Kleine Frau im Mond. Stefan Boucher
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Название: Kleine Frau im Mond

Автор: Stefan Boucher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754174128

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      Die Tür flog auf und mit einem launigen »Heil Hitler« erschien die Schnatterer. Sie brachte eine neue Anweisung für die Weitergabe von Listen an das IKRK und überreichte sie den drei Schreiberinnen. Mara war mit solchen Direkteingaben an das Internationale Rote Kreuz nicht befasst. Daher wurde sie gar nicht beachtet. Zaghaft meldete sie sich zu Wort.

      »Entschuldigen Sie, Frau Schneiderer. Ist Obergefreiter Halber heute da? Ich habe ihn länger nicht gesehen.«

      Die Schnatterer sah sie ernst an. »Dienstliche Angelegenheiten können Sie mit den Kolleginnen oder mir erörtern, Fräulein Prager.« Dann setzte sie milder hinzu: »Der Obergefreite Halber holt Listen aus dem Stammlager IIID. Er wird für den frühen Nachmittag vom Stalag zurückerwartet.«

      Mara bedankte sich höflich und tat so, als spanne sie Vordrucke ein, um neue Kondolenzschreiben zu verfassen. Insgeheim dankte sie ihm aber für die Schokolade. Das hätte sie niemals erwartet. Sie mochte die Sorte gar nicht besonders, diese würde sie sich trotzdem für einen speziellen Moment aufheben.

      Manfred machte sich rar. Seit Anfang der Woche begann er morgens früher und arbeitete länger. Gestern hatte er ihr erzählt, dass immer öfter Angehörige der Kernwehrverwaltung an die Front versetzt würden und ihre Aufgaben an angelernte oder weibliche Freiwillige gingen. Er wollte sich so unentbehrlich machen wie möglich, damit man gar nicht auf die Idee käme, ihn einzuziehen. Diese Nachricht hatte auch sie schwer beschäftigt und sie versuchte trotzdem, ihn zu beruhigen. Er sei wichtig und erledige so viel, dass sie das nicht glauben wolle. Aber er hatte nur genickt und nichts gesagt und schnell seine Pause beendet. Er war so schüchtern und wirkte etwas unbeholfen hinter seinen dicken Brillengläsern und sein braver Mittelscheitel machte ihn erst recht nicht zum Draufgänger. Oft sah er sie nicht einmal direkt an.

      »Wieso müssen wir eigentlich selbst Listen aus einem Stammlager holen?«, fragte sie laut in den Raum. Da sonst niemand antwortete, erbarmte sich die Brünette, Frau Stucht.

      »Weil Postsäcke brennen, Kindchen!«

      Lange Augenblicke sahen Mara und die Frau sich an, während das Mädchen sich versuchte vorzustellen, was die andere genau meinte.

      Dann seufzte die Kollegin, als erwarte sie Mitleid. »Wenn Thüringen den Verlust von Abschriften bemerkt, fragen sie bei uns nach. Anscheinend ist eine Lieferung nach Saalfeld und Meiningen während der Angriffe am 9. März verloren gegangen. Also besorgen wir die aufs Neue.«

      »Aha. Danke.« Mara war zufrieden. Sie wünschte sich, dass die anderen sie langsam mal als Kollegin und nicht wie einen Fremdkörper behandelten. In die Pausen verschwanden die drei nach wie vor gemeinsam und nicht ein einziges Mal hatte man sie gefragt, ob sie vielleicht mitgehen wolle.

      Den Rest des Vormittags tippte Mara ihre Listen und bemerkte erst nicht die einsetzende Stille, nachdem die anderen längst in die Mittagspausen verschwunden waren. Sie war in Gedanken woanders, verdrängte die Lebensschicksale, die sie mit dem Übertrag von den Namen für die Angehörigen offiziell beendete und stellte sich eine Welt der Wissenschaft und der Entdeckungen vor. Und sie entschied, heute wieder einmal zum Bahnhof Zoo zu gehen und zu schauen, was es beim alten Darburg Neues gab. Oder wollte sie mal dem Tipp von Manfred folgen und den Kellerladen am Schlesischen Bahnhof suchen?

      »Mahlzeit«, erklang es fröhlich von der Tür.

      »Manfred! Du bist zurück.«

      Er blickte sich schnell um und schlüpfte in das Büro.

      »Hast du die Schokolade gefunden?«

      Ihre Stimme fühlte sich plötzlich belegt an und sie krächzte, daher nickte sie im Anschluss an ihre Antwort umso deutlicher. »Das war so nett von dir. Ich liebe Schokolade.« Das war ja nicht wahr, aber sie liebte seine Geste und nur das zählte.

      Er hob einen prallen Aktenordner. »Das habe ich holen müssen. Listen der Kriegsgefangenen. Ich erzähle es dir später.«

      Neugierig stand sie auf und ging zu ihm. »Lass mal sehen.« Sie spürte seine Körperwärme, als er neben ihr den Ordner aufschlug und sie zaghaft die eingehefteten Blätter hier und dort anhob. Es waren Listen wie die, die sie täglich bearbeitete.

      »Die leben alle noch?«

      Er lachte. »Natürlich. Es sind Kriegsgefangene. Wir geben dem Roten Kreuz regelmäßig Auskunft und die leiten das weiter.«

      »Und die erste Lieferung ist verbrannt?«

      Manfred sah sie fragend an.

      »Frau Stucht erwähnte sowas.«

      Er grinste. »Klar, kann sein. Aber ich glaube eher, dass die fehlgegangen sind. Kriegsgefangenenangelegenheiten gehen nicht nach Meiningen oder Saalfeld, sondern laufen über Torgau. Vielleicht hat da jemand nicht aufgepasst und die aus Genf haben nachgefragt. Wenn das Ausland sich muckt, spuren hier immer alle. Im schlimmsten Fall bekommt Genf eine doppelte Lieferung.«

      Mara nickte schweigend und blätterte durch die Akte. Sie bemerkte die fremdländischen Namen. ›Morrow‹, ›Beauvoir‹, ›Sandlock‹. Bei den deutschen Gefallenen stellte sie sich manchmal etwas vor über die Personen. Das war ganz leicht, wenn sie wenigstens die Heimatorte erkannte. Aber hier?

      »Das sind Kanadier«, sagte Manfred.

      »Oh, aber der da klingt französisch.«

      Manfred erklärte ihr, dass in Kanada die Vorfahren vieler Menschen aus England und aus Frankreich stammten und man dort heute noch beide Sprachen verwende. Das erstaunte sie.

      »Und Deutsch? Wo spricht man Deutsch?«

      Er lächelte müde. »Nur hier. Bis zum Weltkrieg sprach man in Amerika sehr viel Deutsch. Gerade in Neu York gab es sehr viele Deutschstämmige, die das im Alltag gesprochen hatten. Aber im Weltkrieg wurde es schwieriger für sie und sie stellten sich um.«

      »Das ist traurig«, murmelte sie und Manfred nickte.

      Sie entdeckte etwas anderes. »Da, das ist doch ein Deutscher!« Sie las: »Sam Goldstone. Nein, doch nicht. Ich dachte Goldstein. Aber das klingt hübsch.«

      Er zuckte die Schultern. »Vielleicht ein Jude.«

      »Ein Jude?«, entfuhr es ihr ohne gespielte Überraschung. »Wie kommt der denn dahin?«

      Unbewusst schüttelte er den Kopf. »Mara, Juden leben überall und manche werden Soldaten und kämpfen.«

      Sie nickte. Natürlich, der Gedanke war einleuchtend. ›Sam Goldstone‹, irgendwie kam ihr der Name bekannt vor.

      »Goldstein, Rothstein, Silberstein, Goldziher… alles jüdische Namen. Liest man doch überall. Geh mal ins Nikolaiviertel und sieh dir die Ladenschilder an. Wenn da noch welche sind.«

      »Aber sie klingen Deutsch«, beharrte sie.

      Er verdrehte die Augen, aber besann sich sofort wieder. Sie war ja fast noch ein Kind. »Das sind sie doch auch. Deutsche.« Er ließ die Liste sinken. Kein gutes Thema für eine Plauderei im Dienst.

      »Lass nochmal sehen«, sie griff nach den Unterlagen und suchte einen Namen, den sie leise vorlas: »Sam Goldstone«. Das wunderte ihn wohl. Ausgerechnet dieser Name auf einer vertraulichen Liste erregte ihr Interesse. Und dann СКАЧАТЬ