Eine Faust-Sinfonie. José Luis de la Cuadra
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Название: Eine Faust-Sinfonie

Автор: José Luis de la Cuadra

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737589291

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СКАЧАТЬ geirrt. Meine Musik sprach Verderbtheit und Sünde. Das teuflische Intervall durchdrang die reinen Harmonien. Die Geistlichkeit Roms belegte meine Musik mit dem kirchlichen Bann. Meine Kompositionen verrieten die Sinnlichkeit, die in meinen Adern floss, mein Streben nach grenzenloser Befriedigung. Ich wurde zum Faust der sinfonischen Dichtung, zum ewigen Sucher nach der Kehrseite der Welt. Jedes Mittel war mir recht, jeder Verrat an meiner Gesinnung willkommen. Am Ende triumphierte der Teufelsvirtuose in mir. Er war das Geheimnis meines Erfolges. Trunken vom Rausch des Applauses, geschmeichelt vom Beifall meiner Anhänger, glaubte ich das Höchste erreicht zu haben.

      Lange ist es her, dass ich in der Kutsche von Rom nach Tivoli in die Villa d’Este reiste und man mir den roten Teppich ausrollte, dass mir Freudentränen des Jubels entgegenströmten. Ich genoss das Bad in der Menge, diese Liebkosungen meiner Seele. Und immer war die sinnliche Weiblichkeit an meiner Seite.

      Ohne die teuflischen Verführungen wäre meine Kraft erschöpft, mein Erfolg ausgeblieben, mein Dasein in der Bedeutungslosigkeit erstickt. Wie hätte ich die wesentlichen Dinge des Lebens erkennen können? Nur das fortwährende Ringen des Teufels mit dem Herrn in meinem Inneren öffnete mir den Weg zu den Grenzen menschlicher Erkenntnis, zur Entfaltung der Macht meiner Musik.

      Rom, ewige Stadt lustvoller Verführung, wie kostbar bist du mir geworden. Madonna del Rosario, Santa Francesca Romana, Villa d’Este. Heiliger Engel, der du vom Herrn abgefallen bist und dem Menschen ewig dienst. Nie mehr will ich auf dich verzichten, nie dich aus meinem Leben verbannen. Ich brauchte dich, habe dich umarmt und bis zum letzten Tropfen dein verderbliches Blut getrunken.

      Jetzt ist die Stunde gekommen, um Rechenschaft über mein Leben abzulegen. Hier in Bayreuth, an der Wahnfriedstrasse 9, unweit des Festspielhauses meines Schwiegersohnes Wagner. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit, weggesperrt, ein Gefangener meiner selbst. Allein vor dem Gericht Gottes. Allein in den Armen des Teufels. Mitten im Ringen der übermenschlichen Kräfte. Schutzlos und nackt den Mächten ausgeliefert, die den Tod verlangen. Wer soll über mich richten, wenn nicht ich selbst? Wo bleibt die letzte Ölung, die mich von den Sünden des Lebens befreit und die man mir vorenthält? Wer spielt mir die Musik, die mich erlösen wird?

      Nur das Schluchzen der Weiblichkeit begleitet mich auf meinem letzten Weg. Das Verlangen ist groß, der Schmerz unerträglich. Ich spüre die sanfte Berührung, die kühle Haut, höre die zarten Worte. Die Himmelskönigin spricht zu mir: Wohin gehst du? Ich will zu ihr. Nur sie, nur ihre Vollkommenheit kann meine Seele retten. Nur sie wird mich über den Tod hinaus begleiten.

      Herr, ich begebe mich in deine Hände.

      Ferenc Liszt starb am 31. Juli, 1886, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, im Beisein seiner Tochter Cosima.

      

      

      2

      Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen in dieser Stunde mehr gewinnen als in des Jahres Einerlei.

      (MEPHISTOPHELES, Faust: Der Tragödie erster Teil)

       Rom

      

      

       2015, Eine Taverne in Trastevere

      

      

      Die Dunkelheit der Nacht schlich wie eine Katze durch die enge Türe des rauchgeschwängerten Raumes. Einzelne mit Kerzen bestückte Kandelaber reflektierten feine Muster an die Steinwände. Lichtfetzen entwichen den Flammen und tanzten über den Tischen und Stühlen der Schenke. Auf dem Tresen stapelten sich Flaschen, Gläser und rauchende Glimmstängel. Der korpulente Barkeeper mit Schnauzbart und knolliger Nase ließ das Bier aus der Zapfsäule sprudeln. In seinem Mundwinkel hing eine längst erloschene Zigarette. Von draußen drang Gassenlärm herein. Ein fast beängstigendes Zeugnis fröhlichen Treibens.

      Ich saß zuhinterst in der Weinschenke an einem kleinen Tisch. Meine Hand umfasste krampfhaft ein Glas rubinroten Liutprando 2007 aus dem Latium. Seine volle und saftige Note entfachte ein sanftes Begehren in mir und trübte meine Sinne. Die Gedanken in meinem Kopf kreisten wild und ließen mich schwindlig werden. Ängste, die in mir tobten, trieben mir kalten Schweiß aus den Poren. Die abgründige Stimmung in diesem finsteren Gewölbekeller Roms verstärkte das Unbehagen, welches meine Entscheidungen in mir hervorgerufen hatte. Die Trunkenheit, eine Folge des schweren Weines, konnte der Furcht, die seit der Ankunft in der heiligen Stadt in mir steckte, nicht Herr werden.

      Am 27. Mai 2015 hatte ich beschlossen, mein Leben als anerkannter Wissenschaftler zu verlassen. Ein unbefriedigendes und unergiebiges Dasein, vollgepackt mit Zwängen und Verpflichtungen, eine unaufhörliche Suche nach dem Sinn meiner Ziele. Gefesselt durch die Stränge des gutbürgerlichen Lebens, erstickt in gesellschaftlichen Normen und abgestumpft durch die Monotonie des Alltags, wollte ich ausbrechen und die verborgene Seite meiner Existenz an neuem Ort entdecken.

      Warum Rom? Ich kannte die Stadt von früheren Reisen. Für mich war sie eine Drehscheibe menschlicher Rastlosigkeit, eine Schnittstelle der Begegnungen, Kulturen und Künste. Sie strahlte Begehrlichkeit und sinnliche Befriedigung aus. Zudem stand sie im Spannungsfeld der kirchlichen Macht, des Vatikans. Sie schwankte zwischen Erhabenheit und tiefster Verderbtheit. Ein idealer Ort, um die eigenen Widersprüche zu erkennen, sich von Verstrickungen und Abhängigkeiten zu lösen.

      Die Zweifel an der Richtigkeit meines Ausbruchs aus dem Käfig, den ich mir selbst gebaut hatte, führten mich jedoch immer tiefer in eine neue, mir bisher unbekannte Abhängigkeit, diejenige der Trunksucht. Sie war ein Zeichen meiner ungeahnten Schwäche und bedeutete nichts anderes als die Unfähigkeit, mich außerhalb schützender Gesellschaftsnormen zu behaupten. Gequält von fremdartigen Visionen griff ich immer häufiger zur Flasche. Welcher Teufel hatte mich dazu gebracht, mein bisheriges Leben zu verlassen?

       Hast du mich gerufen?

       Wen soll ich gerufen haben?

       Mich.

       Den Teufel?

       Nenn mich, wie du willst.

       Bist du der wahrhaftige Teufel?

       Wenn du es zulässt.

      Wie gelähmt blickte ich mich um. Woher die Stimme?

      Ein älterer Herr in schwarzer Soutane und weißem Kollar hatte sich zu mir an den Tisch gesetzt. Er blickte mich an.

      „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie anspreche. Sind Sie fremd hier?“

      „So könnte man es nennen. Nicht nur fremd in dieser Stadt, sondern fremd vor mir selbst.“

      Ich sah die Umrisse des Geistlichen verschwommen, seltsam verzerrt. Wer sprach die Worte? Halluzinierte ich unter Alkoholeinfluss?

       Bist du das, Teufel, versteckt in einer Soutane?

       Was glaubst du denn?

       Es könnte ein Geistlicher sein.

       Na und? Schließt das den Teufel aus?

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