Kleine Frau im Mond. Stefan Boucher
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Название: Kleine Frau im Mond

Автор: Stefan Boucher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754174128

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СКАЧАТЬ und war auch wirklich Sieger geblieben. Ein Vorbild, dachte sie bei sich. Auf dem Weg zu den Schlössern lag außerdem die S-Bahnstation Babelsberg-Ufastadt … wer hatte hier nicht alles den Boden betreten? Wessen Füße waren die Treppen hinuntergestiegen und auf der Straße gelandet, unter der Eisenbrücke hindurchgeschritten, von der herab es einem lange nach schweren Regengüssen noch in den Kragen tropfte, selbst wenn schon wieder die Sonne strahlte?! Babelsberg! Ufastadt! Klangvoll, berühmt und geheimnisvoll. Ein Begriff wie ein Gemälde, ein Juwel, ein Heiligtum. Babelsberg, die Filmstadt der UFA, unter deren Mantel seit 1942 die verstaatlichten Firmen der deutschen Filmproduktion versammelt waren.

      Mara setzte sich aufrecht hin. Der Bahnhof Zoo kam in Sicht. Gleich war es soweit und sie hielt die Augen offen. Da, endlich!

      Hoch überragten sie die Baumwipfel des Tiergartens: die Zwillingstürme der Luftverteidigung am Zoo. Erhoben sich über das Geschachtel der Dächer wie Burgriesen einer sagenhaften Zeit. Kastelle, an denen Sturm und Angriff anprallten, wie die Wochenschau sie beschrieb. Hinter ihren massiven Mauern fanden die Bewohner der Stadt Schutz. Von Ferne sichtbar war das metallene Rund einer schüsselförmigen Scheibe, nach innen gewölbt, von weitem Durchmesser und mehreren Metern Tiefe. Unwillkürlich streckte sie ihren Hals, als handelte es sich um eine Weltsensation, und das war es für sie auch. Eine mächtige Antenne, ausgerichtet auf die anfliegenden Feinde und in der Lage, sie hunderte, tausende Kilometer weit zu orten, lange bevor irgendein Spähposten sie mit seinen schwachen menschlichen Augen entdecken mochte. Was für eine Macht und Reichweite, schoss ihr immer wieder durch den Kopf, egal wie oft sie das Gerät sah. Man nannte die Schüssel den Würzburg-Riesen. Er thronte auf dem riesigen grauen Klotz aus Stahlbeton, der vor gerade einmal drei Jahren in den Tiergarten gepflanzt worden war. Dieser, mit modernster Technik vollgestopfte sogenannte L-Turm, war die Leitzentrale einer Stellung der Luftverteidigung. Er stand im Verbund mit dem G-Turm, auf dessen oberster Plattform Flugabwehrgeschütze installiert waren. Es handelte sich um die größten, die die Wehrmacht überhaupt besaß. Hatte sie zumindest gelesen. Unterhalb befanden sich rundherum Ausbuchtungen, genannt ›Nester‹, mit weiteren schweren Maschinengewehren. Die Bauwerke bildeten uneinnehmbare Festungen gegen die Wut der beinahe täglichen Luftangriffe.

      Die Türme, wie Mara sie sah, waren nicht bloß Verteidigungsbollwerke. Mit dieser Technik, so träumte sie, würde man einmal die Sterne anfunken. Bald sogar, wenn erst Frieden wäre. Und von einem Ort wie diesem, das stand für sie fest, würden dereinst Weltraumschiffe starten zu den Planetenräumen. Neben dem Zoo gab es Flaktürme noch in Friedrichshain und am Humboldthain. Eigentlich hätte ein vierter am Flughafen Tempelhof gebaut werden sollen, doch auf den war verzichtet worden, um den Flugverkehr nicht zu stören – so hieß es. Mara dachte weiter. Tempelhof … sicher hatte man Größeres vor – da steckte mehr dahinter – ein Turm für die Sterne vielleicht. Wäre das nicht logisch?

      Als die S-Bahn näher an den Bahnhof heranrollte, erkannte sie die wahre Größe der Zwillingstürme. Die Höhe des G-Turms betrug sechsunddreißig, die Seitenlängen über siebzig Meter. Die vier Ecktürme alleine hatten Außenlängen von mehr als zwanzig Metern. Bis zu fünfunddreißigtausend Menschen konnten darin Platz und Schutz finden. Oben, so hatte sie gehört, befanden sich neben den Geschützbettungen sogar siebzig Tonnen schwere Kuppeln aus Panzerstahl und mehrere Aufzüge zum Transport von Munition und leeren Hülsen. Das alles für einen Krieg, der doch bald gewonnen sein würde? Das konnte sie nicht glauben.

      Würde man nicht den kommenden Frieden nutzen, um in Tempelhof ein ungleich größeres Turmgespann zu errichten? Mit Flugschiffwerft und Raumhafen, so wie sie es auf Bildern in dem Sonderheft zu dem Mond-Film von Fritz Lang gesehen hatte? Zu gern hätte sie ihn einmal angeschaut, aber der durfte seit 1937 angeblich nicht mehr gezeigt werden. Warum, wusste niemand.

      Leider, und es überraschte sie immer aufs Neue, wenn die Bahn auf die Zielgerade des Bahnhofes einschwenkte, gerieten die Türme plötzlich aus dem Blick und Mara war enttäuscht. Sie hatte sogar Personen ganz oben erkannt. Sie schienen so klein, verletzlich und waren doch sicher wie nirgendwo sonst in Berlin. Es musste großartig sein, dort Dienst zu tun … Mit diesem Gedanken erhob sie sich von ihrem Platz und reihte sich ein in die Menge der Menschen, die ebenfalls am Bahnhof Zoo aussteigen wollten.

      Die kühle Luft floss durch den Spalt der sich öffnenden Türen. Der Bahnsteig, der sie empfing, war mindestens ebenso gedrängt wie zuvor die S-Bahn.

      Sie schob sich nach unten. Schnell, vor den anderen. Aber die Treppe war verstopft und sie musste warten. Mancher sah sie interessiert an und musterte ihre Uniform. Doch nein, so wichtig erschien sie wohl nicht, denn niemand machte ihr Platz.

      Unten in dem Durchgang sah es nicht besser aus. Von allen Richtungen her strömten die Menschen und Mara mit ihnen.

      Es waren nur wenige Meter zurückzulegen, aber sie fühlte sich wie eine Sardine auf Bezugsschein. Viele trugen dicke Kleidung und wirkten dadurch breiter. Verständlich. Da man nicht wusste, wann der nächste Fliegeralarm käme und wie lange man in irgendeinem Bunker ausharren musste und wie kompliziert danach der Heimweg wäre, wollte man auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.

      Sie nutzte eine Lücke und warf sich voran. Den überraschten und wütenden Schrei von jemandem überhörte sie, denn sie war da! Wilhelm Darburgs Zeitungsladen!

      Nur ein kleiner Verkaufsraum am Südausgang der breiten Fußgängerpassage des Bahnhofes unterhalb der Bahnsteige. Aber wie man das Geschäft auch nennen mochte, hierher kam Mara gern. Der Inhaber war ein alter und höflicher Mann. Schweigsam, doch immer auskunftsfreudig, wenn sie fragte. Und vor allem gab es nichts, was er nicht hatte oder besorgen konnte.

      Er bot all die großen Tageszeitungen feil. Sie hingen vor dem Schaufenster. Durch dieses fiel fahles Licht, geputzt wurde es so gut wie nie. Draußen hatte er bloß Schnüre gespannt, die ganze Wand entlang. Und darüber die Zeitungen ausgebreitet. Aber der billige Aushang war effektvoll, denn die meisten Menschen fanden dort vor der Tür, was sie brauchten und hielten sich im Inneren nicht lange auf.

      In seinem Zeitschriftenladen gab es aber viel mehr. Bücher, Abenteuerromane, Reiseberichte. Echte und fiktive. Hier hatte ihr Vater für Mara das erste Buch von Jules Verne gekauft – als Mutter noch lebte. Und weil er selbst gerne phantastische Geschichten las.

      Hier fand sie aber vor allem die Groschenhefte, die sie auf ihren Bahnfahrten verschlang. Ein buntes Kaleidoskop der Welten und Schicksale. Sie bekam nicht genug davon. Der Zeitungsstand war wie eine Kraftquelle für sie, als wirkte von hier aus eine Energie, die sie anzog und gestärkt wieder entließ.

      Herr Darburg war da, aber doch nicht da. Er unterhielt sich angestrengt mit einem Herrn. Für dieses Gespräch hatte er sich in den rückwärtigen Teil des kleinen Kabuffs zurückgezogen und obwohl sie kaum einige Meter von den beiden Männern entfernt stand, konnte sie nicht hören, was besprochen wurde. Sie schienen erfahren darin, sich für andere unhörbar zu unterhalten. Aber so ganz blieben ihr die Inhalte nicht verborgen. Auch sie hatte Übung in gewissen Dingen.

      »In Wien? Was will denn von Weichs in Wien? Hält der nicht die Stellung in Belgrad?«, fragte der Händler den Unbekannten plötzlich laut und erschrocken, während Mara die Hefte durchblätterte. Sie wollte nicht stören, daher hielt sie ihre Tasche mit dem ausgeliehenen Magazin fest im Arm. Die beiden älteren Herren bemerkten sie und ihr blieb nicht verborgen, dass bei ihrem Anblick ein schmales Lächeln über die Lippen des Zeitungsverkäufers huschte, aber sofort kümmerte er sich wieder um seinen Gast.

      Unter den Tageszeitungen und Journalen fand sie nichts, was sie interessierte. Unschlüssig beobachtete sie einen Jungen, der sich auffällig unauffällig direkt gegenüber an einem Stand vor dem Laden von Obsthändler Bramme herumdrückte. Plötzlich griff er sich einen Apfel und rannte davon. Der dicke Inhaber war gar nicht weit entfernt, aber er schaute hilflos, blies seine Backen rund und ließ die Luft ab, als pumpe СКАЧАТЬ