Название: BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil
Автор: Harm Peter Westermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schwerpunkte Pflichtfach
isbn: 9783811453562
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d) Der maßgebliche Bestimmungszeitpunkt bei Geldschulden
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Wenn jemand ein Auto für 10.000 Euro kauft, schuldet der Käufer einen von Anfang an klar definierten Betrag – eben 10.000 Euro. In solchen Fällen, wenn also von Anfang an ein konkreter Betrag feststeht, liegt eine Geldsummenschuld vor.[35] Manchmal wird der konkret geschuldete Betrag aber erst zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt: Wenn jemand eine andere Person fahrlässig in ihrer Gesundheit verletzt, ist er gem. § 823 Abs. 1 zum Schadensersatz verpflichtet. Aber der konkret geschuldete Betrag steht im Moment der Gesundheitsverletzung noch gar nicht fest: Bevor sich die beschädigte Person behandeln lässt, sind die konkreten Beträge ja auch nicht bekannt. Bei solchen Ansprüchen – neben Schadensersatzansprüchen beispielsweise auch Unterhaltsansprüche – spricht man von Geldwertschulden. Solche Schulden werden erst dann zu einer Geldsummenschuld, wenn der Leistungstermin feststeht.[36]
2. Geldschulden, § 275 und der Topos „Geld hat man zu haben“
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Ein in Klausuren und Lehrbüchern zum Schuldrecht gerne verwendeter Topos ist der Satz „Geld hat man zu haben“. Damit wird unter anderem zum Ausdruck gebracht, dass § 275 keine Anwendung auf die Geldschuld finden soll. Diese wohl hM[37] lässt sich allerdings nicht überzeugend begründen. Der Gesetzeswortlaut des § 275 spricht für die Anwendbarkeit der Norm auf Geldschulden. Gleiches gilt für die systematische Stellung der Norm im Allgemeinen Schuldrecht. Der Topos „Geld hat man zu haben“ ist keine Rechtsnorm des positiven Rechts, die einen Ausschluss einzelner Bestimmungen begründen könnte. Auch die historische Auslegung spricht für die Anwendbarkeit des § 275: Im Diskussionsentwurf zur Schuldrechtsreform 2002 (DiskE)[38] war eine explizite Ausnahme der Geldschuld vom Unmöglichkeitsrecht vorgesehen. Sie wurde allerdings nicht in den Gesetzestext aufgenommen. Das spricht dagegen, diese Ausnahme ohne gesetzliche Grundlage anzunehmen.[39] § 275 ist also auf Geldschulden grundsätzlich anwendbar. Allerdings ist der Tatbestand der Unmöglichkeit in der Regel aus faktischen Gründen nicht erfüllt: Objektive Unmöglichkeit[40] ist kaum vorstellbar, weil dazu überhaupt niemand mehr Geld haben müsste. Auch subjektive Unmöglichkeit wird sehr selten zu bejahen sein: Selbst wer krank, arm und ohne Erbschaftsaussicht ist, kann durch Schenkung oder Lottogewinn zu Geld gelangen.
3. Das Inflationsrisiko im Kontext der Geldschuld
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Der wirtschaftliche Wert des Geldes hängt von seiner konkreten Kaufkraft ab, die erheblichen Schwankungen unterliegen kann. Daher ist von hoher Bedeutung, wer das Inflationsrisiko trägt. Das ist für wichtige Teilbereiche in gesetzlichen Bestimmungen geregelt. Bei Geldwertschulden etwa trägt das Inflationsrisiko der Schuldner, denn erst zum Leistungszeitpunkt wird der konkret erforderliche Betrag fixiert. Weitere Sonderregeln finden sich etwa für Löhne oder Gehälter.
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Auch die Vertragsparteien können das Inflationsrisiko vertraglich regeln. Das geschieht in der Praxis durch Wertsicherungsklauseln, die Geldschulden wertbeständig machen sollen. Das ist vor allem bei auf lange Zeit angelegten Verträgen (in der Regel also: bei Dauerschuldverhältnissen) wichtig. Häufig nehmen Wertsicherungsklauseln auf bestimmte Preisindizes Bezug. Auch kann vereinbart werden, dass Geldschulden unter bestimmten Voraussetzungen angepasst werden sollen. Wertsicherungsklauseln sind nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen zulässig.
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Für den praktisch wichtigen Bereich der Wohnraummiete beinhaltet § 557b eine Sondervorschrift. Neben weiteren Sondergesetzen werden die Grenzen vor allem durch das Preisklauselgesetz (PrKG) vorgegeben. § 1 Abs. 1 PrKG beinhaltet ein grundsätzliches Verbot von Wertsicherungsklauseln für Geldschulden. Allerdings sieht das Gesetz in § 1 Abs. 2 und den §§ 2 ff zahlreiche Ausnahmen von diesem Verbot vor. Nach dem PrKG unwirksame Vereinbarungen sind nicht ex tunc unwirksam, sondern erst vom Zeitpunkt des rechtskräftig festgestellten Verstoßes an. Wenn Wertsicherungsklauseln zugleich AGB sind, gelten zusätzlich die §§ 305 ff.
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Nicht immer ist das Risiko von Geldwertschwankungen gesetzlich oder vertraglich geregelt. Dann gilt der Grundsatz des (geldschuldrechtlichen) Nominalismus[41], den man schlagwortartig mit „Euro gleich Euro“ umschreiben kann. Der Grundsatz des Nominalismus besagt, dass der Euro als Währungseinheit grundsätzlich unabhängig von seiner Kaufmacht definiert wird und nominell gleichbleibt – trotz möglicher Geldwertschwankungen. Wenn im November 2019 eine Geldschuld in Höhe von 100 Euro begründet wurde, ist sie auch im Jahre 2029 in Höhe von 100 Euro zu erfüllen, und zwar auch dann, wenn 100 Euro im Jahre 2029 eine ganz andere Kaufkraft haben, als sie es 2019 hatten. Damit wird dem Geldgläubiger das Inflationsrisiko zugewiesen. Kommt es zur Inflation, profitiert der Schuldner; er trägt aber auch die Risiken der Deflation. Der Grundsatz des Nominalismus ist zwar nirgends explizit geregelt. Er wird aber von den gesetzlichen Bestimmungen über den Ausgleich von Inflationsrisiken und vor allem den im PrKG enthaltenen Grenzen für Wertsicherungsklauseln stillschweigend vorausgesetzt.[42] In eng begrenzten Ausnahmefällen kann der Grundsatz des Nominalismus eingeschränkt sein. Insbesondere kann im Einzelfall bei schwerer Äquivalenzstörung § 313 eingreifen.[43]
Im oben geschilderten Fall 18 kann V deshalb von M nicht etwa jeweils die Zahlung des Geldbetrags verlangen, dessen Kaufkraft mit dem bei Vertragsschluss vereinbarten Mietzins übereinstimmt. Die Parteien haben auch nicht nach Maßgabe der §§ 557 ff eine Erhöhung oder Anpassung der Miete vereinbart.
4. Geldschulden als qualifizierte Schickschulden (§§ 270 Abs. 1 und 4, 269)
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Geldschulden sind im deutschen Recht in den §§ 270 Abs. 1, Abs. 4 und 269 als qualifizierte Schickschulden ausgestaltet, nicht etwa als Bringschulden.[44] Insofern unterscheidet sich das deutsche Recht signifikant von den wohl meisten anderen Rechtsordnungen und auch etwa von Art. 7 der Principles of European Contract Law[45] und § 57 des Wiener Kaufrechts[46]. §§ 269 und 270 führen zur Ausgestaltung der Geldschuld als Schickschuld mit einer gewichtigen Einschränkung: Der Schuldner trägt gem. § 270 Abs. 1 das Verlustrisiko. Geldschulden sind daher eine eigentümliche Kombination aus Schickschuld und Bringschuld: Wie bei der Bringschuld trägt der Schuldner das Verlustrisiko. Das Verzögerungsrisiko liegt jedoch wie bei Schickschulden beim Gläubiger.[47] Wenn A 1.000 Euro schuldet, die Zahlung Ende November fällig ist und der Schuldner A zehn 100 Euro-Banknoten per Post an den Gläubiger B schickt, wird A nicht von seiner Zahlungspflicht frei, wenn der Brief nie bei B ankommt. Wenn die Zustellung des Briefs jedoch verzögert wird, so dass B ihn erst am 6. Dezember erhält, gerät A nicht in Verzug.
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An der Qualifikation der Geldschuld als qualifizierte Schickschuld ändert auch die Zahlungsverzugsrichtlinie nichts[48] – entgegen mancher Stimmen in der Literatur.[49] Im Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie[50] endet der Verzug bzw wird der Verzug nur ausgeschlossen, СКАЧАТЬ