Название: Handbuch Medizinrecht
Автор: Thomas Vollmöller
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Medizinrecht
isbn: 9783811492691
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a) Verantwortlichkeit der KV
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§ 75 Abs. 1 SGB V überträgt den KV und der KBV die vorrangige Verantwortung auf der Versorgungsseite. Diese haben zum einen die vertragsärztliche Versorgung in dem in § 73 Abs. 2 SGB V beschriebenen Umfang sicherzustellen und zum anderen den Krankenkassen gegenüber die Gewähr zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglich vereinbarten Erfordernissen entspricht.
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Die Übertragung der Sicherstellungsverantwortung auf die KV ist die Konsequenz der Entscheidung des Gesetzgebers, die ambulante vertragsärztliche Versorgung der Selbstverwaltung der freiberuflichen Ärzte zu überlassen, die kraft Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sind und damit Mitglied der jeweiligen KV werden (§ 95 Abs. 1, 3 SGB V).
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§ 75 SGB V erwähnt die Krankenkassen nicht, welche über § 70 i.V.m. § 72 SGB V ebenfalls verpflichtet sind mit den KV zusammen an der Sicherstellung mitzuwirken. Aus der Zusammenschau der Vorschriften ist deshalb abzuleiten, dass einerseits ein allgemeiner Sicherstellungsauftrag besteht, bei dem alle Beteiligten zusammenwirken, und dass andererseits den KV ein darüber hinausgehender besonderer Sicherstellungsauftrag erteilt ist, den sie in eigener Verantwortung wahrnehmen.[89] Die Folge davon ist, dass in diesem Aufgabenbereich keine paritätisch besetzten Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung mit den Krankenkassen tätig werden, sondern die satzungsgemäßen Organe der KV.[90]
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Soweit den KV die alleinige Verantwortlichkeit und die Gewähr für die vertragsärztliche Versorgung obliegt, haben sie nach § 75 Abs. 2 S. 1 SGB V die Rechte ihrer Mitglieder gegenüber den Krankenkassen zu vertreten. Das ist die notwendige Folge der fehlenden Rechtsbeziehung zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen einerseits, und andererseits der gesetzlichen Systematik, eine kongruente Deckung zwischen Leistungsanspruch des Versicherten und Behandlungspflicht des die Leistung erbringenden Arztes über die Rechtsbeziehung zwischen KV und Krankenkassen herzustellen.
b) Umfang und Inhalt des besonderen Sicherstellungsauftrages
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Der Sicherstellungsauftrag der KV umfasst die gesamte vertragsärztliche Versorgung, die von den Versicherten als Sachleistung bezogen werden kann. Dies geht aus der Verweisung des § 75 Abs. 1 S. 1 SGB V auf die Aufzählung in § 73 Abs. 2 SGB V hervor, welche an die Inhalte des Leistungsrechts im Dritten Kapitel SGB V anknüpft.[91] Vorsorgemaßnahmen und Rehabilitationsleistungen können nach § 75 Abs. 3 SGB V über die Gesamtverträge in die vertragsärztliche Versorgung einbezogen werden.[92]
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Obwohl sich die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung von Behandlungsterminen schon aus den berufsrechtlichen Grundpflichten der Ärzte ergibt und eine Selbstverständlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung sein sollte, sah sich der Gesetzgeber bemüßigt mit dem GKV-VStG einen Abs. 1a in § 75 SGB V aufzunehmen, der das klarstellt und die KV verpflichtete, bis zum 23.1.2016 Terminservicestellen einzurichten, die Versicherten binnen einer Woche einen Termin beim Facharzt besorgen müssen. Das bedingte komplizierte Folgeregelungen, wann eine Überweisung notwendig ist und wann nicht. Einige Unklarheiten der Regelungen und zögerliche Umsetzungen auf Seiten der KV veranlassten den von diesem Instrument überzeugten Gesetzgeber, die Terminservicestellen mit dem TSVG weiter auszubauen. Diese müssen seit dem 1.1.2020 7 Tage die Woche rund um die Uhr erreichbar sein. Sie sind auch für die Vermittlung von Terminen bei Hausärzten und Kinder- und Jugendärzten und ferner von Erstgesprächen bei Psychotherapeuten zuständig, und müssen mit den Rettungsleitstellen der Länder kooperieren. Dazu wurde von den KV die bundesweit einheitliche Rufnummer 116117 etabliert, über die auch die ärztlichen Bereitschaftsdienste erreichbar sind, von denen z.B. die Testung und Versorgung der mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 Infizierten veranlasst wird.
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Die Versicherten haben einen Anspruch auf Terminvermittlung. Der Vertragsarzt wird dadurch erst verpflichtet, wenn er den Termin der Terminservicestelle zugunsten des benannten Patienten fest zusagt.[93] Details des Vermittlungsvorganges sind in der Anlage 28 zum BMV-Ä geregelt. Darüber hinaus darf eine KV einem Vertragsarzt keine Patienten zwangsweise zuweisen.[94]
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Über § 75 Abs. 3 SGB V werden die Personen, die einen Anspruch auf freie Heilfürsorge haben, in den Sicherstellungsauftrag einbezogen.[95] Dasselbe gilt für die Gefangenenbehandlung in Justizvollzugsanstalten außerhalb der Dienstzeiten der Anstaltsärzte (Abs. 4). Über Abkommen nach § 75 Abs. 6 SGB V wurden von der KBV ärztliche Versorgungsaufgaben von den Berufsgenossenschaften und von der Bundesbahn- und der Postbeamtenkrankenkasse übernommen. Auf regionaler Ebene gibt es auch noch weitere Abkommen mit den lokalen Trägern der Sozialhilfe. Auch die Versorgung der bei der Knappschaft Versicherten ist nach § 75 Abs. 5 SGB V von den KV sicherzustellen, soweit dafür keine Knappschaftsärzte zur Verfügung stehen.[96]
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Mit der Umsetzung der „neuen Versorgungsformen“ werden die erfassten Teilbereiche der ambulanten Versorgung aus der Verantwortung der KV herausgenommen.[97] Die Verantwortlichkeit der KV ist immer dann eingeschränkt, wenn unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen bestehen, wie bei den erweiterten Direktvertragskompetenzen in der hausarztzentrierten Versorgung nach §§ 73b Abs. 4 S. 6 SGB V und bei der besonderen Versorgung nach § 140a Abs. 1 S. 4 SGB V. Davon zu unterscheiden ist der Fall, wenn bestimmte Vergütungsanteile direkt von den Krankenkassen bezahlt werden, die Leistung selbst aber noch zur vertragsärztlichen Versorgung gehört.[98]
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Die Zielsetzung des besonderen Sicherstellungsauftrages ist, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung in zumutbarer Entfernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik und von Rationalisierungs- und Modernisierungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.[99] Dazu gehört nach § 75 Abs. 1b SGB V auch die Organisation eines ärztlichen Notdienstes bzw. Bereitschaftsdienstes in sprechstundenfreien Zeiten.[100] Dies soll in Kooperation mit den Krankenhäusern erfolgen und kann auch durch Notdienstpraxen an Krankenhäusern geschehen. Dabei haben die KV einen weiten Gestaltungspielraum. Sie haben aber darauf zu achten, dass bei der Heranziehung oder Befreiung einzelner Fachgruppen der Gleichheitssatz beachtet wird. Entsprechend können auch Fachärzte zum hausärztlichen Bereitschaftsdienst eingeteilt werden. [101]
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Die grundsätzliche Verpflichtung СКАЧАТЬ