Название: Das Leben ist ´ne Session
Автор: Frank Gahler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783844257328
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Eines Tages hatte Basti Baur in einem der im Gebäude befindlichen Räume eine kleine Zwischenprüfung im Fach Rockgitarre zu absolvieren. Na da war’n se aber bei meinem Freund Basti an genau der richtigen Adresse! Vor Bastis Nase steht also ein hochschuleigener 100er Marshall mit der ängstlichen Soundeinstellung des vor ihm geprüften artigen Kommilitonen. Basti - nich blöd - fährt also mit der berühmtesten Handbewegung eines Rockgitarristen von links nach rechts über alle Regler, so dass alle diese Regler auf „wir töten jeden Zuhörer“ stehen. Mit dem Druck, der dann unweigerlich entsteht, sollen ja schon mittlere Kulturhausbrände ausgeblasen worden sein. Na egal, Basti hat – ich lass mir das nich’mehr ausreden – implantierte Gehörschutzklappen, die er im Falle infernalischer Geräuschproduktion einfach schließt. Genauso tat er es wohl auch heute, und schon ging’s los! Ein abgefeimter Lubidubo – knarz – sproing – peng – Akkord durchschnitt die Luft und das Gebäude.
Ich glaube ja, dass der spätere Abriss dieses ehrwürdigen Hauses nichts mit der Wende und den damit verbundenen Bautätigkeiten rund ums Brandenburger Tor zu tun hatte, sondern mit der akuten Baufälligkeit die nach diesem Luftangriff eingetreten ist! Zu Herrn Baurs „unbeschreiblicher Dreistigkeit“ gesellte sich nun allerdings eine gehörige Portion Pech; im Augenblick allerdruckvollsten Getöses kam der gestrenge Abteilungsleiter um die Ecke. Der augenblicklich einsetzende Bluthochdruck zauberte auf Wonnebergs Gesicht die dunkle Röte der untergehenden Sonne bei Capri. Der darauf folgende Brüller ließ die noch stehen gebliebenen Mauern unserer Alma mater zittern: „Baur, Sie verdammtes Arschloch, sind Sie denn vollkommen verblödet, ist ihnen denn das letzte bisschen Gehirn auf irgendeiner Bühne abhanden gekommen…“ Und andere nicht wiederholbare Kleinodien der deutschen Sprache waren weithin bis nach Kasachstan zu hören.
Da aber Alfons Wonneberg ein erstklassischer Choleriker war, beruhigte sich das kleine Teufelchen wieder ganz schnell, und die Einsicht, dass man mit Rockmusikern eben doch etwas nachsichtiger sein sollte, als mit verbeamteten Fahrradschlauchaufbläsern, obsiegte schließlich. Meines Wissens wurde Basti dann sogar so was wie ein Lieblingsstudent von Alfons. Wie überhaupt der cholerische, oftmals äußerst mürrische Alfons Wonneberg Dreistigkeit und Großmäuligkeit zu tolerieren wusste, wenn sich dies mit einem gewissen Maß an Begabung verband.
Bei einem Gespräch mit seiner Hoheit wurde ihm plötzlich klar, dass ich im Furcht erregenden Fach „Tonsatz und Gehörbildung“ das Pech hatte, von Professor Manafov unterrichtet zu werden. Manafov war ein grauhaariger Bulgare, der es als unter seiner Würde empfand TUM – Studenten zu lehren wie es in SEINER klassisch - zeitgenössischen musikalischen Welt aussah.
Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war es offenbar, Studenten so lange zu strietzen, bis einige sogar verzweifelt heulend den Raum verließen. Dass gerade wir zwei so überhaupt nicht warm miteinander wurden, lag ja wohl von Anfang an auf der Hand. Auf alle Fälle hab’ ich mich redlich bemüht, den Spieß umzudrehen, so dass ich glaube, sogar mal `ne Träne in seinen leblosen Technokratenaugen gesehen zu haben!
Wonneberg jedenfalls meinte nur, dass er, falls ich bei diesem Kotzbrocken mit einer „drei“ abschließe vor mir den Hut ziehen würde. Jahre später, als ich dann mit einer „zwei“ abschloss erinnerte sich dieser Mann erstaunlicherweise an seinen Spruch und meinte nur: „Schade, Gala, dass ich keinen Hut auf habe, ich würde ihn jetzt sofort lüften!“ (Erstaunlicherweise sollte ich diesen Spruch Jahre später von einem anderen Menschen und in einem anderen Zusammenhang noch mal zu hören bekommen.)
Neben vielen, teils vernachlässigbaren Fächern wie z.B. Psychologie, politische Ökonomie oder Philosophie (was soll denn das?) belegte ich mit Freuden das Fach „Jazzinterpretation“ bei Ruth Hohmann. Diese Frau hatte die Gabe und die Kraft, mit ihrer Stimme Eis zum Tauen und Blumen zum Blühen zu bringen, und nicht ohne Grund wurde sie „die Ella Fitzgerald des Ostens“ genannt. Es war nicht nur eine Ehre, sondern immer ein ausgesprochenes Vergnügen von dieser Dame gefordert zu werden. Danke, liebe Ruth!
Wie ja bereits erwähnt war diese Studienrichtung an dieser Lehranstalt mit Beginn meines Studienjahres funkelniegelnagelneu eingerichtet worden. Wohl genau daraus ergaben sich einige unplanmäßige Unregelmäßigkeiten, die immer öfter dazu führten, dass entweder keine Unterrichtsräume zur Verfügung standen oder gerade keine Lehrer im Angebot waren oder, oder, oder…! Abgesehen davon, dass mich dieses organisatorische Durcheinander ziemlich genervt hat begann ich den Hochschulbetrieb als eher lächerlich zu empfinden und somit mich immer mehr zu langweilen.
Apropos Chaos: Leider wurde an dieser Kaderschmiede den jungen Studenten nie beigebracht, wie man sich im Falle einer Panne auf der Bühne verhält. Wie oft sehe ich noch heute teilweise erfahrene Frontschweine kläglich versagen, wenn technische Pannen den wohl einstudierten Ablauf eines Konzertes brutal unterbrechen. Ich jedenfalls freue mich geradezu auf kleinere Katastrophen – juchhuu – kann ich doch hier meine von Frechheit getriebene, scheinbar in mir wohnende Improvisationsfähigkeit unter Beweis stellen! Sollte jemals darüber nachgedacht werden ein Studienfach „Chaosbewältigung auf der Bühne“ einzurichten – nehmt mich als Dozenten!
Nach etwa achtzehn Monaten Studienzeit ging ich also zum Prorektor, Herrn Riedel, und bat um irgendeine wie auch immer geartete Klärung dieser für mich unerträglichen Situation. Bei diesem ziemlich ernsten und langen Gespräch, das darin gipfelte, dass ich schon um Exmatrikulation bat, kam Meister Riedel auf die Idee ich solle jetzt, nach zwei Jahren, einen Teilabschluß machen und den Rest dann extern selbstständig lernen. Die unumgängliche, strenge Abschlussprüfung würde dann ja zeigen, ob ich mein Ziel, den Berufsausweis ausgestellt zu bekommen, erreichen würde. Ich verstand und willigte ein.
Von nun an bewarb ich mich zu jeder sich bietenden Gelegenheit mein Examen zu machen, aber nee, die ließen mich doch allen Ernstes erst nach weiteren zwei Jahren, also nach der offiziellen Regelstudienzeit meinen Abschluss machen, so weit ging die Liebe dann wohl doch nicht.
Da ja mein Wechsel zu N.O.55 in die vier Jahre meines Studiums fiel, konnte ich zu meiner praktischen Prüfung mit Pitti, Joro und Peter Krause antreten, was an sich schon Eindruck auf die Kommission, von denen ja die meisten Musiker waren, machte. Als wir dann auch noch mit hohen Schwierigkeitsgraden und unvorhersehbaren Zauberkunststückchen aufwarteten, waren die Examinatoren ungeniert offen von den Socken. Ich glaube auch, die Tatsache, dass die gesamte Band ihren Sänger bei der Abschlussprüfung wie ein Mann unterstützte, brachte - zumindest moralisch - Pluspunkte.
Was danach noch kam war ein Kinderspiel: Prüfung in Musikgeschichte, pol.Ök, und ich glaube Psychologie – alles andere hatte ich ja schon im Sack – und fertig war der Lack! Mit dicken Zigarren und endlosen Strömen allerfeinsten Alkohols wurde dann mein Berufsausweis ausschweifigst gefeiert.
Ich erinnere mich noch, als wär’s gestern, dass ich den Typen, der mich am nächsten Morgen aus dem Spiegel anstarrte zwar nicht kannte, aber die Zähne hab’ ich ihm dann - man ist ja kein Unmensch - doch geputzt!
Aber nun erst mal wieder zurück zu MONOKEL.
BASTIS AUSSTIEG / INTERHOTEL MAGDEBURG
Als Basti Baur 1979 bekannt gab, dass er zu neuen Ufern aufbrechen will, dass er versuchen möchte etwas professioneller zu arbeiten, war das für mich als würde ein Bruder in einen fremden Krieg ziehen, zumal Basti in eine recht seichte Schlagerkapelle namens METROPOL einstieg. Das tat weh! Einer unserer letzten Gigs fand im Studentenclub in Magdeburg statt und ich werde nie vergessen, wie Basti nach der Veranstaltung nach draußen ging und fürchterlich zu heulen anfing. Ich bin dann hinterher gestiefelt um ihn in den Arm zu nehmen und zu trösten. So war das eben bei uns „Raubeinen“!
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