Kleine Frau im Mond. Stefan Boucher
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Название: Kleine Frau im Mond

Автор: Stefan Boucher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754174128

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СКАЧАТЬ aussehen ließ.

      »Fräulein Hanisch! Gut, dass Sie kommen!«, balzte er das junge Mädchen an.

      Mara nahm das Heft und schob es in ihre schmale Tasche. Dann warf sie einen Blick in den kleinen Spiegel an der Holzwand und musterte sich selbst: Sie streckte sich die Zunge raus und ihr herzchenförmiges Gesicht mit den kecken Sommersprossen auf und neben der Nase zwang sie, zu schmunzeln. Mit den Taschenriemen über der Schulter erhob sie sich.

      »Tag Fräulein Hanisch«, grüßte sie ihre Ablösung und schritt an den beiden gurrenden Turteltäubchen vorbei. »Die Abrechnung liegt abgezeichnet auf dem Tisch. Es war ruhig heute.«

      Vorsteher Bommel beachtete sie nicht, die Kollegin grinste unbeholfen. Geheuer schien ihr das Verhalten des Vorgesetzten wohl auch nicht zu sein… andererseits tat sie nichts, um das zu beenden, im Gegenteil.

      Mit geübtem Griff schob Mara ihre Dienstmütze zurecht, so dass sie nicht wegflöge, falls draußen der Wind blies, doch es war bloß kalt. Eisig. Höchstens drei Grad. Bedächtig stieg sie zu den Gleisen hinauf. In den Ecken und zwischen den Bäumen auf der anderen Seite der Strecke lagen Reste von Schnee. Es war ruhig, fast schon still für einen frühen Freitagnachmittag in der Reichshauptstadt. Aber das kam hier manchmal vor, ihre Station lag nicht an einer der Hauptlinien, dadurch wurde der Tag oft langweilig und die Stunden zogen sich. Andererseits hatte sie Zeit zum Träumen, solange nicht Herr Bommel hin und wieder glaubte, er müsste sie kontrollieren. Wenn er selber beschäftigt war, einerlei ob mit seinen Schallplatten oder mit Fräulein Hanisch, konnte Mara nach Herzenslust lesen. Schmökern und Grübeln. Sie las, soviel sie konnte, aber am liebsten verschlang sie alles, was mit dem Weltraum zu tun hatte, mit Luftschiffen und Raketen.

      Wie sie sich doch wünschte, eines Tages selber zu den Sternen zu fliegen. Dabei zu sein, wenn aus den Raketenträumen der Wissenschaftler und Pioniere irgendwann einmal ein Mondflug würde. Sie atmete tief die kalte Luft ein. Sie roch nach Holzbrand, dessen Qualm aus dem Schornstein der kleinen Bahnstation quoll und sich in der Windstille gemächlich herabsenkte.

      Die Gleise glänzten im kühlen Sonnenlicht. Stahl, der von hier aus überall hin auf der Welt führte. Bis Kairo, China, nur nach Amerika natürlich nicht, dachte sie. Guter deutscher Stahl, doch zu schwer, als dass man damit fliegen könnte. Dafür wurde schon Duralumin benötigt, wie man es im Flugzeugbau verwendete. Sie kannte sich aus.

      Fest hielt sie ihre Tasche gepackt und drehte sich langsam auf dem Bahnsteig. Kleine Wölkchen tauchten im Takt der Atemzüge vor ihrem Gesicht auf und verschwanden wieder. Es wurde Zeit, dass der Sommer käme … ja, der Sommer. Aber sie hatte keine Pläne und würde doch hier sitzen. Warum wollte sie überhaupt auf ihn warten?

      Mit dem Herannahen der gelb-rot lackierten elektrischen Triebwagen vom Typ ET 169 verloren sich ihre trüben Gedanken. In zwanzig Minuten hätte die S-Bahn sie zum Bahnhof Zoo getragen. Zuvor an der Friedrichstraße umsteigen und ab da führte jede Linie in Richtung Westen. Am Zoo gäbe sie dann dem alten Darburg das Heft zurück und heimlich hoffte sie, dass sie ein neues geliehen bekäme.

      Rappelnd kamen die Wagen zum Stehen und bewusst trat sie zur Seite. Deutlich neben die Türen, den Blick niederschlagend, damit man sie nicht für im Dienst befindlich hielt und nach dem Weg oder Preisen für Billetts fragte oder, schlimmer, sich über irgendwas beschweren wollte. Aber alles lief gut, die Menschen wanderten an ihr vorbei, einige Soldaten in Ausgehuniform drängten auf das Bahnsteighäuschen zu und jeder schien nur eines zu wollen: Heim.

      Kurz bevor die Bahn anfuhr, schlüpfte Mara durch die sich schließenden Türen und nahm Platz. Der Wagen war nur halb gefüllt. Leise unterhielten sich die Leute über dieses und jenes. Sie hatte erst am Montag Dienst und das freie Wochenende kam ihr vor wie Ferien.

      »Wenn ich Glück habe, geht Hermann mit mir in einen Film.«

      Das weckte augenblicklich ihre Aufmerksamkeit. Kino … das wäre mal wieder etwas. Ihr gegenüber saßen drei Blitzmädels in Uniform. Wehrmachtshelferinnen, so genannt wegen des gelben Abzeichens an ihren Ärmeln und dem gleichfarbigen Streifen an ihrem Schiffchen, der Uniformmütze. Die anderen kicherten. »Kinooo«, jaulte eine Schwarzhaarige. »Wer‘s glaubt«.

      »Aber hör mal«, beschwerte sich die Erste, eine lange dürre Bohnenstange. »Ich muss doch sehr bitten. Was unterstellst du mir da?«

      »Nichts, was du mir nicht auch unterstellen würdest«, betonte die dritte, eine dickliche Brünette spitz.

      »Tss, ihr könnt ja gar nicht mitreden.«

      »Was für ein Kulturfilm soll‘s denn sein?«, fragte die Dicke schmeichlerisch.

      »Kein Kulturfilm«, entgegnete die Erste und überhörte den Unterton. »Eine Parodie. Ein Film über Juwelenraub und einen schlauen Detektiv. Herr Sanders lebt gefährlich – gerade angelaufen.«

      Die beiden lachten. »Und du magst Detektivfilme? Seit wann!«, johlte die Schwarzhaarige.

      »Seit Paul Verhoeven mitspielt«, kicherte die Korpulente.

      »Du bist bescheuert«, nölte die Bohnenstange. »Paul Henkels ist der Räuber.«

      »Aber der sieht nicht aus wie Lutz. Der Verhoeven schon. Weiß Hermann das?«, gluckste wieder die Dicke mit einem Zwinkern zu den anderen.

      »Untersteh dich, der Schuft Lutz kann mir gestohlen bleiben. Treulose Tomate.«

      Verwirrende Namen, Mädchenprobleme. Mara schmunzelte und wandte sich ab, sie sah aus dem Fenster. Wenige Bäume, immer mehr Häuser zogen an ihnen vorbei, als es schnurgerade in die Mitte der Hauptstadt ging. Sie kannte den Film gar nicht. Angestrengt überlegte sie, ob sie denn mal davon gehört hatte. Der Titel kam ihr leicht bekannt vor: Herr Sanders … Vielleicht eine Schlagzeile im Filmkurier, den sie bisweilen am Zeitungsstand vom alten Darburg durchblättern durfte.

      Sie würde gerne wieder einmal Weltraumschiff 1 startet sehen. Der war faszinierend. Es war einige Jahr her, Ende 1940 hatte sie ihn das erste Mal gesehen und sie würde niemals ihr Staunen vergessen. Was für ein Spektakel: Eine Reise mit einem großen silbernen Raumschiff ins Weltall und rund um den Mond. Leise seufzte sie. Ein Kulturfilm, halb Spielfilm und halb dokumentarisch. So etwas gab es nicht oft. Kulturfilme waren ein wenig Glückssache. Sie wurden selten angekündigt. Meistens liefen sie nach der Wochenschau und vor dem Hauptfilm. In großen Kinos und bei Filmen mit Jugendfreigabe konnte man Glück haben. Die hatten zwei, manchmal drei Vorstellungen am Tag und einen entsprechenden Bedarf an Kurzfilmen. Da half nur immer wieder ins Kino gehen. Aber Billetts waren teuer und als Fahrkartenmädchen bei der Reichsbahn konnte sie sich keine großen Sprünge erlauben – und kleine leider ebenso wenig.

      »Nächster Halt Friedrichstraße«, rief der Schaffner an, der sie erst gar nicht kontrolliert hatte. Mittlerweile kannte sie so gut wie jeden bei der BVG.

      Sie stand auf und verließ den Zug, schnell zum benachbarten Gleis wechselnd, wo die Linie 2 einfuhr.

      Mit der S-Bahn zu fahren war ihr Spaß, ihre Leidenschaft, ihre Passion. Stundenlang saß sie manchmal in den Wagen, sah aus den Fenstern, ließ sich über die Streckenabschnitte der Ringbahn tragen. Von hier aus erreichte sie jeden Winkel der Stadt. Konnte alle Straßen sehen. Die prächtigen und die verwahrlosten, die großen Mietskasernen und Fabriken der Siemensstadt. Die einsamen Viertel des Grunewald, den quirligen und lebendigen, leicht chaotischen Alexanderplatz mit der weithin sichtbaren Roten Burg, dem gewaltigen Polizeipräsidium. Bis raus nach Potsdam ließ sich fahren und von dort Sanssouci erreichen, das legendäre Schloss des bedeutenden Preußenkönigs, der doch so bescheiden gewesen war. Das hatte sie СКАЧАТЬ