Название: Engelchen...
Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Leo Schwartz
isbn: 9783738079777
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„Auch dafür werden Sie bezahlt.“
„Ihnen ist klar, dass die Patientin nach dem Gutachten und dem zu erwartenden Gerichtsentscheid die nächsten Jahre ihres Lebens in geschlossenen Anstalten verbringen wird?“
„Ja, das wird wohl so sein. Armes Ding! Aber das ist nicht mein Problem. Ich brauche dieses Gutachten und dafür müssen Opfer gebracht werden.“
Dr. Salzberger hatte einen Anflug von Skrupel. Seit Dr. Aicher zugesagt hatte, bekam er nach anfänglicher Euphorie Bauchschmerzen. Was, wenn der Spezialist den Schwindel durchschaute? Dann wäre er ruiniert und würde nie wieder seinen Beruf ausüben können. Welche andere Wahl hätte er denn?
Die Schadensersatzansprüche aus einem Behandlungsfehler, den er aus seiner Sicht nicht zu verantworten hatte, brachen ihm das Genick. Er hatte alles beleihen müssen, was in seinem Besitz war, um die horrende Summe begleichen zu können. Und dann war die Heizung seiner kleinen Privatklinik kaputtgegangen. Wie hätte er die Reparatur, geschweige denn eine neue Heizung bezahlen sollen? Die Bank gab ihm keinen Cent mehr und Freunde hatte er keine, die er um Geld bitten konnte. Das würde er auch nie wagen, dafür schämte er sich zu sehr. Er hatte sich in den Jahren einen sehr guten Ruf erarbeitet, den er durch einen finanziellen Engpass nicht aufs Spiel setzen wollte. Aber die Geldsorgen lasteten schwer auf ihm und er würde nicht mehr lange durchhalten können. Als er schon aufgeben wollte, bekam er dieses verlockende Angebot, dem er nicht widerstehen konnte. Mit der Summe könnte er eine Heizung und sogar einen kleinen Urlaub finanzieren, den er sich redlich verdient hatte. Hoffentlich lief alles so, wie er es sich vorstellte. Er nahm die Akte Maja Ettl und besah sich die Medikamentenliste, die Dr. Aicher natürlich niemals zu Gesicht bekam. Für ihn lag bereits eine Akte für die Patientin bereit, an der er lange gearbeitet hatte. Dr. Salzberger schüttelte langsam den Kopf. Die Medikation musste bis zum Eintreffen Dr. Aichers zurückgeschraubt werden, um sie dann kurzfristig wieder zu erhöhen. Nur so konnte gewährleistet werden, dass die Patientin so reagierte, wie sie sollte. Er gab sofort eine entsprechende Anweisung an die Pflegekraft Silke.
6.
Wie viel Zeit war vergangen? Maja war erstaunt, dass ihre Gedanken immer klarer wurden, und dass sie ihren Körper mehr und mehr unter Kontrolle bekam. Sie achtete darauf, dass die Frau, die sich um sie kümmerte, ihre Veränderung nicht bemerkte. Sie hatte aus dem letzten Vorfall gelernt und musste sich davor hüten, sich irgendwie auffällig zu benehmen. Sie wusste, dass sie dann wieder ruhiggestellt wurde, und das durfte sie nicht riskieren. Sie musste jetzt taktisch klug vorgehen und durfte nicht unüberlegt handeln. Die Pflege ließ sie über sich ergehen. Auch, dass sie gefüttert wurde, nahm sie hin. Sie achtete darauf, sich so zu benehmen, als sei sie nicht ganz bei sich, obwohl sie klarer und klarer wurde. Sie benahm sich wie eine hilflose Patientin, und diese Schwester nahm ihr das ab. Die Stunden vergingen und ihr ging es langsam immer besser.
Schwester Silke wunderte sich zwar darüber, dass sich die Patientin trotz der Herabsetzung der Medikamente sehr ruhig verhielt, schob das dann aber auf ihre Erkrankung. Frau Ettl war nach den wenigen Tagen ihres Aufenthalts zu einer ihrer Lieblingspatienten geworden. Schwester Silke hatte mitbekommen, dass morgen Dr. Aicher erwartet wurde, der ein Gutachten über die Patientin Ettl erstellen wollte. Warum diese Eile? Normalerweise würde die Patientin lange behandelt, bevor ein Gutachten erstellt wurde. Sie besah sich die Akte genauer. Bis jetzt wurden bei der Patientin nur wenige Untersuchungen vorgenommen, wobei nichts herauskam. Das war ungewöhnlich. Bis Samstag wurden zu den Medikamenten, die sie der Patientin gab, von Dr. Salzberger persönlich weitere Medikamente verabreicht. Was war nur mit der Frau? Warum wurde sie mit so vielen, starken Medikamenten ruhiggestellt? Bisher hatte sie nicht den Eindruck, dass das nötig war. Aber sie war nur Krankenschwester und keine Ärztin. Seit Sonntag wurden die Medikamente auf ein Minimum reduziert, aber trotzdem änderte sich der Zustand der Patientin nicht. Sie schlief und war apathisch wie die Tage zuvor. Schwester Silke hoffte auf das Gutachten von Dr. Aicher. Sobald er die Patientin untersucht hatte, ging es mit ihr sicher schnell wieder bergauf. Sie sah sich die schlafende Patientin lange an. Dann wurde sie zu einem Notfall gerufen.
Maja war wach und tat nur so, als würde sie schlafen. Wann ging die Frau endlich? Nicht mehr lange, und sie würde sich verraten. Sie fühlte sich immer besser. Letzte Nacht ging sie einige Schritte im Zimmer auf und ab, was sehr anstrengend war. Aber sie biss die Zähne zusammen und zwang sich dazu, denn der Kreislauf hatte durch das ständige Liegen sehr gelitten. Sie musste wieder zu Kräften kommen, bevor sie an eine Flucht denken konnte. Sie wollte nach Hause zu ihren Kindern.
Schwester Silke war weg. Endlich! Maja setzte sich auf und streckte ihre Glieder. War das ihre Akte, die auf ihrem Nachttisch lag? Mit zitternden Händen nahm sie die Mappe an sich. Ja, das war ihre Akte, in der sie nur als Patientin bezeichnet wurde. Sie hatte keine medizinischen Vorkenntnisse und verstand nicht viel von dem, was drinstand. Die Medikamentenliste erschreckte sie. Sie zählte die vielen Positionen und hörte bei der Hälfe auf. Das brachte nichts, das kostete nur unnötig viel Zeit. Sie nahm das Blatt aus den Unterlagen und steckte es in ihre Socke. Hektisch blätterte sie in den Unterlagen und suchte nach dem Namen ihres Mannes, der aber nirgends auftauchte. Hatte sie von ihm keinen Besuch bekommen? Wusste er, wo sie war? War er für ihre Einweisung verantwortlich? Endlich fand sie eine Seite, mit der sie etwas anfangen konnte: Sie wurde am 3. August hier eingeliefert. Welcher Tag war heute? Sie hatte das Gefühl, schon eine Ewigkeit hier zu sein. Wie viele Tage, Wochen oder gar Monate war sie bereits hier? Sie blätterte bis zum letzten Eintrag, den Schwester Silke offensichtlich heute vorgenommen hatte: Heute war der 9. August!
Schwester Silke bemerkte nach dem Notfall sehr schnell, dass sie die Patientenakte Ettl in deren Zimmer vergessen hatte. Das war strengstens verboten und der Chef konnte sehr ungehalten sein, wenn er davon erfuhr. Rasch ging sie zu Frau Ettl, die ruhig in ihrem Bett lag. Gott sei Dank! Die Akte lag genau dort, wo sie sie liegengelassen hatte. Instinktiv fasste Schwester Silke an die Stirn der Patientin und wunderte sich. Sie war viel zu warm. Dann maß sie ihren Blutdruck. Der war viel zu hoch.
Maja wurde nervös. Was, wenn Schwester Silke wieder mit Medikamenten reagierte, wenn ihr ihr Zustand nicht gefiel? Sie musste umgehend reagieren und öffnete die Augen.
„Besuch…? Mein Mann…? Kinder…?“, stammelte Maja und sah Schwester Silke dabei flehend an.
„Sie dürfen noch keinen Besuch empfangen,“ sagte Schwester Silke und nahm ihr Handy. „Dr. Salzberger? Die Patientin Ettl ist aufgewacht und verlangt nach Besuch. Ihre Stirn ist heiß, der Blutdruck ist bei 150:100. Soll ich ihr etwas zur Beruhigung geben?“
Bitte nicht! Maja schloss die Augen und zwang sich, ganz ruhig zu bleiben, vielleicht gab sich die Frau damit zufrieden.
Dr. Salzberger saß im Restaurant des Golfclubs. Hier, zwischen all den Bekannten konnte er nicht frei sprechen. Er musste jedes einzelne gesprochene Wort sorgsam auswählen.
„Wie ist ihr Allgemeinzustand?“
„Sie ist ruhig. Es sieht so aus, als wäre sie wieder eingeschlafen.“
„Dann brauchen Sie ihr nichts geben,“ sagte Dr. Salzberger und war beruhigt. Scheinbar wirkten die bisherigen Medikamente noch nach. Zwar hatte er so eine Reaktion bisher noch nie erlebt, schob das aber auf die Tatsache, dass die Patientin keine Medikamente gewohnt war.
Dr. Salzberger nahm das Gespräch mit seinem Gegenüber wieder auf. Diese Schwester Silke war zwar fleißig und zuverlässig, nahm ihren Job aber manchmal viel zu genau. Er konnte es nicht riskieren, der Patientin am Tag vor dem Gutachten nochmals Medikamente zu geben. Die Dosen der ersten Tage waren schon viel zu hoch gewesen und er konnte keinen Kreislaufzusammenbruch riskieren. Er musste auch damit rechnen, dass Dr. Aicher eine Blutprobe von der СКАЧАТЬ