Название: Kyla – Kriegerin der grünen Wasser
Автор: Regina Raaf
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Kyla – Kriegerin der grünen Wasser
isbn: 9783738087871
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Zur rechten Seite standen vereinzelt Bäume, sie alle trugen Früchte. Kyla lief bei dem Anblick das Wasser im Munde zusammen. Hinter den Obstbäumen wurde das Land vom breiten Fluss umsäumt, der eine natürliche Barriere darstellte. Zur Linken des Hauses erstreckte sich eine Felswand, die glatt und steil emporragte und eine Flucht praktisch unmöglich machte. Doch in dieser unüberwindbaren Gesteinswand befand sich die Höhle, die Kyla unbedingt näher erforschen wollte. Was, wenn sie so weit reichte, dass sie hinter den Bergen ins Freie führte? Sicher, wenn sie sich komplett durch diesen massiven Berg erstreckte, musste sie wirklich lang und vermutlich auch sehr gefährlich sein, aber es war immerhin eine Möglichkeit, Olha und Zygal zu entfliehen. Kylas Blick ging zur Brücke. Sie sah so einladend aus – nur ein paar Schritte, um das Stück Land ihrer Besitzer zu verlassen. Doch dass dies unmöglich war, hatte Kyla inzwischen begriffen. Vielleicht würde sie jedoch herausfinden, wie der Mechanismus funktionierte, der das Fallgitter auslöste. Möglicherweise würde sie ihn ja irgendwie blockieren können. Im Laufe ihres Lebens hatte sie gelernt, dass es oft Auswege aus scheinbar aussichtslosen Situationen gab, und das machte Kyla so viel Mut, dass sie lächelte.
»Es ist ein schöner Tag, nicht wahr? Du wirst sehen, die Arbeit macht Spaß, denn sie sichert unsere Zukunft. Und das ist nun auch deine Zukunft, Kyla. Bei Zygal und mir wird es dir gut gehen.«
Erneut verspürte Kyla einen Stich, dass sie Olha so enttäuschen würde, aber das hatte diese sich nun mal selbst zuzuschreiben. Wenn sie ein Kind wollte, dann sollte sie sich eins machen lassen – wie es ging, hatten Zygal und sie ja offenbar begriffen, wie sie in der Nacht zuvor festgestellt hatte. Kyla war das Kind von niemandem. Sie gehörte zu keinem und würde sich alleine durchschlagen, weil sie es immer so getan hatte. Ja, ihr Entschluss stand fest. Nun musste sie nur noch auf den richtigen Moment warten.
Während sie das alte Stroh aus dem Hühnerstall kehrten, liefen die Hühner aufgeregt zwischen ihren Füßen umher. »Nun geht doch endlich raus, ihr neugierigen Viecher! Ihr seid viel zu furchtlos, als gäbe es nicht genügend Gefahren. Was seid ihr nur für ein dummes Federvieh?«
Kyla musste lachen, weil eines der Hühner Olha nun aufmerksam ansah und dann ein Gegacker von sich gab, als wolle es die Beleidigung zurückgeben. Die Luft stank, aber Kyla machte es Spaß, so wild zu kehren, dass der Hühnerdreck nur so umher spritzte. Olha hatte sich ein Tuch vor Mund und Nase gebunden und ihr ebenfalls eines verpasst. Nun kehrten sie beide so kräftig, dass die Hühner doch das Weite suchten. »Ja, kommt später wieder, wenn euer Reich fertig ist!«, rief Olha ihnen hinterher.
Als sie mit dem Ausmisten fertig waren, häuften sie frisches Stroh in den Stall, dann sagte Olha: »Lass uns eine kleine Pause machen, bevor wir das Gehege für die Ziegen errichten.« Sie gingen ins Haus und Olha gab Kyla einen Becher mit einer Flüssigkeit, die sie selbst zubereitet hatte. Sie schmeckte fruchtig und war herrlich kühl. Kyla trank den Becher innerhalb kürzester Zeit leer, Olha schenkte ihr nach. »Sonst habe ich nur Wasser aus einer Quelle getrunken, aber das hier schmeckt viel besser!«
»Das Lob höre ich gerne«, freute sich Olha. Nach kurzer Zeit gingen sie wieder hinaus und Olha deutete auf einige angespitzte Holzpflöcke. »Zygal hat die schon vor Tagen vorbereitet. Auch die Latten liegen schon bereit. Unsere Aufgabe ist es, sie so anzubringen, dass die Tiere sie als Barriere sehen, und dass der Zaun hoch genug ist, damit sie nicht darüber hinwegspringen. Meinst du, wir beide bekommen das hin?« Kyla nickte aufgeregt. Ihr Blick ging zu den Holzteilen, dann schweifte er in eine Ecke, in der ein seltsames Gerät stand. Ein Holzstiel steckte in einem großen, aus Metall gefertigten Keil, der zu beiden Seiten abgeflacht und geschärft war. Kyla wusste, dass das Gerät zum Spalten von Holz benutzt wurde. Sie merkte sich, wo es stand, denn vielleicht würde sie es später noch benötigen. Olha ging plötzlich in diese Richtung, und Kyla glaubte einen Moment lang, sie habe bemerkt, dass sie das Werkzeug ins Auge gefasst hatte. Doch Olha griff es nur, um es zur Seite zu stellen – zum Vorschein kam ein weiteres Werkzeug. Es war ein grober Klotz aus Metall, der fest mit einem Holzstiel verbunden war.
»Das ist einer von Zygals besten Hämmern. Er ist stabil und wird uns eine große Hilfe sein. Leider ist er auch sehr schwer, aber das soll uns nicht schrecken, nicht wahr?« Ehe Kyla antworten konnte, griff sich Olha bereits den Hammer und deutete auf die Holzpflöcke.
»Nimm dir einen oder zwei davon und dann folge mir. Die restlichen holen wir nach und nach. Das Gehege der Ziegen soll so nah wie möglich ans Wohnhaus, damit wir die Tiere im Blick haben.«
Die Sonne wanderte unaufhaltsam weiter, während Olha und Kyla den Zaun errichteten. Sie benutzten den schweren Hammer, um die angespitzten Enden der Pflöcke tief in die Erde zu rammen. Es war anstrengend, aber Kyla gefiel es, zu sehen, wie viel sie bereits geschafft hatten. Sie hielt die Holzpflöcke, während Olha sie in die Erde schlug. Die Ziegen meckerten ab und zu und drängten sich gegenseitig zur Seite, als wäre der Platz der jeweils anderen der bessere.
»Es ist gut, wenn wir bald fertig sind, damit die Tiere sich frei bewegen können.«
Kyla kam der Gedanke, dass Olha den Ziegen damit mehr zugestand, als ihr. Doch obwohl Kyla wusste, dass sie eine Gefangene war, fühlte es sich im Moment gar nicht so an. Die Arbeit bereitete ihr wirklich Freude, und es war ein gutes Gefühl, den Ziegen eine sichere Heimat zu schaffen – auch wenn es im Grunde ebenfalls eine Gefangenschaft war. Olha wischte sich den Schweiß von der Stirn und band ihre dunklen Haare neu zusammen. Zum ersten Mal betrachtete Kyla sie näher. Olha hatte gleichmäßige Gesichtszüge, einige Falten auf ihrer Stirn und neben ihren Augen zeugten von ihrem Alter. Sie hatte eine normale Gestalt – nicht zu dünn und nicht zu dick. Nun wirkte sie so erschöpft, dass Kyla anbot: »Lass mich den nächsten Pfahl einschlagen, dann kannst du dich etwas ausruhen.«
Olha lächelte. »Es ist besser, wenn du es in ein paar Tagen versuchst. Dann, wenn du regelmäßig Nahrung zu dir genommen hast und zu Kräften gekommen bist.«
Kyla erwiderte nichts, sondern nickte nur stumm. In ein paar Tagen wäre sie vielleicht wirklich kräftig genug – aber solange würde sie nicht mehr hierbleiben. Olha hob erneut den schweren Hammer und schlug auf einen Pfosten, um ihn in die Erde zu treiben. Als sie damit fertig war, keuchte sie: »Kyla, geh uns Wasser aus der Höhle holen. In der Küche findest du Gefäße, in die du es füllen kannst. Ich werde inzwischen die restlichen Pflöcke einschlagen. Die Querbalken anzubringen, wird hoffentlich etwas leichter werden. Auf jeden Fall kannst du mir dann besser helfen. Beeile dich mit dem Wasser, damit wir schnell weitermachen können.«
Kyla tat, was ihr befohlen worden war. Sie ging zum Haus zurück und nahm zwei Krüge, die aus Ton gefertigt waren. Dann verharrte sie einen Moment und dachte nach. Olha selbst schickte sie in die Höhle – und damit aus ihrem Blickfeld. Es war die Gelegenheit, auf die Kyla gewartet hatte, um zu entkommen. Aber sie würde dafür sorgen müssen, dass Olha ihr nicht sofort nachsetzen konnte, wenn sie bemerkte, dass sie nicht zurückkam. Also verließ sie das Haus und löste rasch die Leinen der Ziegen vom Pflock, an dem diese angebunden waren. Die Tiere bemerkten es erst gar nicht, und Kyla hoffte, sie würden nur langsam davon trotten, damit sie genügend Zeit gewann.
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