Название: Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts
Автор: Marco Mansdörfer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
isbn: 9783811457072
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b) Arbeit als grundlegend regelungsbedürftiger Faktor – Verpflichtung zur Schaffung eines elementaren Ordnungsrahmens und der Möglichkeit zur Spezialisierung und Flexibilisierung
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Der grundlegendste Faktor, für den der Staat einen ordnungspolitischen Rahmen setzen muss, ist der Faktor Arbeit. Volkswirtschaftlich ist damit die Summe aller ökonomischen Leistungen der Menschen einer Volkswirtschaft unterschieden nach Menge und Qualität, die in einer bestimmten Zeiteinheit erbracht werden, gemeint[603]. Die Aufgabe des Staates besteht vornehmlich darin, die Bedingungen näher auszugestalten, unter denen die Arbeit im Wirtschaftsprozess eingesetzt werden kann und diesen Einsatz entsprechend der grund- und menschenrechtlichen Determinanten zu beschränken. Außerdem müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit Arbeit in einer dem Markt und den Marktteilnehmern entsprechenden Weise angeboten werden kann, etwa Spezialisierungen und Flexibilisierungen möglich sind. Der Staat muss daher auch strafrechtliche Maßnahmen treffen, dass der Faktor Arbeit nicht missbraucht werden kann. Dazu gehört die Sanktionierung wesentlicher Vorschriften des Arbeitsschutzrechts ebenso wie die Sanktionierung der Ausbeutung der Arbeitskraft[604]. Insbesondere strafrechtliche Zurechnungsstrukturen sind außerdem so zu formulieren, dass sie gerade die Rahmenbedingungen für im Bereich komplexer Ökonomien unbedingt erforderliches, spezialisiertes Handeln unterstützen[605].
c) Gewährleistung von Eigentum in Form von Verfügungsrechten – Verpflichtung zur Garantie der individuellen Verfügungsmacht
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Als notwendige Ergänzung des Faktors Arbeit in einer Marktwirtschaft muss der Staat eine spezielle Form von Eigentum gewährleisten: Verfügungsrechte, die individuell zugewiesen werden können. Aus der Ergänzungsfunktion des Eigentums als Grundlage des Wirtschaftsprozesses folgt, dass der Inhalt des Eigentums bzw. der zu schaffenden Verfügungsrechte[606] durch originär ökonomische Grundsätze vorgeformt ist, die sich damit auch wesentlich auf zentrale strafrechtliche Probleme auswirken.
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Der notwendige Inhalt dieser Form von Eigentum lässt sich wiederum gut mithilfe der Institutionenökonomik entwickeln. Um dies zu veranschaulichen, soll – ehe auf die moderne Lehre von den Verfügungsrechten eingegangen wird – zunächst die klassische Nationalökonomie mit der von ihr ausgelösten Kritik dargestellt werden.
aa) Exkurs: Die Auffassung der klassischen Nationalökonomie und ihre Kritik
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Die klassische Nationalökonomie stand auf dem Boden des Naturrechts und nahm ihren Ausgangspunkt beim isolierten Siedler, der mittels seiner Arbeitskraft Werte schafft[607]. In sich folgerichtig wurde die Existenz von Institutionen fast vollständig ignoriert, weil Institutionen angeblich keine Auswirkungen auf die Güterverteilung (Allokation) hätten[608]. Dieses Bild ist allerdings nicht nur ahistorisch[609]; es verfehlt vielmehr den Anspruch, die Theorie einer kulturell verfassten Menschheit bilden zu können[610].
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Die Schwäche dieses Ansatzes hatte schon Walter Eucken kritisiert: Ohne Institutionen wie individuelle Eigentumsrechte oder die Möglichkeit, derartige Rechte zu erwerben oder zu übertragen oder sich durch Versprechen zu binden, kann ein Markt unmöglich funktionieren. In einer kulturell verfassten Menschheit sind Eigentum und Vermögen Potentiale oder Möglichkeiten, die einem Einzelnen oder einer Personenmehrheit zugeordnet sind[611]. Solche Potentiale, als Recht verstanden, bilden wesentliche Grundlagen einer Gesellschaft. Die Anerkennung von Vermögen ist einer der zentralen Faktoren einer Gesellschaft und einer Wirtschaft überhaupt. Dies bedeutet nicht, dass das Vermögen nicht vom Einzelnen gelöst werden kann. Es ist dann verselbstständigt als Sondervermögen[612].
bb) Auswirkungen einer liberalen Eigentumsordnung im Einzelnen
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Eine Weiterentwicklung der Gedanken Euckens wird in den modernen Wirtschaftswissenschaften teilweise in der von Coase begründeten Theorie der Verfügungsrechte (property rights) gesehen[613]. Coase hat gezeigt, dass die Allokation und Nutzung der Wirtschaftsgüter entgegen der Auffassung der klassischen Nationalökonomie maßgeblich von der Ausgestaltung der sog. Verfügungsrechte abhängt. Verfügungsrechte sind diejenigen Rechte, die die Art der Nutzung eines Gutes, die formale und materielle Veränderung eines Gutes, die Aneignung von Gewinnen und Verlusten, die durch die Nutzung eines Gutes entstehen, sowie Veräußerung des Gutes betreffen[614]. Der wirtschaftliche Wert eines Gutes hängt also maßgeblich von dem Bündel der Verfügungsrechte ab, das bei einer Transaktion übertragen wird[615].
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Juristisch werden mithilfe der Verfügungsrechte die innerhalb einer Gesellschaft im Umgang mit einem Gegenstand erlaubten Handlungen von unerlaubten abgegrenzt. Mit der Ausgrenzung der unerlaubten Handlungen beschreibt der Begriff der Verfügungsrechte ganz grundlegend den potentiellen Bereich der strafrechtlich relevanten Nutzung eines Gutes.
Der Begriff des Verfügungsrechts weist weiter darauf hin, dass das wirtschaftlich entscheidende Moment nicht die Eigentümerstellung, sondern die faktische Wahrnehmung und Verfügungsmacht der entsprechenden Rechte ist. Im Normalfall treffen die juristische Zuordnung des Eigentums und die faktische Wahrnehmung dieser Rechte in einer Person zusammen, zwingend ist dies allerdings nicht. Gerade im Bereich der Wirtschaft werden häufig Rechte, die einem Subjekt A zugeordnet werden, von einem Subjekt B ausgeübt. Die Verteilung dieser Rechte auf verschiedene Personen hat Konsequenzen: Da die die Rechte ausübenden Personen von den ökonomischen Folgen ihres Handelns nicht in vollem Umfang betroffen werden, treffen sie möglicherweise Entscheidungen, die zwar für sie selbst günstig sind, aus der Sicht des Rechteinhabers und möglicherweise auch aus der Sicht der Allgemeinheit aber zu einem ineffizienten Einsatz der Verfügungsrechte führen. Wenn solches Verhalten seinerseits durch einen Tatbestand der Untreue hoheitlich sanktioniert wird, werden Anreize zum Missbrauch fremder Verfügungsmacht genommen.
Der Anwendungsbereich der Theorie der Verfügungsrechte ist freilich noch sehr viel weiter[616]: Die zentralen Aussagen der Theorie der Verfügungsrechte (sog. Coase-Theorem) sind unter der Voraussetzung vollkommener Märkte erstens, dass die ex-ante Verteilung (Allokation) von Verfügungsrechten für deren spätere faktische Verteilung belanglos ist, da letztere stets effizient ist, und zweitens, dass sich durch eine geeignete Umverteilung von Verfügungsrechten externe Effekte stets internalisieren lassen[617]. Praktisch bedeutsam ist diese Aussage insofern, als sie nachweist, dass die ex-ante Allokation von Verfügungsrechten dann von Bedeutung ist, wenn eine effiziente faktische Allokation über den Markt zu scheitern droht, wenn der Markt also in erheblichem Maß unvollkommen ist. Als Analyseinstrument für eine angemessene Verantwortungszuschreibung ist die Theorie der Verfügungsrechte insofern von Bedeutung, als sie konsequent die Perspektive des methodologischen Individualismus aufnimmt[618]. Gerade komplexe Organisationen können daher bis auf die Funktion ihrer einzelnen Mitglieder analysiert werden[619]. Das Entstehen und der Fortbestand von Unternehmen sind dabei das Ergebnis des individuellen Nutzenstrebens der einzelnen Beteiligten.
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