Название: Centratur I
Автор: Horst Neisser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741883101
isbn:
In der Mitte der Höhle tat sich ein großer Kreis auf. Hier stand ein steinerner Tisch, und an ihm saß ein Mann. Er musste schon viele tausend Jahre dort sitzen, denn sein langer Bart überwucherte und verdeckte die Steinplatte. Seine Hände lagen starr unter den Haaren. Die Fingernägel waren meterlang.
Die beiden Männer gingen langsam um den Alten herum und betrachteten ihn von allen Seiten. Die Agenten hatten ihnen genaue Anweisungen gegeben, wie sie mit ihm zu verfahren hätten. Nun war der Augenblick gekommen, den Auftrag zu vollenden. Ohne weiter zu überlegen, holten sie Scheren aus ihren Taschen und schnitten ihm die Nägel. Anschließend verschränkten sie ihm die Hände, so als wolle er beten. Dann scherten sie ihm den Bart. Die langen Strähnen fielen achtlos auf den Boden und sammelten sich zu einem grauen Teppich. Endlich holten sie aus ihrem Gepäck eine kleine Schale aus purem Gold. Da hinein gossen sie von der Flüssigkeit, die ihnen ihre Auftraggeber in einer Feldflasche mitgegeben hatten. Damit wuschen sie die Gestalt am Tisch. Zuletzt wickelten sie aus einem samtenen Tuch einen Edelstein. Sie legten den roten Kristall in die Hände des Mannes und achteten sorgfältig darauf, den Stein nicht zu berühren. Plötzlich begann der Kristall zu glühen. Er strahlte so große Wärme aus, dass die beiden Helden in ihrer Rüstung zu schwitzen begannen.
Dies war der Augenblick, da der Greis am Tisch die Augen aufschlug. Verwirrt sah er sich in der Dunkelheit um. Dann entdeckte er seine Retter und fragte mit heiserer Stimme: „Wer seid ihr?"
„Man hat uns geschickt, Euch zu erlösen."
„Warum kommt ihr so spät?"
„Man hat uns nicht früher beauftragt."
Da erhob sich der Mann am Tisch und sprach: „Kommt her, damit ich euch danken kann."
Als sie auf ihn zu traten, sagte er: „Kniet nieder!"
Als sie taten, wie ihnen geheißen, schlug der Alte dem einen, obwohl dieser einen starken Helm trug, den Schädel ein und dem anderen mit einem Schlag seiner Handkante den Kopf vom Hals. Ohne die beiden Toten, deren Fackeln am Boden verglommen, noch weiter zu beachten, reckte sich der Alte und streckte seine Arme in die Höhe.
„Wachet auf!" rief er und seine Stimme war wie Donnergrollen. „Wir haben zu lange geschlafen!"
Das mächtige Heer begann sich in der Finsternis zu regen.
Dann erhob der Mann seine Stimme erneut und rief: „Öffne dich!"
Bei diesen Worten brach der Berg auf. Donnernd stürzten riesige Felsbrocken zu Tal. Bäume wurden entwurzelt, knickten wie dünne Stäbe und rutschten die Hänge hinab. Die Erde bebte und das Gestein teilte sich. Strahlendes Licht flutete in das tausendjährige Dunkel des Berges. Die Sonne drängte in die Halle der Nacht. Das Heer, aus seinem Schlaf erwacht, ordnete sich und nahm Aufstellung. Zuerst kamen die Reiter und dann die Fußtruppen. Ormor bestieg sein Pferd und setzte sich an die Spitze.
Niemand sprach, als der Zug die Höhle verließ. Nur der Huftritt vieler Pferde und das Trampeln schwerer Stiefel durchbrachen die Stille. Am Fuß des Berges kamen die Krieger an einer Lichtung vorbei. Dort standen Pferde und Mützen mit langen Federn hingen an Ästen; aber keiner der Vorüberziehenden achtete darauf.
Der Tod des Königs
Der Tag war zwar noch kalt, aber die klare Luft und die Sonne ließen den langen Winter vergessen. Meliodas, der Hochkönig von Centratur und Herrscher über Whyten, war auf dem Weg von Cantrel, seinem Regierungssitz, nach Hispoltai in Equan. Obwohl er aus dem Geschlecht der Großen Könige stammte und seine Lebensspanne weit über von normalen Menschen hinausreichte, war sein Haar mit den Jahren grau geworden und seine Schultern gebeugt.
Er ritt auf seiner Lieblingsstute, Weichfell, und an seiner Seite hing das Schwert seiner Väter, das er Aràntila genannte hatte, was bedeutet ‘Unerbittliche Siegerin’. Der König war in Begleitung seiner Frau, Lunete, seiner zwölfköpfigen Leibwache und der beiden Edlen Misselbeck und Rankohr. Obgleich Meliodas den Weg gut kannte, hatte ihm Equan drei Führer entgegengeschickt, die nun an der Spitze des Zuges ritten. Zu dem Gefolge gehörten noch zwei Abgesandte aus dem Norden des Reiches. Sie hatten sich mit dem König auf die Reise begeben, um dem Herrscher in einem günstigen Moment ihr Anliegen vorzutragen. Nicht vergessen werden sollte bei dieser Aufzählung die Dienerschaft, die mit den Packpferden hinter den Nobilitäten ritt.
Der König war schon seit dem Vortag, als sie Cantrel verlassen hatten, guter Dinge und sang ein Lied nach dem anderen. In seinen Gesang fiel die ganze Reisegesellschaft respektvoll ein. Man war am frühen Morgen bei Dunkelheit vom Nachtlager aufgebrochen und machte am späten Vormittag die erste Rast. Die Diener stellten rasch Zelte auf und deckten die Tische reichlich. Wenn ihr Herr auf Reisen war, so sollte es ihm an nichts fehlen, dies verlangte ihre Ehre. Es gab süße Kuchen und köstlichen Tee. Die Laune des Herrschers wurde bei diesem zweiten Frühstück noch besser. Reyknang, der Gesandte aus Luran, sah dies mit Freuden und beschloss, sein Anliegen schon jetzt vorzubringen. Er hatte nicht damit gerechnet, den König so früh in leutseliger Stimmung vorzufinden und wollte die Gunst der Stunde nutzen. Wenn seine Mission frühzeitig zu einem erfolgreichen Ende käme, bräuchte er den beschwerlichen Weg nach Equan nicht mitzumachen. Er könnte umkehren und in Cantrel das Hofleben genießen.
Respektvoll wartete er, bis Meliodas gespeist hatte. Dann näherte er sich ihm demütig, die Mütze in der Hand.
Ob er die allergnädigste Majestät wohl kurz sprechen dürfe, fragte er bescheiden.
Meliodas lachte, wenn es denn unbedingt sein müsse, und winkte dem Vasallen zu, auf einem Sitz neben ihm Platz zu nehmen. Reyknang gab sich unsicher und schwieg.
Der König ermunterte ihn mit einer Frage nach seinem Begehr.
Der Mann aus dem Norden tat, als wolle er sich ein Herz fassen, und sprach, sein Volk, seine Fürsten und auch er selbst seien stets der Meinung gewesen, es gebe keinen fürsorglicheren und gnädigeren König als Meliodas, den Sohn des Trisa. Hier unterbrach ihn der Herrscher mit einer gelangweilten und etwas unwilligen Handbewegung, aber er war noch immer gut gelaunt.
Reyknang beeilte sich fortzufahren. Weil man sich in der Huld des Königs wisse, habe man beschlossen, sich mit drückenden Sorgen an ihn zu wenden.
Das erwarte er auch, warf der Herrscher ein. Aber der Gesandte möge nun endlich zur Sache kommen, man wolle weiter reiten.
Dieser sah, dass der König ungeduldig und unwillig wurde und beeilte sich mit seiner Rede. Man habe sich in seinem Land große Bauvorhaben vorgenommen, die nicht nur für Luran wichtig wären, sondern auch zur Ehre des ganzen Reiches beitrügen und damit den Ruhm des Königs mehren würden. Er habe Pläne und Aufrisse dabei und könne Seine Majestät deshalb über alle Einzelheiten genauestens unterrichten.
Wieder zuckte er unter einer ungeduldigen Handbewegung von Meliodas zusammen.
Kurz und gut, diese Bauten würden sehr viel Geld kosten. Man habe sich deshalb entschlossen, den König zu bitten, die Steuern des Landes Luran für zehn Jahre auszusetzen. Danach sei man gerne bereit, wieder den schuldigen Tribut zu zahlen.
Der Herrscher sah den Gesandten einen Moment verwundert an. Dann antwortete er mit einem barschen „Nein" und erhob sich.
Er klatschte in die Hände und rief zum Aufbruch. Als er aufs Pferd stieg, schien es, als habe seine gute Laune keinen Abbruch erlitten. Lunete, die Königin aus achajischem Geschlecht, lenkte ihr Pferd neben das ihres Gemahls. Sie war noch immer wunderschön, obgleich sich schon die ersten Falten um ihre Augen und Mundwinkel zeigten. Sie stammte von einem СКАЧАТЬ