Im Bannkreis er Erinnerung. Stefan Raile
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Название: Im Bannkreis er Erinnerung

Автор: Stefan Raile

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742720122

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СКАЧАТЬ Feri, als ich mich bereits erheben wollte, „noch einmal anstoßen, ehe ich dich gehen lasse.“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, goss er uns aus der großen, etikettlosen Flasche, die er stark neigte, Tresterbranntwein nach. Ich leerte mein Glas, kaum dass wir uns zugeprostet hatten, in einem Zug. Während ich aufstand, merkte ich, dass ich mich wacklig fühlte. Vom dunklen Hof, der zu schwanken schien, erblickte ich über dem Nachbarhaus zwei quittegelbe Monde, die, prallen Luftballons gleich, am schiefergrauen, bestirnten Himmel schwebten.

      Feri begleitete mich zum Tor. Als ich von draußen hörte, wie er es verriegelte, überlegte ich, in welcher Richtung ich zu Lenharts Gasthaus gehen sollte. Ich entschloss mich, die lange, weiträumige Straße zu benutzen, auf der unser einstiges Haus stand. Sobald ich an der nächsten Ecke mit breitbeinigen, unsicheren Schritten auf sie einbog, war es mir noch immer, als kämen die Bäume auf mich zu. Im kargen Licht der wenigen Leuchten, die fast so kraftlos schwelten wie früher unsre auf Sparflamme gestellten Petroleumlampen, krümmten sich ihre Stämme, bis die Wipfel ächzten. Ich hielt mich paar Mal am Sockel des schwefelfarben gestrichenen Hauses fest, und vor der nächsten Eingangstür, durch die ich oft zum alten Klock gegangen war, um ihm dies oder jenes zu helfen, hockte ich mich auf die oberste der drei ausgetretenen Steinstufen.

      Vielleicht wäre ich, meine Ellbogen durch die angewinkelten Oberschenkel gestützt, und das Gesicht mit beiden Händen umfasst, eingenickt, wenn nicht das Wimmern zu mir gedrungen wäre. Weil es danach still blieb, glaubte ich fast, mich getäuscht zu haben. Doch sobald der schrille, klagende Laut erneut ertönte, schien mir, auf dem Grundstück, dessen verfallene Gebäude schon lange unbewohnt waren, jammere ein Kind. Sofort rappelte ich mich hoch, drückte die verrostete Klinke nieder und stieß die morsche Tür mit der Schulter nach innen. Ich wankte über den staubigen, holprigen Säulengang, tastete mich die schmale, kipplige Treppe hinab und stolperte, während sich die Laute in geringen Abständen mal stärker, mal schwächer wiederholten, zwischen dichtem Unkraut, das stellenweise kniehoch wuchs, über den lang gestreckten Hof nach hinten.

      Vor der Ruine, die einst Pferdestall gewesen war, verhielt ich, weil ich auf der rissigen, gezackten Mauer, die längst keinen Dachstuhl mehr trug, eine Bewegung bemerkte. Sobald ich die Lider zusammenkniff, erkannte ich im milchigen Mondschein eine schwarzweiße Katze, die, ihren Rücken stark gekrümmt, argwöhnisch zu mir spähte, während sie mit dem geplusterten Schwanz über die verwitterten Ziegelsteine wedelte, als wollte sie den Platz hinter sich blank fegen. Ehe ich mich, dadurch beruhigt, dass die Rufe, die mich hergelockt hatten, ein klägliches Maunzen gewesen waren, abwenden konnte, schwang sich von innen ein sehr alter Mann auf die Mauer. Er setzte sich nieder, ließ die kurzen, mit einer weiten, blauen Arbeitshose bekleideten Beine herabbaumeln, nahm die Katze, die keinerlei Widerstand leistete, auf den Schoß, blickte unter seinem breitkrempigen, weit in die Stirn gezogenen Schlapphut zu mir und sagte mit matter, hohler Stimme, die mir irgendwie vertraut erschien: „Ich hab dich erwartet.“

      „Wieso?“

      „Weil’s uns immer wieder an Stellen zurückzieht, die mal wichtig für uns gewesen sind.“

      „Ihr kennt mich?“, fragte ich überrascht und benutzte, durch eine jähe Regung gedrängt, die früher geläufige höfliche Anrede.

      „Freilich“, entgegnete er. „Ich weiß, dass du in Lenharts Gasthaus wohnst, mit wem du alles gesprochen hast, wo du bereits gewesen bist. Und nun hast du dich auch an mich erinnert.“

      Wieder kam mir seine Stimme vertraut vor, aber das Gesicht, das großenteils von der Hutkrempe verdeckt wurde, konnte ich, so sehr ich mich auch anstrengte, in dem ungewissen Licht nicht erkennen.

      „Oder ist’s etwa Zufall?“, fragte er, da er wohl meine Unsicherheit spürte. „Weißt du vielleicht gar nicht, wer ich bin?“

      „Doch, doch“, erwiderte ich. „Ihr seid...“

      „Du“, unterbrach er mich. „Sag du, da wir uns schließlich schon seit Urzeiten kennen.“

      „Du bist“, begann ich erneut und zögerte einige Augenblicke, ehe ich fortfuhr, „unser einstiger Nachbar.“

      „So ist es“, rief er erfreut. „Hättest mich getrost auch den alten Klock nennen können, wie es früher im Dorf üblich war. Selbst über meinen Spitznamen wäre ich nicht böse gewesen. Weißt du ihn eigentlich noch?“

      „Katzendoktor“, sagte ich.

      „Richtig“, bestätigte er. „So werde ich seit einer Ewigkeit genannt. Ursprünglich war es, glaube ich, fast nur spöttisch gemeint. Aber später schwang immer deutlicher auch ein Quäntchen Neid mit, weil die Leute begriffen, dass ich eine Gabe hatte, die ihnen fehlte. Du verstehst doch, was ich meine?“

      „Teils, teils.“

      „Glaubst also nicht daran, dass manche über besondere Kräfte verfügen? Sie, wie man früher sagte, mehr können als Brot essen?“

      „Nicht so ganz.“

      „Dabei hast du seinerzeit gesehen, dass ich eurer Katze helfen konnte, als sie nicht mehr fressen wollte, weil der alte Djuka Toncsi, wie deine Großmutter glaubte, versucht hatte, sie zu verhexen. Oder bringe ich, da es schon so weit zurückliegt, vielleicht was durcheinander?“

      „Nein, es stimmt.“

      „Sie war, wenn ich mich auch da richtig entsinne, eine außergewöhnlich schöne Katze. Hieß sie nicht Schneewittchen?“

      „Ja.“

      „Ich hab sie, als ihr bereits weg wart, noch oft bei Edit Kreutzer gesehen, bis man auch uns, weil Telepes sich ins gemachte Nest setzen wollten, aus dem Haus drängte. Hast sicher davon gehört.“

      „Hab ich.“

      „Während wir in den baufälligen Baracken am Stadtrand jämmerlich wie nie zuvor unser Leben fristen mussten, wäre ich vielleicht verzagt, wenn ich nicht mehr und mehr gemerkt hätte, dass ich noch gebraucht wurde. Weißt sicher, von wem.“

      „Kann’s mir denken.“

      „Im Nachhinein scheint’s mir, als hätte es in jener verworrenen, trostlosen Zeit besonders viele kranke Katzen gegeben. Zumindest kamen, sobald sich meine Fähigkeiten im neuen Umfeld herumgesprochen hatten, immer öfter Leute zu mir und baten mich, ihren maroden, lustlosen Tieren zu helfen. Selbst Ungarn, denen ich trotz allem, was uns widerfahren war, meinen Beistand nicht verweigerte, weil ich merkte, dass die Ereignisse sie ebenfalls aus dem Gleichgewicht gebracht hatten, befanden sich zunehmend unter ihnen. Spätestens da begann ich zu ahnen, dass auch Katzen eine Seele haben, weil der Kummer, unter dem ihre Besitzer litten, sie offenbar gleichermaßen verstörte.“ Als würde er plötzlich vom weiterhin doppelten Mondschein geblendet, zog er seine Hutkrempe noch tiefer, während er fragte: „Zweifelst wohl sogar daran?“

      „Nein“, erwiderte ich, „daran nicht.“

      „Sie ist schon ganz ruhig“, sagte er, derweil er seinen Kopf der Katze zuneigte, als wollte er deutlicher hören, wie sie schnurrte. „Ich weiß bis heute nicht genau“, fuhr er, nachdem er den Oberkörper wieder aufgerichtet hatte, leiser als bisher fort, „worin meine Gabe wirklich besteht. Ist’s einfach die unverkennbare Fürsorge, die alle Tiere sofort spüren? Wirkt mein Körpergeruch heilsam auf sie? Überträgt sich, wenn ich sie berühre, eine wundersame Energie, die mir unser Herrgott geschenkt hat, damit ich sie segensreich nutze? Oder gibt es vielleicht“, fragte er, während er mich erwartungsvoll ansah, „noch eine Möglichkeit?“

      „Keine СКАЧАТЬ