Название: BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil
Автор: Harm Peter Westermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schwerpunkte Pflichtfach
isbn: 9783811453562
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Keine schuldrechtlichen Pflichten sind die sog. Naturalobligationen. Sie werden auch „unvollkommene Verbindlichkeiten“ genannt. Die wichtigsten Beispiele sind Spiel und Wette (§ 762). Die Rechtsnatur von Naturalobligationen kommt in § 762 Abs. 1 zum Ausdruck. § 762 Abs. 1 S. 1 lautet: „Durch Spiel oder durch Wette wird eine Verbindlichkeit nicht begründet.“ So führen Naturalobligationen zu keiner Schuld im rechtlichen Sinne, sondern allenfalls zu moralischen Schulden.
In Fall 10a) kommt § 762 Abs. 1 zum Tragen. Durch das Spiel wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. A und B haben somit keine Ansprüche gegen C und D aus dem Doppelkopfspiel. Wer sagt „Spielschulden sind Ehrenschulden“ bringt damit treffend auch zum Ausdruck, dass Spielschulden eben keine Rechtsschulden sind. Eine Klage der A wird das Gericht als unbegründet abweisen.
Gleichwohl sind Naturalobligationen rechtlich nicht irrelevant: Wer auf eine Naturalobligation hin leistet, kann das Geleistete nicht nach § 812 zurückfordern mit der Begründung, dass keine Verbindlichkeit bestand. Das kommt in § 762 Abs. 1 S. 2 zum Ausdruck: „Das auf Grund des Spieles oder der Wette Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat.“ Naturalobligationen geben im Rechtssinn also keinen Forderungsgrund, wohl aber einen rechtlichen Grund dafür, etwas behalten zu dürfen.
Dies zeigt sich in Fall 10b), als D die gezahlten Beträge von A und B zurückverlangt. Zwar bestand kein Anspruch gegen D, jedoch normiert § 762 Abs. 2 einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen, so dass D die gezahlten Beträge nicht aus § 812 Abs. 1 S. 1 kondizieren kann.
Teil I Grundlagen › § 3 Schuldrechtliche Pflichten – Einteilung und Abgrenzungen › V. Obliegenheiten
V. Obliegenheiten
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Ebenfalls keine schuldrechtlichen Pflichten sind die Obliegenheiten. Obliegenheiten sind Verbindlichkeiten des Gläubigers, deren Beachtung in seinem eigenen Interesse liegt. Das wichtigste Beispiel aus dem allgemeinen Schuldrecht sind die Obliegenheiten, die § 254 Abs. 2 S. 1 voraussetzt:[52] Den Beschädigten (Schadensersatzgläubiger) trifft die Obliegenheit, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste. Auch trifft ihn die Obliegenheit, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Letztere wird auch „Schadensminderungspflicht“ genannt. Die Begriffsverwendung ist unglücklich, weil § 254 Abs. 2 S. 1 gerade keine Pflicht umschreibt oder voraussetzt. Die Beachtung der Obliegenheiten aus § 254 Abs. 2 S. 1 liegt im Eigeninteresse des Gläubigers. Verletzt er sie, erhält er in geringem Umfang Schadensersatz (§ 254 Abs. 1 iVm § 254 Abs. 2 S. 2). Der Schuldner hat aber keinen Anspruch gegen den Gläubiger darauf, dass er die Obliegenheiten einhält. Wer beispielsweise einem anderen schuldhaft eine Körperverletzung zugefügt hat, kann vom Geschädigten nicht verlangen, dass er die erforderlichen und zumutbaren Heilbehandlungen durchführen lässt, um die Entstehung größerer Folgekosten zu vermeiden.[53] Er ist aber in seinem Interesse ausreichend über § 254 Abs. 2 S. 1 iVm § 254 Abs. 1 geschützt: Denn seine Schadensersatzpflicht aus § 823 Abs. 1 ist wegen der Obliegenheitsverletzung in ihrem Umfang gemindert. Obliegenheiten können auch vertraglich vereinbart werden. Das spielt in der Praxis vor allem bei Versicherungen eine große Rolle: In Versicherungsverträgen werden häufig zahlreiche Obliegenheiten des Versicherungsnehmers vereinbart. Auf Einhaltung dieser Obliegenheiten haben die Versicherungen dann zwar keinen Anspruch. Aber ihre Einhaltung liegt wiederum im Eigeninteresse des Versicherungsnehmers: Verletzt er sie, kann es im Schadensfall zum Verlust oder zur Kürzung des Leistungsanspruchs kommen (vgl § 28 Abs. 2 S. 1 VVG).
Teil I Grundlagen › § 3 Schuldrechtliche Pflichten – Einteilung und Abgrenzungen › VI. Lösung Fall 7
VI. Lösung Fall 7
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A. A könnte gegen B einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Fahrrads aus § 433 Abs. 1 S. 1 haben.
I. Durch den Abschluss des Kaufvertrags ist zunächst die Primärleistungspflicht der B entstanden, das Fahrrad zu übergeben und zu übereignen (§ 433 Abs. 1 S. 1).
II. Diese Primärleistungspflicht könnte allerdings gem. § 275 Abs. 1 Var. 1 erloschen sein. Als B aus dem Buchladen kommt, ist das Fahrrad verschwunden und nicht mehr auffindbar. Es war gebraucht und individuell lackiert, so dass eine Stückschuld (§ 243 Abs. 1) vorlag. B kann ihre Pflicht also nicht durch Leistung eines anderen Fahrrads erfüllen. Da das Hollandrad unauffindbar ist, ist die Übergabe und Übereignung jedenfalls für B unmöglich (§ 275 Abs. 1 2.Var: „subjektive Unmöglichkeit“[54]). Der Primärleistungsanspruch ist somit erloschen.
Ergebnis: A hat keinen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Fahrrads aus § 433 Abs. 1 S. 1.
B. A könnte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 275 Abs. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 in Höhe von 300 Euro gegen B haben.
I. Ein Schuldverhältnis liegt in Form des Kaufvertrags vor.
II. Als Pflichtverletzung kann man allein die nachträgliche Unmöglichkeit der Leistungserbringung ansehen (vgl § 275 Abs. 4) oder aber auf das Nicht-Abschließen des Fahrrads abstellen.[55]
III. B muss die Unmöglichkeit auch zu vertreten haben iSd § 280 Abs. 1 S. 2. Der Schuldner hat grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, § 276 Abs. 1. Indem sie ihr Fahrrad nicht abschloss, ließ B die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht und handelte mithin fahrlässig gem. § 276 Abs. 2. B hat die Pflichtverletzung somit zu vertreten.
IV. Gem. § 251 Abs. 1 hat B Schadensersatz iHd Wertes des Fahrrades (300 Euro) zu leisten.
Ergebnis: A hat gegen B daher einen Schadensersatzanspruch aus §§ 275 Abs. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 in Höhe von 300 Euro.
C. Eine weitere Sekundärleistungspflicht ist die Pflicht zur Surrogatsherausgabe (§ 285), die hier ebenfalls relevant wird: B hat durch den zur Unmöglichkeit führenden Umstand (Abhandenkommen des Fahrrads) die Versicherungssumme von 200 Euro erhalten. Diese Summe tritt an die Stelle des geschuldeten Gegenstands (sog. „stellvertretendes commodum“[56]). A kann von B also auch die Versicherungssumme aus §§ 275 Abs. 4, 285 Abs. 1 verlangen. Allerdings mindert sich der Schadensersatzanspruch gem. § 285 Abs. 2 in der Höhe des durch § 285 Abs. 1 Erlangten. A kann also entweder aus § 285 Abs. 1 Herausgabe der empfangenen 200 Euro und Schadensersatz iHv 100 Euro verlangen, oder nur Schadensersatz aus § 283 geltend machen (dann iHv 300 Euro).
Anmerkungen
S. dazu näher unten Rn 118.