Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: gelbe Buchreihe
isbn: 9783754183250
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Seine Stände waren ihm nicht nur im Wege, weil sie seine Kriegsführung und die Vereinheitlichung seiner weit auseinandergelegenen Provinzen erschwerten, sondern auch weil sie das ihm angeborene Herrschergefühl verletzten. Wenn er sagte, die Untertanen sollten mit der Regierung nicht a pari konkurrieren, so stimmte das mit der neuen Theorie von der Einheitlichkeit der Staatsgewalt überein, entsprang aber zugleich seinem despotischen Charakter. Es gab wohl nach seiner Meinung Fürsten und Stände; aber die Stände waren Untertanen und mussten gehorchen. Dass ein Vertrag zwischen ihm und den Ständen bestehe, leugnete er. Seine Gewalt war ihm, behauptete er, von Gott verliehen, und nur Gott sei er verantwortlich. Die Stände ihrerseits meinten, gleichfalls von Gott geordnet zu sein, sie bildeten nach mittelalterlicher Auffassung ein corpus mysticum, dessen Haupt der Landesherr sei. Sie konnten sich darauf berufen, dass Friedrich Wilhelm beim Antritt seiner Regierung ihre Privilegien beschworen hatte, wohingegen er das Staatswohl anführte, nach dessen Erfordernissen er seine Gewalt gebrauchen müsse. Dass seine Ansicht vom Staatswohl die gültige sei, verstand sich von selbst. Zweifelsohne waren die Stände im Recht, wenn sie ihre Privilegien verteidigten, Unrecht hatten sie nur insofern, als der Geist der Zeit ihnen entgegen war, und als sie selbst von ihm beeinflusst waren. Ihre Lage wäre besser gewesen, wenn sie ein breiteres, sicheres Fundament gehabt hätten; aber der Adel hatte das bürgerliche Element hochmütig zurückgedrängt, von den Bauern ganz zu schweigen. Den ernstesten Widerstand hatte der Kurfürst in Preußen zu besorgen. Hatte er im Jahr 1659 die polnische Oberhoheit abwerfen können, so war doch im Land das Gefühl der Zugehörigkeit zu Polen noch nicht ausgelöscht. Auch rechtliche Bande gab es noch, insofern Polen die Rechte der preußischen Stände garantiert hatte. Adel und Städte hatten sich im Allgemeinen bei der Verbindung mit Polen wohl gefühlt, sie liebten den Kurfürsten nicht, überhaupt reflektierten sie, wie sie sagten, wenig auf das deutsche Wesen. Seit der unglücklichen Schlacht bei Tannenberg hatte Preußen in keiner Verbindung mehr mit dem Reich gestanden, Polen war ihm vertrauter als Brandenburg.
Nicht alle Räte des Kurfürsten billigten sein rechtswidriges Verfahren im Verkehr mit den Ständen; denn schließlich waren sie auch Adlige und hatten Verständnis für die Interessen ihrer Schicht. Aber Friedrich Wilhelm griff durch; er erhob Steuern, die nicht bewilligt waren, und ließ sie mit Härte gewaltsam eintreiben. Träger des Widerstandes waren auf Seiten des Adels Christian Ludwig von Kalkstein (Christian Ludwig von Kalckstein (* 1630; † 8. November 1672 in Memel) war ein kurbrandenburger Obrist.) und auf Seiten der Städte der Königsberger Schöffe Hieronymus Roth (Hieronymus Roth (* 1606; † 1678 in der Festung Peitz, Lausitz) war Schöffenmeister in Kneiphof, einer der drei Städte von Königsberg.), ein ehemals begüterter Kaufmann, dessen Verhältnisse zurückgegangen waren. Er wurde in einem durchaus ungesetzlichen Verfahren zu ewiger Gefangenschaft verurteilt. Während des Prozesses und der langen Haft zeigte er würdigen Stolz, um Gnade zu bitten verschmähte er, weil er sich im Recht wusste. Kalkstein flüchtete nach Polen und konnte nur durch Verrat in die Hände des Kurfürsten geliefert werden. Ein Adliger, Eusebius von Brandt, gab sich dazu her. Er spiegelte Kalkstein die Möglichkeit der Versöhnung mit dem Kurfürsten vor und lockte ihn damit auf preußisches Gebiet; später verbreitete er, Kalkstein sei aus eigenem Antrieb gekommen, um seine Frau zu besuchen. Friedrich Wilhelm ließ sein Opfer nicht nur hinrichten, sondern vorher, um geeignete Aussagen zu erpressen, foltern, was ganz ungesetzlich war. Wenn er sagte: Ich habe nichts Unbilliges begehrt, ich wollte nur Herr, und sie sollten Untertanen sein, so mag man annehmen, dass er bei dieser naiven Äußerung gutgläubig war. Daraus, dass nur zwei Männer sich ernstlich für die Sache der Stände einsetzten, ist ersichtlich, wie wenig Selbstbewusstsein mehr in ihnen war. Kalkstein und Roth waren die unglücklichen Vertreter von Körperschaften, in welchen der Lebenskraft einer aufkommenden Gewalt gegenüber nicht genügend Widerstandskraft mehr vorhanden war. Sie gingen zwiefach unter; denn die Nachkommen, die dem neuen Gestirn huldigten, schwiegen von ihnen oder schmähten sie, um den Sieger nicht zu beeinträchtigen. Sie mussten ihm gegenüber unrecht haben.
Die Kämpfe mit den Ständen zogen sich durch Friedrich Wilhelms lange Regierung hin. In Preußen, wo der Widerstand mit Anhänglichkeit an Polen verknüpft gewesen war, konnte er als Landesverrat nachdrücklicher als anderswo angegriffen werden; aber ihn mit einem Schlag auszurotten gelang nirgends. In Cleve, wo die Selbstverwaltung viel fester eingewurzelt war als im Osten, wurden während des Großen Kurfürsten langer Regierungszeit Landtage abgehalten. Auch in seinem Bestreben, sich ein ganz von ihm abhängiges Beamtenheer zu schaffen, war er nicht ohne Ausnahmen erfolgreich. Um die Beamten aus jedem Zusammenhang mit den Ständen und mit dem Interesse der Provinz zu lösen, besetzte er die Stellen nach Möglichkeit nicht mit Eingeborenen, wie es den Privilegien entsprochen hätte, sondern mit Fremden, Angehörigen anderer Provinzen, die als Ausländer empfunden und oft gehasst wurden. Bei alledem gelang es ihm nicht, die Mitwirkung der Stände ganz auszuschließen.
Das allerwirksamste Mittel, den ständischen Adel in einen dienenden Hofadel umzuwandeln, waren die mit dieser Umwandlung verbundenen Vorteile, für die der Landesherr sorgte. Sie bestanden darin, dass dem Adel alle hohen und einträglichen Stellen im Heer und in der Beamtenschaft vorbehalten blieben und dass ihm die Bauern preisgegeben wurden. Man könnte meinen, es habe im Interesse der Fürsten gelegen, die gedrückten Bauern gegen Adel und Städte aufzuwiegeln und mit ihrer Hilfe diese Stände zu schwächen; allein der Gedanke einer derartigen Umwälzung lag ihnen fern. Sie wollten das Ansehen und die Macht des Adels erhalten, etwa noch vermehren, aber er sollte ihnen zur Verfügung stehen. Grade weil er mächtig war, wollten sie sich auf ihn stützen. Ihn sich zu unterjochen und zugleich auf Kosten der schwächeren Stände zu stärken, war ihre Politik.
Erst seit dieser Zeit waren die Bauern vollständig entrechtet, zum Teil eigentliche Leibeigene. Sie hingen von der Willkür ihres adligen Grundherrn ab, der die Rechtsprechung über sie hatte, es gab für sie keine höhere Instanz, an die sie hätten appellieren können. Alle Übergriffe, die sich die Grundherren mit der Zeit im Verhältnis zu den Bauern herausgenommen hatten, die Ausbeutung, den unmenschlichen Druck ließ der Kurfürst nicht nur geschehen, alles das wurde in vielen Paragraphen eines Landtagsabschieds den adligen Herren als ihr Recht bestätigt. Anstatt dass der Landesherr den Bauern hilfreiche Hand reichte, verdoppelte er ihre Bürde, indem er ihnen zu den übrigen noch die Militärlasten auflegte. Die Bürgerlichen unterstanden zwar nicht der Gerichtsbarkeit des Adels, hingen überhaupt in keiner Weise rechtlich von ihm ab, aber sie bildeten einen geringeren Stand und durften keine adligen Güter erwerben. Dennoch drangen zuweilen Bürgerliche in die höheren Staatsämter ein, wenn man ihrer Intelligenz und ihres Fleißes bedurfte; sie wurden dann geadelt, um der Ehre des Hofes fähig zu werden. Einigermaßen hoben sich die zünftigen Gelehrten von dem verachteten Kreis des Bürgertums ab.
In Österreich vollzog sich die Umwandlung des Staatswesens dem Charakter der Dynastie und der Bevölkerung entsprechend langsamer und weniger gewaltsam als in Preußen. Auch hier hatten die Stände im siebzehnten Jahrhundert das Bewusstsein ihres Rechts und das Gefühl ihrer Macht eingebüßt. Schon bei Leopolds I. Thronbesteigung wurde die Huldigung nur durch Abgeordnete und nicht mehr unter freiem Himmel geleistet; sein Sohn Karl leistete keinen Eid mehr, sondern versprach nur, die Privilegien zu halten. Bald in dem einen, bald in dem anderen Punkt gingen die Befugnisse des ständischen Adels in die Hände neugeschaffener fürstlicher Behörden über. Immerhin machte es sich geltend, dass die gesellschaftliche Stellung des österreichischen Adels nicht so leicht erschüttert werden konnte, dass auf die reichen und stolzen Familien, die den Thron umgaben, Rücksicht genommen werden musste. Wenn es bald keine ständische Behörde mehr gab, die Statthalter, Gubernatoren, Oberstburggrafen und wie sie alle hießen, die nicht auch dem Landesherrn verpflichtet gewesen wäre, so erleichterte doch die unsichere Begrenzung der beiderseitigen Befugnisse den Ständen die Einmischung. Der Landesherr hatte in den militärischen Dingen die Oberhoheit, aber die Aushebung und die Verpflegung der Soldaten stand den Ständen zu, und in allen finanziellen Angelegenheiten hatten sie sogar den größeren Anteil der Rechte. In Ungarn vollends, wo die feudalen Verhältnisse noch herrschten und wo der Abfall beständig drohte, musste man die mächtigen Magnaten schonen. Auch als ihre Unzuverlässigkeit Gelegenheit gab, mit blutiger Härte gegen sie vorzugehen, gelang es doch nicht, СКАЧАТЬ