie betäubt drehte er sich um und ging zurück ins Haus. Weil er die Stille nicht ertrug, stellte er das Radio an. Musik dudelte vor sich hin. Dann kamen die Neuigkeiten des Tages.
„…Ein neuer Virus hat mittlerweile weltweit unterschiedliche Pflanzenarten befallen. Die Blätter der betroffenen Pflanzen färben sich über Nacht aschfahl mit einem leichten Lilastich und die Pflanzen sterben ab…“
Der Großvater schaltete das Radio wieder aus. Entsetzt schüttelte er den Kopf. „Hoffentlich geht es Lara und Peter gut“, murmelte er hilflos. „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“
Alle Tore waren verschwunden. Er würde nichts tun können, als warten und hoffen…
Kapitel 2: Eine unbekannte Welt
Auf der anderen Seite
Lara öffnete die Augen. Der Dachboden war verschwunden. Stattdessen stand sie mitten auf einer Wiese. Sie blinzelte. Die Sonne stand hoch. Ihre Augen brauchten einige Zeit, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen. Sie war tatsächlich durch das Bild nach Coloranien gelangt!
„Aua“, entfuhr es ihr sogleich. Peter hatte sich wohl etwas sehr fest an sie geklammert.
„Tschuldigung“, stammelte er sichtlich erschrocken, während er sich mit eingezogenem Kopf umschaute.
Der Knonk hing auch noch an Laras Bein und schimpfte leise vor sich hin. „Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ rief er aufgeregt, als er sie losließ. „Wo ist Raffael? Warum kommt er nicht nach?“
Peter war so verdattert, dass er gar nichts sagen konnte. Mit offenem Mund stand er da. Lara schaute betreten. Plötzlich flackerten für ganz kurze Zeit die Farben um sie herum. Die Kinder erschraken. Der Knonk kniff nachdenklich die Augen zusammen. Sein Gesicht verfinsterte sich. „Irgendetwas stimmt mit dem Tor nicht. Da stecken sicher die Schattenspäher dahinter!“ sagte er mit düsterer Stimme.
„Was?“ brach es aus Peter heraus. Lara riss die Augen auf.
„Raffael wird uns bestimmt nicht folgen können“, ergänzte der Knonk.
Peter zwickte sich in den Arm, um aus diesem schlimmen Traum wieder aufzuwachen. Aber es geschah nichts. Er stand immer noch an diesem seltsamen Ort.
„Wir haben keine Zeit mehr. Na gut, dann kommt Ihr eben alleine mit. Wir brauchen einen Palidonier. So hat es die Prophezeiung vorhergesagt. Naja, und jetzt haben wir dann eben zwei halbe Palidonier.“ Der Knonk drehte sich zum Gehen.
„Ja, aber was ist denn mit Großvater? Wir müssen doch wieder zurück!“ rief Lara ganz aufgeregt.
Der Knonk schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, wir sind erstmal auf uns gestellt.“
„Ja, aber…“ Lara blickte missmutig drein.
„Lara, da gibt es kein aber.“ Der Knonk schaute sie ernst an. Da nickte das Mädchen langsam. Sie würden wohl erstmal alleine klarkommen müssen.
Peter versuchte Luft zu holen. Er griff nach seinem Asthmaspray. Dann schaute er sich erneut um. Auch Lara begann, die Umgebung, in der sie gelandet waren, richtig wahrzunehmen. Alles war so, wie es auf dem Bild dargestellt gewesen war. Der Himmel war so blau, wie sie es in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen hatten. Ein leichter Frühlingswind umwehte sie und es lag schwerer Blütenduft in der Luft. Leise hörte man den Bach hinter ihnen plätschern. Vögel sangen fröhlich vor sich hin.
Lara musste an ihren Vater denken. Ob er hier auch schon einmal gewesen war? Sie versuchte sich vorzustellen, wie er hier einst stand und sich umschaute. Doch leider erinnerte sie sich kaum an sein Gesicht. Sie rief sich die wenigen Fotos, die sie zu Hause von ihm noch hatten, ins Gedächtnis. Ob er hier noch irgendwo war? Ob er sie vermisste?
Schließlich sah Lara nach oben. Sie standen unter dem Baum, der das Bild begrenzt hatte. Tatsächlich. Es war eine alte Eiche.
„Ui, die ist aber dick. Sie ist bestimmt ziemlich alt“, sagte Lara staunend, als sie an dem borkigen Stamm entlang nach oben schaute.
„Also bitte, so etwas sagt man ja wohl nicht zu einer Dame!“ zischte es von oben herab. Lara zuckte zusammen, Peter СКАЧАТЬ