Название: Eine Faust-Sinfonie
Автор: José Luis de la Cuadra
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737589291
isbn:
„Ich stehe zu Diensten.“
Eine Kurtisane?
„Von welchem Dienst sprechen Sie“?
„Vom sexuellen.“
Sie fand das offenbar ganz normal. Mir wurde es langsam zu viel.
„Ich glaubte immer, in der Umgebung des Apostolischen Stuhls gelte das Keuschheitsgelübde.“
„Das glaubte ich auch einmal.“
„Was hat das Ganze mit dem Priester zu tun, der vorher bei mir saß?“
„Ich habe Kolleginnen, die ihm zu Diensten sind.“
„Und was geht mich das an?“
„Ich wiederhole, er ist gefährlich.“
Sie blickte unruhig um sich, zündete eine neue Zigarette an, drehte sich auf dem Absatz um und verließ eiligst das Lokal.
Zurück blieb der Professor, der Ausreißer, ich. Zurück blieb auch ein mulmiges Gefühl in mir. Ein Gefühl von Hilflosigkeit, von Ratlosigkeit. Nein, ich konnte nicht glauben, dass ein Kardinal offen über Sinnlichkeit sprach und eine Hure im Vatikan die Priester bediente. Natürlich wusste man von den Verfehlungen der Geistlichkeit, aber direkt damit konfrontiert fühlte sich das Ganze irgendwie klebrig an. Das einzig Gute war, dass ich von meinen Problemen abgelenkt wurde. In meinem Innersten widerhallte diese seltsame Stimme. Das wirst du bereuen. Mein Alter Ego? Warum warnte mich die Dirne vor einem sündigen Priester, der mein Freund werden wollte?
Irritiert griff ich schon wieder zum Glas. Da fiel mein Blick auf einen Prospekt, welchen der Jesuit offenbar auf meinem Tisch liegengelassen hatte. Ich muss zugeben, dass meine Hände zitterten, als ich nach der Schrift griff, vermutete ich doch eine unangenehme Botschaft Diabellis.
Erleichtert atmete ich auf, als ich feststellte, dass es sich bei dem Papier lediglich um ein Konzertprogramm des Auditoriums Parco della Musica handelte. Das RAI-Sinfonieorchester Roms spielte morgen die Faust-Sinfonie von Liszt. Als ausgesprochener Musikliebhaber und weil das Auditorium Parco della Musica sowieso auf meinem Besuchsprogramm stand, beschloss ich, mir eine Karte zu besorgen. Dieses monumentale Werk war praktisch nie im Konzertsaal zu hören. Es war zu schwierig in den Harmonien und erforderte ein immenses Orchester. War der Jesuit ein Musikliebhaber? Oder wollte er mir etwas mitteilen, mich auf seine Pfade lenken?
„Il conto!“ rief ich zur Bar hinüber, dann begab auch ich mich zum Ausgang der Taverne.
3
Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten! Umgaukelt ihn mit Süßen Traumgestalten, versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
(MEPHISTO an die Geister, Faust: Der Tragödie erster Teil)
Das Auditorium Parco della Musica ist ein phantastisches Kulturzentrum im Stadtteil Parioli in Rom. Es wurde nach den Plänen des italienischen Stararchitekten Renzo Piano erbaut und 2002 eröffnet. Die Sala Santa Cecilia bietet 2800 Sitzplätze und ist für große Orchester und Chöre bestens geeignet.
Nachdem ich im Konzertsaal Platz genommen hatte, vertiefte ich mich in das Programmheft mit den Erläuterungen zur Faust-Sinfonie Liszts. Die Abhandlung beleuchtete vor allem die Kompositionstechnik. Es war die Rede von einem teuflischen Intervall, das einer halbierten Oktave entsprach und früher als furchterregend und böse galt. Das Intervall, auch Tritonus genannt, wurde als Diabolus in Musica bezeichnet und irritierte wegen seiner verwerflichen Eigenschaft zeitweise die Kirche, während es in neuerer Zeit der Schauerdramatik in der Filmmusik dient.
Dieses teuflische Intervall verwendete Liszt zur musikalischen Charakterisierung Mephistos. Faust teilte der Komponist die aufstrebende übermässige Quinte zu. Die beiden Intervalle stellen die Gegenpole des Seins dar.
Als gegeneinander gerichtete Kräfte gipfeln sie in einer von Liszt nachträglich angefügten Komposition. Es handelt sich um den Chorus Mysticus. Mit diesem gigantischen Chorwerk sprengte Liszt den Rahmen des ersten Teils der Faustdichtung und nahm die Apotheose des Ewig Weiblichen aus dem zweiten Teil der Fausttragödie vorweg.
Schon die einleitenden Harmonien des ersten Satzes zogen mich in ihren Bann. Ich fühlte das Toben der Quintharmonien, die aufwärtsstrebende Kraft Fausts, durch alle Glieder hindurch. Erst als ein liebliches Thema die Führung übernahm, klang die Unruhe des ewig Suchenden ab. Klarinetten und Oboen verkündeten den Wunsch nach Erlösung. Doch schon bald ertönten wieder die Posaunen als Zeichen des wiederkehrenden Gigantismus der Faustgestalt.
Das bist du, Professor.
Nein!
Doch. Du strebst nach dem Höchsten und verfällst dem Hochmut.
Ich suche nur.
Das nachfolgende Liebesthema ließ mich durch seine Sanftheit in eine sinnliche Atmosphäre eintauchen. Diesmal ließ sich Faust in zartere Sphären hinunter, bis gegen Ende des ersten Satzes sein Vorwärtsdrängen wieder überhand nahm.
Beim zweiten Satz mit den Gretchenthemen und den Liebesduetten konnte ich mich entspannt zurücklehnen und die betörende Stimmung genießen. Der Dialog Margaretes mit Faust war friedlich und deutlich sentimental, fast naiv. Nichts deutete auf die Tragödie hin, die noch kommen sollte. Auch als die Musik nach Moll schwenkte, blieb die Stimmung trotz kräftigen Streichern ruhig und glitt in eine seltsame Verklärung. In diesem Moment fühlte ich mich glücklich. Die Harmonien ließen mich miterleben, wie sich Margarete und Faust umschlangen.
Bald bin ich dran.
Bleib wo du bist.
Ich kann es kaum erwarten.
Bitte!
Soll ich dich nicht dorthin führen, wo du schmachtend hin willst?
Im Augenblick genügt mir die Musik.
Der letzte Satz zerstörte alles. Der freche Teufel tanzte daher und setzte sich über alles hinweg. Ein Tritonus nach dem anderen. Trotz aufsteigender Chromatik glitt man immer tiefer in das Ungemach der Verderbnis. Fausts Harmonien wurden zerrissen. Es fühlte sich an, als blickte man in einen zerbrochenen Spiegel. Die Dissonanzen schmerzten. Mephisto verhöhnte, zerrte alles zu Boden, durchkreuzte die Charakterstärke Fausts und trat seinen Widerpart mit Füßen. Ich griff mir an die Brust. Ein gewaltiger Druck hatte sich in mir aufgebaut. Etwas zerriss in mir. Als kämpften zwei Egos miteinander. Die Spannung war unerträglich. Die Posaunen Mephistos durchdrangen meinen Körper bis in die feinsten Fasern der Nervenendigungen. Die richtungslos nach überallhin sich auflösenden Harmonien waren verstörend und stießen mich in einen Abgrund der Verzweiflung.
So, das war ich. Hast du mich erkannt?
Leider.
Hab ich dir gefallen?
Nein.
Du wirst mich schon noch schätzen lernen.
Gott bewahre mich.