Название: Zapfenstreich für Österreich
Автор: Ralos Znarf
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750238565
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Sie griff zum Funkgerät.
Plötzlich hörte Karl laute Schreie hinter sich. In seinem Rücken befand sich das Glasfenster der gegenüberliegenden Schiebetür. Dahinter verlief das Gleis für die entgegenkommenden Züge und entlang dessen, der dazugehörende Bahnsteig. Er erkannte die beiden Kontrolleure, begleitet von zwei männlichen Gestalten des gleichen Typus.
A: (in ein Funkgerät schreiend) „..und wertets scho die Bülder von de Videokameras aus – damit ma wiss'n, in wölche Richtung dassa is!“
B: (auch ins Funkgerät schreiend) „In drei Minuten samma do!!“
A: „Heast, plärr ma ned ins Ohr!!“
B: „I man’s jo nur guat!!!“
Intuitiv duckte sich Karl unter den Rand der Scheibe. Die Polizistinnen, Mutter und Kind, sowie der Beamte der Verkehrsbetriebe standen nun unmittelbar an der Tür.
Polizistin 2: (ins Funkgerät sprechend) „Achtung, Achtung, an alle Einheiten! Sittlicher Übergriff gegen eine Minderjährige. Gesucht wird ein Mann Anfang 30, mittelgroß, schlank, brauner Pullover über die Schultern, helles Hemd, Bluejeans..“
In diesem Moment drehte sich der dicke Fahrgast um und starrte verdutzt und aggressiv auf den hier gebückt hockenden Karl.
Dicker Fahrgast: „Heans, wos hockerln Sie do hinta mia?! San’s schwul?!?! I ruaf glei die Polizei!!“
Seine Aussprache war sehr feucht.
Polizistin 1: „Gibt’s Probleme?“
Sie wendete ihren Habicht-Blick ins Innere des Waggons.
Und wieder hatte Karl Glück im Unglück: die Tür schloss sich mit lautem Geräusch, noch ehe der dicke Fahrgast auf die herrische Frage der Polizistin eingehen konnte.
Karl richtete sich langsam auf.
Karl: „Sorry, aber mir is net ganz gut vom Magen..“
Dicker Fahrgast: „Sie werd'n si oba hoffentlich ned glei anspeib'n?“
Karl: „Nein, nein. Keine Gefahr!“
Obwohl Karl das Misstrauen des dicken Fahrgastes spüren konnte, behielt er seinen Platz bei. Man konnte ja nicht wissen, welche Gefahren in den kommenden Stationen lauern... Es schien ihm also ratsam, das massive Volumen des Mannes weiterhin als Deckung zu nutzen.
Dicker Fahrgast: „Hoben‘S des mit'kriagt? Do hot aner a klanes Madl belästigt. Zirka 30, schlank, brauner Pullover um de Schuitern. So eine Sau!“
Karl: „Ja, ja.“
Dicker Fahrgast: „Heitzutog’ is ma nirgendsd mehr sicha. Soiche Leit’ g’hern sofurt zwangskastriert!“
Karl: „Ja, ja.“
Pause.
Dicker Fahrgast: „Und i hob vuahin g'laubt, Sie woill'n mi belästig'n!“
Er lachte laut und schmutzig.
Karl wollte Vertrauen herstellen und lachte künstlich mit. Dann verstummte der dicke Fahrgast, Karl tat es ihm nach.
Ein Zitat tauchte in seinem Gedächtnis auf:
„Das Leben nennt der Derwisch eine Reise....“
Er konnte sich aber nicht mehr erinnern, wie der Satz weiterging…
Vor knapp 10 Jahren hatte Karl sein Germanistikstudium nach zweieinhalb Semestern abgebrochen. Die ernsthafte und analytische Auseinandersetzung mit Literatur war ihm zu akademisch, zu blutleer erschienen. Er vermisste das Rauschhafte und Spielerische; außerdem waren ihm seine Mitstudenten zu verbissen, zu ehrgeizig und zu überheblich.
Unter den Studentinnen gab es eine Kollegin die ihn fesselte. Die schöne Gabi mit den enganliegenden Stretchjeans.
Ihre rötlich blonden Haare fielen wellenartig auf die Schultern....ihr zarter Teint erschien noch alabastern glänzender in Kombination mit dem Duft ihres Parfums der Marke „Anaïs“.....stets hatte sie einen hauchdünnen Lidstrich aufgetragen, der ihren grünlichen Augen eine zauberhafte Künstlichkeit verlieh.....die meist pastellfarbenen Blusen mit kleinem Blumenmuster gaben ihr etwas luftig Leichtes. Ihr Atem roch nach Pepsodent.
Karl hatte sie im Tutorium für Erstsemestrige kennengelernt. Sie war ihm sofort aufgefallen. Er versuchte sich ihr durch kleine Aufmerksamkeiten zu nähern. So stellte er etwa beim Einrichten eines Sesselkreises unaufgefordert einen Stuhl für sie bereit; oder brachte ihr, ebenso unaufgefordert, in den kurzen Pausen Soletti und Coca Cola.
Beim anschließenden gemeinsamen Zusammensitzen der Studenten im Café, versuchte sich Karl (unter Alkoholeinfluss) durch die kühne Theorie hervorzutun, dass man Franz Kafka bis jetzt vollkommen falsch interpretiere. Das ewige Kreisen um ein 'Zentrum', das seine Protagonisten nie erreichen können, sei gar kein Symbol für die Suche nach der 'göttlichen Gnade', wie immer behauptet werde; nein, Kafka wäre in Wirklichkeit impotent gewesen. Mit dem Nichterreichen des 'Schlosses' und dem nicht zu fassen kriegenden Vorgang des 'Prozesses', würde Kafka nur einen verschlüsselten Hinweis darauf geben, wie groß seine Scheu war, das existenzielle Geheimnis zu greifen und sich der Wahrheit zu stellen. Sein Werk sei gegenüber seiner Dauerverlobten Felice Bauer eine gewaltige, geheimnisvolle Rechtfertigung gewesen, warum er sie nicht heiraten könne.
Karls Ausführungen zogen ein Schweigen in der Runde nach sich.
Nur Gabi sagte: „Interessant!“ und Karl glaubte in ihren Augen ein bewunderndes Glitzern zu bemerken.
Das Schweigen der Mitstudenten war eher ein Ausdruck der Betretenheit gewesen, niemand wollte etwas sagen, bevor sich nicht Martin, der Tutor, zu Karls Theorie geäußert hatte. Martin war immerhin schon im vierten Semester und die neuen Studenten akzeptierten seine Autorität.
Martin war ein gutaussehender Schöngeist mit schwarzen Locken und scheinbar weichen braunen Augen. Er hatte das Auftreten eines sensiblen Alpha-Rüden, die Stimme war samtig und leise. Seine Kultiviertheit unterstrich er durch den stilvollen Gebrauch eines Zigarettenspitzes aus Ebenholz.
„Weißt Du, äh....Karl“ hob Martin zu sprechen an, nachdem er eine bedächtige Pause gelassen und drei besonnene Züge geraucht hatte. „Weißt Du, wenn Du die Briefe Kafkas an Felice noch einmal genau durchliest, wirst Du vielleicht doch die Subtilität von Kafkas Werben um sie spüren können. Große Geister streben nicht nach hastiger Vereinigung – Kafka hatte ein ausgeprägtes Sensorium für den transzendentalen Aspekt sexuellen Verlangens. Wenn Du dieses Faktum als verleugnete Impotenz fehlinterpretierst, vermute ich sofort, dass Du möglicherweise Deine eigenen Probleme in Kafka hineinprojizierst.“
Die Mitstudenten nickten beifällig. Gabi wirkte nachdenklich.
Zwei Tage später sollten sich die Teilnehmer des Tutoriums, im Rahmen eines gruppendynamischen Spiels unter Martins Leitung, einen Partner aussuchen.
Karl gelang es, sich mit Gabi zusammenzutun. Das jeweilige Paar musste sich in der Mitte des Sesselkreises aufstellen. Dann sollten die beiden einander sagen, was ihnen am anderen gefalle.
Unter den aufmerksamen СКАЧАТЬ