Название: BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil
Автор: Harm Peter Westermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schwerpunkte Pflichtfach
isbn: 9783811453562
isbn:
c) Konkretisierung (§ 243 Abs. 2)
aa) Zweck
187
Wie wir gesehen haben, ist gerade die Beschaffungspflicht eine potenziell erhebliche Belastung des Schuldners. § 243 Abs. 2 bietet ihm die Möglichkeit, seine Risiken erheblich zu minimieren: Nach dieser Norm beschränkt sich das Schuldverhältnis auf diese (eine) Sache, wenn der Schuldner das seinerseits Erforderliche zur Leistung einer Sache aus der Gattung getan hat. Diese Beschränkung bezeichnet man als Konkretisierung – eben, weil sich das Schuldverhältnis jetzt auf einen konkreten Leistungsgegenstand beschränkt. § 243 Abs. 2 bewirkt, dass die Gattungsschuld zur Stückschuld wird.[19] Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die – für den Schuldner günstigeren – Regelungen zur Leistungsgefahr bei Stückschulden eingreifen: Wenn die nach Konkretisierung allein geschuldete Sache untergeht (vgl § 275 Abs. 1), muss der Schuldner keine andere Sache aus der ursprünglich vereinbarten Gattung mehr leisten.
bb) Voraussetzungen
188
Der Schuldner muss das seinerseits Erforderliche getan haben. Was das konkret bedeutet, hängt vor allem von der Parteivereinbarung ab. Die Wirkungen des § 243 Abs. 2 können auch allein durch Parteivereinbarung herbeigeführt werden[20] bzw dadurch, dass der Gläubiger eine nicht § 243 Abs. 1 genügende Sache als Leistung anerkennt[21]. Im letzteren Fall dürfte freilich meist Erfüllung iSd § 362 Abs. 1 vorliegen; dann werden die Rechtsfolgen des § 243 Abs. 2 bedeutungslos.
189
Wenn eine Bringschuld vorliegt, hat der Schuldner das seinerseits Erforderliche getan, wenn er die Sache zum Gläubiger gebracht und in einer den Annahmeverzug (§§ 293 ff) auslösenden Weise angeboten hat.[22] Der Gläubiger muss also unmittelbar auf den Leistungsgegenstand zugreifen können, nur dann ist die von § 243 Abs. 2 bewirkte Entlastung des Schuldners gerechtfertigt. Dabei gelten die Regeln über den Annahmeverzug entsprechend.[23] Im Fall des wörtlichen Angebots gem. § 295[24] muss allerdings klar werden, auf welchen Leistungsgegenstand sich die Konkretisierung erstrecken soll. Daher muss der Schuldner die Sache nicht nur wörtlich anbieten, sondern auch den Leistungsgegenstand aussondern.[25]
In Fall 17 haben A und K ausdrücklich eine Bringschuld vereinbart. A hätte also die Reifen zu K bringen und sie ihm dort anbieten müssen, um Konkretisierung gem. § 243 Abs. 2 zu erreichen. Dadurch, dass sie diesen Schritt nicht gegangen ist, kann sie sich trotz des Umgangs der Mitarbeiterin mit den Reifen nicht auf Unmöglichkeit iSv § 275 Abs. 1 berufen.
190
Wenn eine Schickschuld vorliegt, muss der Schuldner die Sache dem zuständigen Transporteur übergeben, die Sache also lediglich auf den Weg zum Schuldner bringen. Dann hat er das „seinerseits Erforderliche“ getan, so dass § 243 Abs. 2 eingreift.
191
Bei Holschulden muss der Schuldner lediglich den Leistungsgegenstand aussondern, ihn bereitstellen und gegebenenfalls den Gläubiger von der Aussonderung benachrichtigen bzw ihn zum Abholen auffordern.[26] Die Benachrichtigung bzw Aufforderung ist nicht erforderlich, wenn ein Termin für die Abholung vereinbart ist. Wenn der Schuldner dem Gläubiger eine Frist zur Abnahme gesetzt hat, tritt die Konkretisierung erst mit dem Ablauf dieser Frist ein.[27] Das ist dann nicht sachgerecht, wenn der Gläubiger ohnehin erklärt, die Leistung nicht abnehmen zu wollen: Dann tritt die Konkretisierung schon mit dem Zugang dieser Erklärung ein.
cc) Rechtsfolgen des § 243 Abs. 2
192
§ 243 Abs. 2 bewirkt vor allem, dass die Leistungsgefahr auf den Gläubiger übergeht. Das ist die entscheidende Konsequenz dessen, dass die Gattungsschuld zur Stückschuld wird. Geht die Sache – auf die das Schuldverhältnis dann „konkretisiert“ ist – unter, wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht gem. § 275 Abs. 1 frei. Die Gegenleistungsgefahr (Preisgefahr) – also die Gefahr, trotz Unmöglichkeit der Leistung noch die Gegenleistung (in entgeltlichen Verträgen also den „Preis“) erbringen zu müssen, richtet sich nach § 326 bzw. den besonderen Gefahrtragungsregeln (wie §§ 446 f und 644 f).
dd) Rückgängigmachung der Konkretisierung (Rekonkretisierung)
193
Ein Klausurklassiker ist die Frage, ob der Schuldner die Konkretisierung auch einseitig wieder rückgängig machen kann. Man nennt dies auch Rekonkretisierung. Um diese Konstellation geht es in Fall 16. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Rekonkretisierung den Interessen des Schuldners zuwiderläuft, da die Konkretisierung ja vor allem für den Schuldner Vorteile bei der Leistungsgefahr bietet. Manchmal ist der Schuldner an diesen Vorteilen aber gar nicht interessiert. So kann er sich etwa schlicht den Anspruch auf die Gegenleistung sichern wollen, der im Regelfall ja gem. § 326 Abs. 1 S. 1 entfallen wird, wenn seine Leistungspflicht nach § 275 nicht besteht. Denkbar ist auch, dass der Schuldner bei einer Schickschuld die Ware noch während des Transports an einen anderen Gläubiger umleiten möchte: In dieser Situation ist die Konkretisierung bereits eingetreten. Denn bei einer Schickschuld hat der Schuldner das seinerseits Erforderliche iSd § 243 Abs. 2 ja schon getan, wenn er die Ware der Transportperson übergeben hat. § 243 Abs. 2 schweigt über die Frage, ob die Konkretisierung rückgängig gemacht werden kann. Die besseren Gründe – vor allem teleologische Argumente – sprechen dafür, die Frage zu bejahen:[28] § 243 Abs. 2 dient gerade dem Schuldnerinteresse. Soweit der Schuldner die Konkretisierung durch einseitige Akte herbeiführen kann, muss ihm daher auch zugestanden werden, sie durch einseitige Akte wieder rückgängig zu machen. Anders liegt es nur in den Fällen, in denen die Konkretisierung auf eine beiderseitige Parteivereinbarung zurückzuführen ist: Dann hat der Gläubiger ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Konkretisierungswirkung nicht durch bloß einseitigen Schuldnerakt aufgehoben wird.[29] Wenn sich der Gläubiger mit der Aussonderung oder der Absendung ausdrücklich oder stillschweigend einverstanden erklärt, liegt eine Parteivereinbarung in diesem Sinne nahe, ebenso, wenn der Gläubiger bei der Auswahl des Gegenstands mitgewirkt hat.
d) Lösung Fall 16
194
S könnte gegen V einen Anspruch auf Lieferung von vier Reifen aus § 433 Abs. 1 S. 1 haben.
I. Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und S liegt vor, so dass der Anspruch entstanden ist.
II. Der Anspruch könnte gem. §§ 243 Abs. 2, 275 Abs. 1 erloschen sein.
1. V hat das ihrerseits Erforderliche getan – bei einer Schickschuld also die Übergabe an den zuständigen Transporteur –, so dass Konkretisierung gem. § 243 Abs. СКАЧАТЬ