Название: Kleine Frau im Mond
Автор: Stefan Boucher
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754174128
isbn:
Simeon richtete sich ein wenig auf und hob sein Kinn. Eduard stand mitten in den Kulissenbauten und nestelte an der Kamera herum. »Da, siehst du den Hoesch? Hilf dem mal. Als Lichthelfer hast du ja nichts mehr zu tun.« Dann schaute er einen Moment auf seine Knie. Nein, das reichte nicht und er hob den Blick. »Leon, so geht das nicht. Du tust so, als sei überhaupt nichts passiert. Immer und immer wieder kommst du an und ich falle auf dich herein.«
»Was?«, jaulte er leise, aber Simeon ließ ihn nicht ausreden. Das konnte sonst lange dauern, das wusste er.
»Kein Was mehr. Eberhard, Jürgen. Und zuletzt Frieder. Alles immer nur Freunde? Und Zufälle? Und Gelegenheiten? Und nichts Ernstes? Lass das. Wenn ich dir zu alt bin …«
»Aber bitte, es ist doch gar nicht …«
Simeon platzte beinahe der Kragen. »Vergiss mal einen Moment wo wir sind und komm in der Realität an. Menschen haben Gefühle – nicht im Film. In echt! Und brauchen Beständigkeit. Die einzige Konstante bei uns ist, dass du zu mir kommst und ich für dich da bin. Im Gegenzug? Nüscht. Und jetzt hilf dem Eduard, verdammt.« Demonstrativ schloss er erneut die Augen und lehnte sich an die Wand. Die Luft im Atelier war warm von den Strahlern, die seit Stunden leuchteten. Aber die Mauer ließ doch die niedrigen Temperaturen draußen auf dem Gelände spüren. Der Kontrast an dieser Nahtstelle von innen und außen gefiel ihm. Wenige Augenblicke später hob er wieder die Lider. Leon war verschwunden, dafür schlenderte Viktor de Kowa heran und lächelte. In der Hand hielt er einen gut gefüllten Cognacschwenker. Balancierte ihn zwischen zwei Fingern wie die frisch gepflückte Blüte einer seltenen Blume, mutig aus einem verschlossenen Garten gestohlen.
»So versonnen, Herr Wehrstein?«
Simeons Gesicht entspannte sich. Sein Blick wanderte an dem Gegenüber entlang, hoch zur Decke weit über ihnen, wo letzte Scheinwerfer brannten. Viktor war nicht länger der draufgängerische Millionendieb Peter Voß. Abgeschminkt, nahezu farblos wirkte er, wieder total der blonde jungenhafte Lebemann, als der er oft besetzt wurde.
»Nicht versonnen«, schüttelte Simeon den Kopf. »Es ist … die ersten Minuten nach Drehschluss, wenn alles getan ist, jede Geschichte erzählt, jeder Konflikt ausgefochten …«
De Kowa nickte leicht und lächelte auf ihn herab. »Jeder Filmkuss geküsst wurde. Jeder Mord gerächt. Wenn die Klappe gefallen ist … das Jubeln der Filmleute verstummt und auch das Rascheln der Requisiteure endet, die letzten Türen zugefallen sind und die Traumwelt des Ateliers von der Stille der Realität übermalt wird?«
Simeon spürte eine Gänsehaut auf dem Rücken. »Ja, exakt das!«, hauchte er.
Der Schauspieler strahlte. Dann setzte er sich neben ihn und nippte an dem Cognac. Genüsslich verdrehte er die Augen. »Sie sind noch hier. Ich dachte, sie würden jetzt auch schon hastig die Sachen packen wie die anderen, um Montag pünktlich in Kolberg zu sein. Für die Aufnahmen am historischen Schauplatz.«
»Nein«, sagte Simeon etwas gedehnt. »Ich wurde nicht besetzt. Aber das macht nichts. Ich bin von Quassowski für eine neue Käutner-Produktion angefragt. Da ist noch einiges unklar, aber es muss wohl bald losgehen. Und Sie?«
»Ich soll mich bereithalten«, de Kowa strahlte. »Professor Liebeneiner hat mich eingeladen. Vielleicht geht es um eine Rolle. Er sagt nichts, wie immer alles geheim.«
»Der Liebeneiner ist schon wer. Der macht keine Kleinigkeiten«, erwiderte Simeon bewundernd.
»Und ob! Neben Veit Harlan immerhin der Mann des deutschen Films. Zuständig für die wichtigen Angelegenheiten.«
»So wichtig wie Kolberg?«, fragte Simeon. Die als kriegswichtig eingestufte Produktion verschlang Unsummen von Geld und Ressourcen und wurde nicht fertig. Das pfiffen die Spatzen von den Dächern der Ufastadt in Babelsberg und darüber hinaus.
De Kowa nickte entschieden. So heftig, dass die Kiste wackelte, auf der sie saßen. »Harlan ist seit einem halben Jahr mit Kolberg zugange. Wer soll es denn sonst machen? Nein, nein. An den Liebeneiner muss man sich ranhalten. Was der anpackt, kann hinter keiner Harlan-Produktion zurückstehen. Das würde er sich nicht bieten lassen. Wie man hört, will sich der Chef höchstpersönlich ein filmisches Denkmal setzen. Es fehlt nur noch der passende Stoff.«
Simeon sah ihn von der Seite an. »Etwa der Doktor?«
Der andere legte den Finger auf die Lippen. »Minister Goebbels. Genau. Beim ›Wunschkonzert‹ hat sich sein Einfluss doch bezahlt gemacht. Ist ein riesiger Erfolg gewesen. Mehr weiß ich aber nicht und wenn ich mehr wüsste und Ihnen das verriete …«
Er ließ den Rest ungesagt, aber Simeon kannte den bei Filmleuten beliebten Spruch: ... dann müsste ich Sie töten. Nicht witzig in diesen Tagen. Erst recht nicht nach der Affäre Selpin. Oder dem Trauerspiel um die Familie Gottschalk. Falls die Produktion seitens des Ministerbüros selbst befürwortet wurde, vielleicht sogar vom Schirmherren des deutschen Films erwünscht, würde es an nichts mangeln. Er wollte sich unbedingt erkundigen, wie er dort ebenfalls an Bord käme.
Der Schauspieler stand auf. »Jetzt ist erst einmal Wochenende. Am Mittwoch habe ich Geburtstag und gebe eine Gesellschaft. Ich werde vierzig. Wollen Sie auch kommen? Ich würde mich freuen.« Er zwinkerte. »Wolfgang Liebeneiner wird auch da sein ...«. Er lächelte vielsagend.
Simeon strahlte und nickte. Er hatte sein viertes Lebensjahrzehnt längst erreicht. Dort würde er sicher Verbindungen für dieses ominöse Großprojekt knüpfen können. Und es gäbe zu essen. Viel und gut. Das rettete schon die halbe Woche. »Gern. Sehr gerne.«
»Dann ist es abgemacht.« Sie reichten sich die Hände und Simeon schloss abermals die Augen. Das Leben ging weiter. Und so mochte er es wenigstens hin und wieder einmal genießen.
Es ist so trostlos in Zehlendorf-West
Psssch. Zischend entwich der Atem. Immer wieder fiel eine schwere Locke in Maras Gesicht und verdeckte den Text in dem Magazinheft. Sie ließ sich nicht vertreiben. Noch ein Versuch: Psssch. Keine Chance. Und was sie las, ärgerte sie außerdem:
Ich gestehe, dass ich nicht allzu erfreut darüber war, denn erstens gab es meiner Ansicht nach schon damals Raumfahrtromane genug. Das stand da tatsächlich. Die Locke rutschte gleich auf die Nase, ihr Blick schielte vorbei. Und zweitens, ein Raumfahrtroman, den eine Frau geschrieben hat …
»Frechheit«, flüsterte sie mitten in den Satz hinein.
»Watt ham se jesacht, Frollein? Stör ick vielleicht?«, schimpfte jemand.
Überrascht hob sie ihren Blick. Vor ihr stand ein altes Frauenzimmer in einem dunklen Mantel, über ihren Kopf ein altmodisches Kopftuch geschlungen.
»Watt is jetzte mit mein Billett?«, fragte die Oma auf der anderen Seite der Durchreiche.
Hastig schob das Mädchen die Illustrierte beiseite und griff nach den Fahrkarten, während ihr Gegenüber schon erwartungsvoll unter dem hochgezogenen Fensterchen hindurchschaute.
»Einmal Lankwitz, bitte!« Die alte Frau war entschlossen.
Mara lächelte und riss die Karte ab. Die etwas gebückte Dame reihte die abgezählten Münzen säuberlich auf. Sie schob ihr im Gegenzug den Fahrschein hinüber und entschied sich für Freundlichkeit. »Da haben Sie aber ein Stückchen vor sich. Sie müssen nach Norden fahren und umsteigen. Yorckstraße СКАЧАТЬ