Kleine Frau im Mond. Stefan Boucher
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Название: Kleine Frau im Mond

Автор: Stefan Boucher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754174128

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      »Danke«, knarrte die Alte. »Und übrijens, wundervolle rote Haare ham se. Hatt ick früher auch.« Mit diesen Worten zog sie ihr Kopftuch ein wenig zur Seite und enthüllte den Blick auf schlohweiße Strähnen. Mara strahlte. Die war ja doch nett. Aber keinesfalls wollte sie das Gespräch künstlich in die Länge ziehen und so trippelte die Kundin gut bedient davon. Einige Momente sah sie der Frau hinterher, dann zog sie ihren Kragen zurecht. Der Stoff der Uniformjacke war grob, zu kratzig für ihre zarte Haut.

      Prüfend warf sie einen Blick in die runde Bahnhofshalle der Station Zehlendorf-West. Das Portal zu ihrer Linken wies auf den Vorplatz hinaus, gegenüber, rechts von ihr, erreichte man durch einen kleinen Tunnel Stufen, die zu den Bahnsteigen führten.

      Zwei Frauen mit Kinderwagen unterhielten sich in Hörweite, eine Gruppe von Soldaten saß auf ihren Tornistern und verhielt sich wie zu groß geratene Schuljungen. Sie machten leise Witze und ihr Mienenspiel verriet, dass es wohl keine jugendfreien Scherze waren. Einer von ihnen sah immer wieder herüber. Von ihrem Fahrkartenschalter aus konnte sie gut die gesamte Halle des Bahnhofs überblicken. Er wurde von einer großen Kuppel überdacht, erst 1904 im Jugendstil errichtet. Ein Teil bestand aus gemustertem Glas. Durch dieses fiel stets ein ganz besonderes Licht.

      Ein junger Soldat schien sich an dem Gespräch nicht zu beteiligen. Irgendetwas reichten die anderen herum. Vielleicht unzüchtige Fotografien?

      Gegenüber, einige Meter entfernt, befanden sich die Diensträume des Bahnhofs. Durch den Türspalt drang leise Musik. Von Bahnhofsvorsteher Herbert Bommel drohte im Augenblick daher keine Gefahr.

      Ihre Finger waren klamm, als sie das Heft wieder zu sich zog. Der gusseiserne Kohleofen in der Ecke verbreitete Wärme, aber das reichte kaum. Kohle gab es nicht mehr oft. Also brachte jeder zum Dienst mit, was er an Holz auf dem Weg fand: Trümmerholz, Bauholzreste, Splitter von Bäumen, die bei einem Angriff zerrissen worden waren. Sie las weiter.

      Als ich dann einigen Aufnahmen zusah, in der riesigen Mondlandschaft, die man aufgebaut hatte im Atelier, im Raumschiff selbst und auf dem Abfahrtsgelände, wurde meine Stimmung schon ganz anders, mochten nun noch Fehler stehen im Buch, hier gab es keine mehr. Mara hob die Augen ein wenig und pustete gegen die garstige Locke: Pssch. Dann konzentrierte sie sich wieder auf den Text.

      Es war schon spät, als ich mit dem Lesen anfing und ich hatte eigentlich die Absicht, recht bald schlafen zu gehen. Aber ich las die Nacht durch, - und als am nächsten Tage die letzte Seite erreicht war, fing ich von vorn an. Seitdem habe ich ihn viermal gelesen und habe viermal Abbitte geleistet für meine ….

      »… schlechten Erwartungen zu Anfang, Fräulein Prager«.

      Sie hielt inne. Irritiert, als erwache sie aus einem Nickerchen. Vor ihrem Fahrkartenschalter hatte sich Vorsteher Bommel aufgebaut. Wichtig, wie so oft. Aufgeplustert neben einer freundlichen schmächtigen Frau. Seine Glatze strahlte und sein perfekt rasiertes Gesicht war leicht gerötet durch die Kälte, die von außen in die Halle zog. Erschrocken schob sie die Hände unter ihr schmales Pult und verbarg hastig das alte Sonderheft des Film-Kurier zum Start des letzten großen Stummfilmes Frau im Mond Ende 1929. Es gelang nicht ganz. Sie hatte ihn nicht bemerkt. Augenblicklich schrumpfte sie buchstäblich hinter der Durchreiche.

      »Wie oft habe ich Ihnen gesagt, dass Sie sich um die Fahrgäste kümmern sollen. Stattdessen lesen Sie, lesen …«, feine Speicheltropfen trafen auf das hochgezogene Fensterchen. »Sowas da!«, er zeigte auf das Magazin und seine Finger reichten durch die Öffnung auf ihre Seite der Glasscheibe. »Was ist das überhaupt?«

      Mara errötete, fast so rot wie ihre leuchtende Haarpracht.

      »Ein Filmmagazin, ich habe es geliehen bekommen und …«

      »Ist mir egal wo Sie es herhaben. Die Frau hier steht seit Minuten vor Ihrem Schalter und wird nicht bedient.«

      Hätte sie was gesagt, dachte Mara, doch sie hütete sich, das zu erwähnen.

      »Selbstverständlich, Herr Vorsteher Bommel, es tut mir leid, ich habe die Dame nicht bemerkt.«

      »Ich habe Sie Ihrem Vater zuliebe eingestellt. Bruno und ich ... Menschenskinder. Sie sind bald sechzehn. Beinahe erwachsen.« Er sagte nichts weiter, vielleicht weil nach wie vor die Frau neben ihm stand. Natürlich kannte sie die vielen Kriegsgeschichten, als Bommel und ihr Paps den Argonnerwald fast alleine gegen die Franzmänner verteidigt hatten. »Aber ich hatte schlechte Erwartungen zu Beginn, schlechte Erwartungen!« Dann wandte er sich an die Kundin. »Es geht sofort weiter!« Mit diesen Worten verschwand er wieder humpelnd in seinem Büro, die Tür fiel laut klappernd in den Rahmen und die Musik begann von vorne.

      »Nicht ärgern lassen«, flüsterte die Frau. »Ich hab‘s nicht eilig. Ich hätte gewartet, bis Sie mich bemerken.«

      Mara lächelte dankbar, hörte das Fahrziel und riss eine entsprechende Fahrkarte ab. Mit leisem Dank nahm sie das Geld. »Sie müssen Linie 3 …«, begann sie, aber die Kundin winkte ab. Sie wusste Bescheid und ging.

      Dann las sie weiter:

      Denn »Frau im Mond« ist sicher der beste Raumfahrtroman, der bisher geschrieben worden ist. Und zu dem wahrscheinlich doch eine Frau die Feder ergreifen musste, damit er geschrieben wurde.

      Das Mädchen lehnte sich zurück und blickte in die Ferne. Die Soldaten hatten sich erhoben, lautes Surren und Rattern drang vom Bahnsteig heran, Quietschen erfüllte die Halle. Die elektrische S-Bahn war da. Bommels Tür gegenüber flog auf und der Vorsteher hastete an ihnen vorbei, fast zusammenstoßend mit dem jungen blonden Kerl in Uniform, der sie nach wie vor ansah und sich anscheinend gar nicht losreißen mochte von ihr.

      Mara beachtete ihn nicht, sondern streckte sich nur, als könne sie durch die Halle einen Blick auf die über ihr eingefahrene Bahn erhaschen. Sie liebte Züge, denn die durften die ganze Welt sehen. Natürlich würde diese S-Bahn niemals aus dem Großraum Berlin herauskommen, aber trotzdem! Sie selber sah tagein tagaus nur ihren Holzstuhl und die kleine Fahrkartenbude. Oder die Wohnung in der Fasanenstraße, die sie sich mit ihrem Vater teilte. Mit schnellen Schritten liefen die Soldaten zum Zug. Zuletzt der junge Blonde, der sich einen herrlich unpassenden Schal um den Hals warf und dabei gegen den Rahmen des Ausganges stieß, weil er nach wie vor den Blick nicht von ihr wenden wollte. Er kicherte und sie lächelte ihm hinterher.

      Sicher Mutters Weihnachtsgeschenk, dachte sie belustigt und augenblicklich wurde sie traurig. Die Schokolade fiel ihr ein, die sie selbst neulich unter dem Weihnachtsbaum vorgefunden hatte. Die Schachtel war zwar hübsch gewesen, ansehnliche Friedensware, aber die Tafeln des Winters 1943 waren nicht mehr in Wachspapier eingewickelt oder durch Seidenpapier getrennt. Die Plättchen wirkten beinahe durchsichtig, lagen lose in der Packung aus grobem Karton und sie waren auch nicht braun wie früher, sondern mausgrau. Der Geschmack war spröde, sogar etwas sandig. Sie hatte sie dennoch tapfer gegessen, weil sie wusste, dass ihr Vater einen großen Umweg genommen haben musste, um an Schokolade zu kommen. Doch Mara wettete jeden Betrag, dass darin weder Milch noch überhaupt Kakaobohnen enthalten waren.

      Als die Halle sich endlich geleert hatte, ließ sie sich zurück auf ihren Stuhl sinken. Die große Uhr im Wartesaal zeigte fünf vor zwei. Gleich würde Hulda kommen und sie ablösen. Dann wäre sie frei, gerade rechtzeitig, bevor es am Nachmittag wieder so richtig voll werden dürfte. Und in der Tat: Schuhsohlen klapperten auf den schwarz-weiß gemusterten Fliesen der Halle, die an vielen Stellen gesprungen und angebröselt waren. Wenn sie sich nicht täuschte, dann …

      Und sie irrte sich keineswegs, Vorsteher Bommels Tür flog auf und mit perfekt sitzender Dienstuniform hüpfte der kahlköpfige Mann nahezu aus seinem СКАЧАТЬ