Beziehungen. Galina Hendus
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Название: Beziehungen

Автор: Galina Hendus

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742703521

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СКАЧАТЬ … Aufmerksamkeit ist das höchste Gebot … das höchste Gebot …“

      Die Angst, dass ich zu spät kommen würde, packte mich an der Kehle. Plötzlich fühlte ich mich, als gehe mein ganzes vergangenes Leben abrupt zu Ende, ohne angefangen zu haben, als hätte ich etwas Wichtiges, das Wichtigste, verpasst, etwas, was auf keinen Fall verpasst werden durfte. Am Gleis angekommen, sah ich meinen Zug soeben losfahren und langsam – wie gegen seinen Willen – die Geschwindigkeit erhöhen. Die hell beleuchteten Fenster glitten an mir vorbei, hinter denen ich Gesichter fröhlicher Menschen sah, Menschen, die rechtzeitig den richtigen Weg und das richtige Gleis gefunden hatten und nun in ihrem Waggon auf dem richtigen, nur für sie bestimmten Platz saßen. Sie wussten alle, wohin und wozu sie fuhren, wann und wo sie ankommen würden. In ihren Koffern lagen, akkurat gestapelt, Sachen, die sie sorgfältig vor der Fahrt ausgewählt hatten. Sie freuten sich darüber, ihre Reise so gut vorbereitet, auf die kleinsten Details geachtet zu haben, die eben dazu führten, dass sie ihren Platz im Zug hatten einnehmen können. Diejenigen aber, die draußen standen, konnten dieses Fest des richtig gewählten Weges nur beobachten und mussten dabei begreifen, dass sie diesen Zug für immer verpasst hatten, dass er weder aufgehalten noch angehalten werden konnte.

      Die Fahrkarte, die in meiner Innentasche lag, verursachte plötzlich ein kratzendes, brennendes Gefühl. „Was ist da los?“, dachte ich müde und versuchte, das störende Etwas aus der Tasche zu holen. Als ich meine Faust öffnete, sah ich in meiner Hand eine kleine niedliche Meise sitzen. Sie sah mich an, ohne zu blinzeln und ohne jegliche Angst. „Flieg!“, rief ich und warf den Vogel hoch. In diesem Augenblick zog sich mein Herz zusammen, es sprang hoch und stürzte nach unten, einen Schmerz auslösend, als werfe ich mit diesem lebendigen Klümpchen einen Teil meines besseren, noch nicht gelebten Lebens von mir. Als der kleine Vogel aus meinem Blickfeld verschwunden war, drehte ich mich um und erblickte in der Ferne einen leuchtenden Punkt, der den letzten Waggon des rasch schwindenden Zuges markierte.

      Mein Zug ist ohne mich abgefahren, und mein Glück habe ich selbst aus der Hand gegeben, ohne mir überhaupt die Mühe gemacht zu haben, darüber nachzudenken.

      Es ist wirklich nicht einfach, bei allem, was einen umgibt, aufmerksam zu bleiben. Das Leben ist keine Kleinigkeit – auch wenn es offensichtlich aus lauter Kleinigkeiten besteht.

      Verwandlung der Seele

      Der Schnellzug Moskau – Sankt Petersburg beschleunigte sein Tempo lautlos und entfernte sich mit zunehmender Geschwindigkeit vom winterlich-verschneiten Moskau. Ich war auf dem Weg zu meiner langjährigen Freundin Tamara, die mich gemeinsam mit ihrem Mann Pawel zum Ballett „Spartakus“ eingeladen hatte. Nach dem Abitur hatte Tamara Psychologie studiert, drei Jahre später Pawel geheiratet und war dann bei ihm in Sankt Petersburg geblieben. Die Hauptrolle in „Spartakus“ war mit Andris Liepa besetzt, meinem Lieblingstänzer. Ich hoffte, dass es in Petersburg an diesem Wochenende nicht so kalt wäre wie in Moskau, weil ich mit Tamara noch durch die Stadt bummeln wollte. In Gedanken genoss ich bereits diese zwei besonderen Tage des Wochenendes, die ich mir bei meinem ausgefüllten Arbeits- und Familienalltag nur mit großer Mühe leisten konnte. Damit es meinem Mann zu Hause nicht langweilig würde, hatten wir vereinbart, dass er während meiner Abwesenheit seine Verwandten in Moskau besuchte. So fuhr ich leichten Herzens zum Wiedersehen nach Sankt Petersburg.

      Mein Schlafabteil war für zwei Personen ausgelegt, aber obwohl wir seit einigen Minuten unterwegs waren und der Zug immer weiter an Fahrt aufnahm, blieb mein Nachbarplatz leer. In der Hoffnung, dass ich die Fahrt alleine genießen dürfte, machte ich es mir gemütlich. Das Schicksal aber wollte es anders und meinte wohl, dass zu gut nicht immer gut sei – alles nur in Maßen.

      Plötzlich fuhr die Schiebetür laut zur Seite und vor mir erschien ein gut gebauter Herr mit einem kleinen flachen Koffer in der Hand. Genauer gesagt handelte es sich um einen Herrn, der nach einem Ausländer aussah. Meine Vermutung bestätigte sich, als er nach Platz fünf fragte und mir seine Fahrkarte zeigte.

      „Ja, Platz fünf ist hier. Generell werden Fahrkarten in Schlafwagen aber nur an Personen desselben Geschlechts verkauft“, konnte ich auf meinen Sarkasmus nicht verzichten und hoffte, dass der Mann genauso plötzlich verschwinden würde, wie er erschienen war.

      „Ja, ja, Recht haben Sie völlig“, sagte er eilig. „Dieses Ticket gehört Kollegin Birgit, aber sie ist krank plötzlich, deshalb muss ich fahren zu einem Treffen für sie. Entschuldigung bitte.“ Obwohl er alle Worte deutlich aussprach, klangen der starke Akzent und die außergewöhnliche Wortfolge seiner Rede so ausgefallen und lustig, dass ich nur mühsam mein Lachen unterdrücken konnte.

      „Verstehe.“ Ich zuckte mit den Schultern und schaute mit großem Bedauern auf den obersten Liegeplatz, auf den ich mich in der Nacht wohl zum Schlafen würde begeben müssen.

      Der Mann fing meinen Blick auf und beeilte sich, mich sofort zu beruhigen:

      „Wenn Sie gerne möchten, erlaube ich Ihnen, unter mir zu schlafen. Ich bin ein Mann, ich muss oben liegen.“

      „In Ordnung, genauso machen wir es.“ Ich bedankte mich bei meinem Mitreisenden und lächelte über die Doppeldeutigkeit seiner Worte.

      Nach ungefähr zwanzig Minuten, als das Gepäck untergebracht und die Fahrkarten geprüft waren, reichte mir mein Nachbar seine Hand und stellte sich, sichtbar bemüht um ein adäquates Russisch, vor:

      „Ich bin Michael Stein.“

      „Elena Malachova, sagen Sie einfach Lena“, erwiderte ich und gab ihm die Hand. „Sehr angenehm.“

      „Lena, darf ich Sie ins Restaurant einladen? Ich habe Hunger. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen.“

      Ich fand meinen Mitreisenden interessant, deshalb sagte ich ihm sofort zu.

      „Was sind Sie von Beruf?“, fragte Michael, während er für mich Salat und sich ein Steak bestellte.

      „Ich bin Übersetzerin und arbeite in einem technischen Verlag. Mein Beruf ist eher langweilig als romantisch.“

      „Und welche Sprachen übersetzen Sie?“, fragte mein Nachbar interessiert.

      „Vom Englischen ins Russische. Französisch habe ich fast vergessen, weil ich es kaum benutze.“

      „Wollen wir uns auf Englisch unterhalten? Das kann ich besser als Russisch“, wechselte er sofort zu der mir bekannten Sprache und ergänzte: „Ich habe gemerkt, wie Sie auf mein Russisch reagieren – es zerreißt Ihnen das Ohr.“

      Er ist sehr aufmerksam und gar nicht so einfach, wie es scheint, dachte ich.

      „Wären Sie beleidigt, wenn ich Ihnen vorschlage, mit mir Bruderschaft zu trinken und uns aufs Duzen zu einigen?“

      „Einverstanden!“ Ich erhob mein Glas. „Aber küssen werden wir uns nicht.“

      „Wenn du mir jetzt noch sagst, wie alt du bist, erzähle ich dir gern, warum ich einer Frau eine solch indiskrete Frage überhaupt stelle. Zuerst aber sage ich, dass ich in einem Monat siebenundfünfzig werde.“

      „Ich bin neunundvierzig. Und warum nun fragst du?“

      „Weißt du, ich suche eine russische Frau, die mich heiraten möchte.“

      „Ich bin verheiratet“, reagierte ich blitzschnell.

      „Ach, СКАЧАТЬ